2048 – noch nicht.

“noch nicht“.
Eric Schmidt, Chef von alphabet / Google auf die Frage “Existiert Gott?“.
Schlagfertig, unterhaltsam und doch regt es zum Nachdenken an.

Ich versuche, hier anzuknüpfen an die große Internet/ Datenkraken-Diskussion, die der Mitherausgeber und Feuilleton-Chef der FAZ, Frank Schirrmacher, gestartet und dann virtuos moderiert und weiterentwickelt hatte.
Das Thema war, explizit nur selten, aber implizit immer, die Frage:
Droht uns eine Art technologischer Diktatur?

Haben wir die nicht schon längst?
Aktuell: nein. Und doch ist diese Gefahr real, sie liegt auf der Linie der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung.

Da diese Diskussion ja schon geführt ist, werde ich hier einfach, im zeitsparenden Überfliegermodus und sehr fokussiert auf die genannte Frage, zusammenfassen, was bisher geschah und dann (m)einen Ausblick geben darauf, wie es weitergehen könnte.
1948 hat George Orwell, ein brillanter Denker und als Texter ein unterschätzter Künstler, die fiktive Welt 1984 beschrieben – eine technokratische Kontrollwelt, angeführt von Big Brother, vielleicht der ersten virtuellen Figur in der Literatur, denn Orwell schon sah klar, dass eine “effiziente Diktatur“ auf einen real existierenden Führer sehr gut verzichten kann und sollte. Der fiktive Big Brother ist unsterblich; die Macht ist ewig, das “tausendjährige Reich“ erscheint dagegen als alberner Kleinkram.

1984 ist vorbei. 35 Jahre später sind wir technisch und gesellschaftlich weiter. Ich werde nun das, was zu sagen ist, in zwei Kapiteln zusammenfassen:

  1. das was wir schon alle weitgehend kennen und
  2. den Teil der Entwicklung, den wir noch vor uns haben, und der, so glaube ich, noch nicht ins allgemeine politische Bewusstsein (wenn es das gibt) vorgedrungen ist – hier geht es dann um Macht – und Sprache oder besser: um Sprache und Macht.
  3. Was bisher geschah
    Längst vergessen sind die Zeiten der “Volkszählung“, als es einen Riesenaufstand lauterer Bürger gab gegen die Erfassung völlig profaner Strukturdaten der Bevölkerung. Längst wissen Google, Facebook, Amazon, der BND und erst recht die NSA schon jeweils alleine weit mehr über jeden von uns, als uns irgendeine Regierung zu fragen wagen würde. Diese Daten zusammengefasst ergäben (ergeben) ein nahezu vollständiges Bild: Wer sich wann wo aufgehalten hat (Google/Android-Smartphones), wer wann wo was gekauft oder gesucht hat (Amazon) und wofür er sich überhaupt so interessiert (Facebook) und vielleicht sogar alles, “was bisher geschah“ (Facebook-Lebensläufe und NSA).

Na und? Ist doch ganz praktisch, wenn ich vielleicht die mexikanische Küche mag, in einer fremden Stadt aufschlage und mir mein Smartphone gleich sagt, wo ich nachher mexikanisch essen gehen kann und, wenn ich mich gleich anmelde, den ersten Tequila spendiert bekomme.
Tatsächlich sehen wir durchaus die Vorteile dieser Vernetzung. Eine allgemeine Angst vor diesen globalen Datenmaschinen (wie damals gegenüber der Volkszählung) gibt es meines Ermessens kaum.
Auch sehen wir ja niemanden, der uns bedroht. Vielleicht, wahrscheinlich, gibt es auch keine Person/keinen Personenkreis, der hier systematisch nach der Macht greift: Global agierende Bösewichter wissen wir ja den diversen James Bond-Filmen zuzuordnen, an das internationale Finanzkapital glauben wir auch nicht mehr so recht, so wenig wie wir die Gefahr durch geheime Logen (Freimaurer, Templer etc.) wirklich ernst nehmen.
All dies gehört ja eher zur Unterhaltungs-Literatur und damit, und jetzt wird es spannender, eben nicht zur Welt des Geistes und des kritischen Denkens, sondern zur Fiktion, besser: zur Medien- und Popwelt. Freimauer, Tempelritter – das ist Hollywood, bestenfalls so real wie Star Wars und Alien 1 – X und so weiter.

Neben der realen Welt, die, auch wenn das klischeehaft klingt und ist, zunehmend auf die Konsumwelt reduziert ist, gibt es nur noch die Medienwelt, eine Welt, die wir überall und ständig über die allgegenwärtigen Bildschirme wahrnehmen. Kein Wunder, wenn wir hier das Eine vom Anderen nicht mehr unterscheiden können und wollen – wozu auch, ist doch nur anstrengend und nicht wirklich prickelnd.

  1. Der Verlust der Schriftsprache
    Eigendynamisch schreitet diese Entwicklung voran, die Welt wird smarter, der Alltag bequemer, weil immer bessere und ausgefeiltere digitale Dienstleistungen alles vereinfachen: die Suchmaschine Google reagiert schon heute auf Zuruf (Eintippen unnötig); das Navi im Auto kann das wahrscheinlich auch schon oder sehr bald und in naher Zukunft fährt auch das Auto alleine zu der Adresse, die man nennt. Der Haushaltsroboter (etwa Alexa von Amazon) arbeitet auf Zuruf und bestellt Waren auf Zuruf oder auch schon ganz automatisch. Die Schriftsprache wird perspektivisch ganz überflüssig – jedenfalls im praktischen Alltag.

Macht auch nix- oder – doch? – Doch.
Der philosophierende Schriftsteller Peter Sloterdijk hat in seiner berühmten “Kritik der zynischen Vernunft“ hervorragend herausgearbeitet, wie Gott am 6. Tag der Genesis den Menschen schafft, um dann dem Menschen mit der Sprache (beginnend mit dem Recht oder der Aufgabe, den Tieren und den Pflanzen und Dingen Namen zu geben) das zentrale Werkzeug zur Macht zu geben.

In der “Kritik der instrumentellen Vernunft“ zeigte Max Horkheimer, wie sehr das, was wir heute “Vernunft“ nennen, ebenfalls zum Werkzeug von Macht und Herrschhaft funktionalisiert wurde. “Degeneriert“ insofern etwa gegenüber dem, was viel früher Immanuel Kant in seinen Vernunftkritiken mit den “Ideen der reinen Vernunft“ als großes Projekt humanistischer Werte entwickelt hatte.

Aus und vorbei. Die Sprache entgleitet uns, wir brauchen sie nicht mehr. Nicht im Alltag jedenfalls, bald wohl auch kaum mehr in der Schule – Bildungspolitiker aller Farben fordern mehr Computer an den Schulen – das Tablet für jeden ersetzt dann die Schrift durch Maus und Touchscreen.

Doch verschwinden wird die Schriftsprache nicht: in der Geschichte der menschlichen Zivilisation spielen Sprache und Schrift eine kaum zu überschätzende Rolle. Die Sprache hat – Gott sei Dank – selbst die babylonische Sprachverwirrung überstanden und blieb seitdem das zentrale Medium der Verständigung zwischen uns Menschen. Mit der Buchdruckkunst dann sind Verbreitung und Bedeutung der Sprache gewachsen und es ist nicht gewagt, zu behaupten, dass unsere heutige Demokratie und der Rechtsstaat ohne Schriftsprache gar nicht möglich wären.
Wenn nun die Schriftsprache aus dem Alltag und aus den Schulen verschwindet, dann bleiben diese Säulen unserer demokratischen freien Gesellschaft einer Elite vorbehalten.

Wie das aussehen wird, weiß ich auch nicht, aber es erscheint mir unterhaltsam, hier ein wenig zu spekulieren und ein paar Szenarien in den Raum zu stellen:

  1. Big Brother, übernehmen Sie!
    Da ja ohnehin alles geregelt ist – die Einkäufe kommen automatisch ohne dass man bestellen muss, die Abbuchungen erfolgen sofort – kann der Staat durch Künstliche Intelligenz souverän übernommen/ersetzt werden – die eingangs genannten (Datenkraken-) Unternehmen sind ja auch im Bereich KI sehr stark engagiert und investieren fleißig.
  2. Ein neuer Real-Führer für die Erde? Wenn das tausendjährige Reich schon als kleinkarierter Anfängerunfug gelten muss, sollte der neue Global-Chef doch wenigstens unsterblich sein: sowohl Google als auch Amazon-Chef Jeff Bezos geben viel Geld aus für medizische Forschung in der Richtung “Alterung bremsen oder am besten ganz stoppen“…
  3. Die Matrix-Variante: als das wahrscheinlichste Szenario erscheint mir, dass sich die beschriebene Entwicklung vollzieht, ohne dass es jemand bemerkt oder sich gar daran stört.
    Wer den Film “Matrix“ gesehen und auch verstanden hat, wird zustimmen, dass die Menschen, die in der Matrix leben, darunter nicht leiden, weil ja – der “zwischen den Zeilen“ der Matrix wieder auferstandene – Big Brother eine solche Option programmiertechnisch ausgeschlossen hat.
    Wer sollte sich auch beklagen, ohne Freiheit, ohne also Mensch zu sein?

All dies kann kommen, oder sind wir gar schon so weit?
Eric Schmidt hat recht: …noch nicht.