Eine Pop-Zeitmaschine

Die 60-er waren in Sachen Popmusik ganz entscheidend. Stichworte: Beatles, Stones, The Who, Small Faces, Kinks uswusw. Mary Quants Minirock und Modeikonen vervollständigen das angerissene Bild der Swingin‘ Sixties in London. Stellvertretend dazu diverse Clubs in Soho wie das Marquee und – für die Mode – die Carneby Street, die vorher eine völlig belanglose Seitengasse war. Hier tummelte sich einfach alles, was Rang und Namen hatte. Das ist nun lang, lang her. Aber was heute aus den Radios im Bereich Pop auf uns einprasselt, das hat meist (Ausnahme Elvis) seine Wurzeln in den 60-ern in London.

Genau da hat der britische Autor Jeremy Reed, hierzulande nur Szene-Kennern und Eingeweihten ein Begriff, seine Wurzeln. Reed hat massig Bücher zum Thema Popmusik und Swingin‘ London geschrieben und ist darüber hinaus auch für zahlreiche andere literarische Ausflüge geachtet.

In seinem Roman „The Nice“ – der Titel geht auf einen berühmten Song der Small Faces zurück – greift Reed diese aufwühlende, schnell lebende Zeit auf. Aber er ist weit entfernt vom rein melancholischen Rückblick: Reed kombiniert seine Mods-Historie mit einer Dystopie aus abgestumpften Paramilitärs, Blackjacks aus globalen Kriegen und der nahen Zukunft und Popmusik und Mode. Deshalb hört man beim Genießen des Buches Keith Richards Riffs, Jaggers knarzende Stimme oder die Yardbirds und kann darunter den Sound der125-er Vespas legen, mit denen die Mods unterwegs waren. Aus solchen Versatzstücken konstruiert der Autor äußerst geschickt einen Zusammenhang von Popmusik und Weltuntergangs-Szenarien und der Vorstellung vom „ewigen Leben“ mit Hilfe diverser Drogen. Gäbe es einen Jack Kerouac-Preis, hier wäre er fällig.

Ein faszinierender und packend übersetzter Roman; alles, was Reed hier beschreibt, könnte mehr als sehr wahrscheinlich sein…

Jeremy Reed, The Nice, deutsch: Pociao, Bilgerverlag, 349 S., 34 Euro