Dem Sinnhaften immer wieder neu nachspüren mit Gedichten

Buchtipps von Uli Rothfuss im kunstportal-bw

Die Gedichte von Eva-Maria Berg zu lesen ist, als fasste man Stille, das Nachdenken über Stille, in Worte. Sie hat wieder zwei wundervolle, an Wundern volle, neue Gedichtbände vorgelegt, deutsch-französisch, eine einzige Hommage an das Verbindende zwischen diesen zwei großen Literatursprachen, Brücken der Poesie von der einen in die andere.

Das eine Buch, – eine schneise im wasser / une brèche dans l’eau – noch mit Fotos der Dichterin Eva-Maria Berg illustriert, die allesamt das Flair Südfrankreichs feiern, entstanden ist der Gedichtband ja zum größten Teil an der französischen Mittelmeerküste, wohin Eva-Maria Berg sich viele Jahre im Frühling zu mehrwöchigen Schreibaufenthalten aufmachte.

Es sind wiederkehrende Themen, das Meer, der Blick in die Weite, hinaus, auf das Meer, über das Meer hinweg, und dann, im selben Moment, ganz weit hinein in sich selbst; selten eindringlich sind diese Gedichte, sie umspielen die Stille und geben ihr Form – abendstille ohne/ ruhe die nacht, auf französisch: le silence du soir/ et la nuit sans repos – der Leser spürt erst einmal dem Klang der Sprache nach, die so eindringlich schwebt, die mir ein Gefühl gibt für die grenzenlosen Möglichkeiten von Sprache, auch wenn konkret die Worte fehlen; dann spürt der Leser, spüre ich dem Sinnhaften nach, der Stille des Abends und der ruhelosen Nacht, ach, wie gut kennen wir das, wie brauchen, lieben wir den Blick am Abend hinaus, egal wo, im Schwarzwald, der Heimat der Dichterin, oder im Süden am Meer, der Liebesheimat unserer Dichterin. Sich irren, und durch das Irren Wahrheit finden – oder, wie es die Dichterin sagt: die täuschung/ schlägt/ wellen/ bis ins gehör.

Geräusche, Töne, Klänge nimmt die Dichterin auf, gibt sich ihnen ganz hin, um sie in Sprache zu bringen, der Klang des Hafens (la résonance du port – wie wunderbar im Französischen, die Resonanz, die der Hafen in mir verursacht, wenn ich mich nur öffne, mir Zeit nehme und reflektieren lasse), – sehnsucht/ schließt/ die augen – auch das, dieses sich ganz Hingeben dem Erlebnis, das das Wort in mir verursacht, die Sehnsucht nach dem Schweben zugleich hinaus, in das, was der Blick in die Weite mir bietet, und zugleich mich zurückzuziehen ganz in mich selbst, in die Stille des Nachdenkens. Erwähnt werden muss die großartige Übersetzung, die Eva-Maria Berg gemeinsam mit Albertine Benedetto ins Französische geleistet hat.

Für den zweiten Band arbeitet Eva-Maria Berg mit dem bildenden Künstler Matthieu Louvrier zusammen. Auch Gedichte, zweisprachig deutsch-französisch, und eine Serie sehr eindringlicher Bildarbeiten, die existentielle Themen aufgreifen. Die Gedichte übersetzt von Olivier Delbard, und schon der Titel ist umfassend für dieses ganze, wunderschön gestaltete Buch: Pour la lumière dans l’espace – Für das Licht im Raum. – ein fenster öffnen/ in die ferne sehen/ den atem anhalten/ wenn schon nicht die zeit. Das Gedicht als Programm für das ganze lyrische Arbeiten von Eva-Maria Berg. Sehen, über die Dinge hinweg, wahrnehmen, innehalten, und die Zeit fließt. Wie im Gedicht – ist der himmel/ grau sind/ es blicke/ in blau die/ erinnern an/ licht und ferne. Immer noch das Ungesehene dazudenken, dazuschreiben, das Gefühlte, und sei es noch so weit weg, hinzufügen, und so das Gedicht zum Erlebnis des Hineingreifens in Räume, in ferne Welten, machen.

Unsere Dichterin hat einen hohen Formwillen, die Sprache darf nicht zufällig sein, die Worte in den Gedichten werden nicht dahergeplappert, sondern gesetzt wie wertvolle Steine für ein lange geplantes Haus, jedes einzelne Wort ist Fundament für das gesamte Sprachgebäude des Gedichts, bis dieses schließlich steht, kein Wort zu viel, keines zu wenig. So sorgt Eva-Maria Berg für Licht im weiten Raum, oft ein einsames, ein flackerndes Licht, das aber doch weithin leuchtet; Worte, die Wirkung entfalten, das ist ja das Schöne an Poesie, dass hier Worte dauerhaft Wirkung entfalten (im Gegensatz zu Gebrauchs- und Tagestexten, die, gelesen, sofort wieder verblassen, zumeist), Wirkung anstoßen und in mir, dem Leser (oder Hörer, wenn ich die Gedichte, Glücksfall, gelesen bekomme) weiterarbeiten, sich weiter in mich hineinarbeiten und dann zu vielleicht ganz neuen, oder zur Bestätigung von bereits gefundenen Einsichten, führen.

Das kann nur mit großer Könnerschaft erreicht werden, mit dem offenen Auge dazu gepaart einem offenen Herz, mit Formwillen und der Neugier auf Neues, auf die Überschreitung von Gewohntem, all das vereint unsere Dichterin in ungewöhlichem Maß. Dass noch der Glücksfall der Könnerschaft in der anderen großen Sprache dazukommt, macht dieses Buch, beide Bücher, zum intellektuellen Abenteuer.

Eva-Maria Berg: eine schneise im wasser / une brèche dans l’eau. Gedichte deutsch/französisch, brosch., 110 S., éditions pourquoi viens-tu si tard?, Nice 2020. 12 €. Zu bestellen bei: PVST@orange.fr.

Eva-Maria Berg: Pour la lumière dans l’espace. Gedichte deutsch/französisch, L’Atzelier des Noyers, Perrigny 2020. 14 €. Zu bestellen bei: atelierdesnoyers@orange.fr.