Ein Spaziergang im Park

Harald Schwiers: Streifzüge durch die Kunstwelt Baden-Württembergs |

Inventing Nature – Pflanzen in der Kunst – Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

© Adolf Schrödter: Brasilianischer Urwald, um 1868
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Mit einer ungeheuer dichten Ausstellung verabschiedet sich die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe für Jahre vom direkten Ausstellungsbetrieb im eigenen Haus in der Hans-Thoma-Straße. Das soll, das muss dringend renoviert werden um dort weiterhin nicht nur hochkarätige Ausstellungen zu ermöglichen, sondern auch der Pflege des wertvollen Bestandes gerecht werden zu können. Wie lange das Museum geschlossen bleiben wird, steht noch in den Sternen; man rechnet mit vier bis fünf Jahren. Und vielleicht ist bis dahin dann auch klar, wie es mit der notwendigen und beabsichtigten Erweiterung (die sich nach wie vor im Schwebezustand befindet) weitergehen wird. Glücklicherweise kann während der Arbeiten ein Teil des Bestandes im ZKM gezeigt werden. Was und wo genau, wie lange usw., das wird die nähere Zukunft weisen.

Jetzt also Inventing Nature, die Natur erfinden, als große – vorläufige – Abschiedsvorstellung. Der Untertitel, Pflanzen in der Kunst, konkretisiert Näheres, führt aber auch ein klein wenig in die Irre, da Pflanzen ja nur ein Teil der Natur sind. Im Klartext: Mensch und Tier spielen in der Ausstellung nur eine sehr untergeordnete Rolle, tauchen nur hier und da als Impulsgeber auf. Und wie man sich denken kann, überwiegend in der zeitgenössischen Kunst und – was den Menschen betrifft – nicht gerade in positiven Rollen.

Kirsten Claudia Voigt, bestens in der Künstler- und Galeristenszene vernetzt, hat diese großartige Ausstellung kuratiert. Sie kann wahrlich aus dem Vollen schöpfen, denn bei genauerer Betrachtung wird man zahlreiche Exponate wiedererkennen, die man in den ständigen Präsenzausstellungen des Hauses schon einmal wahrgenommen hat. Allerdings meist in einem völlig anderen Zusammenhang. Dazu gibt es zahlreiche ebenfalls hochkarätige Werke aus den umfangreichen Beständen des Hauses, die aber dem Betrachter bislang eher im Verborgenen geblieben sind.

Julio Gonzales: Kaktusmensch II, 1940
© Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Nun kann der Künstler zwar Natur nicht erfinden, aber er kann so tun als ob. Beispiele gibt es in der Ausstellung davon jede Menge beeindruckende; die ältesten stammen von Martin Schongauer (2. Hälfte 15. Jhdt.), bei dem der Akanthus in einem frühen Stich der Schönheit halber rankt, als gäbe es kein Morgen. Das allerdings liegt der Natur der Pflanze fern, sie rankt nicht. Schongauers Stich „Heiliger Sebastian“ hatte eine Reihe von Variationen des Themas Verschmelzung des Menschen mit der Natur im Lauf der Kunstgeschichte zur Folge. Eines der vielen schön-schrecklichen und markanten Beispiele von „erfundener Natur“ sind die Fotografien von Robert Voit mit „New Trees“, das sind bis zu 30 Meter hohe „Gewächse“, oft Palmen und Kiefern ähnlich, die nur mühsam verbergen können, dass sie aus Beton und Stahl u.ä. bestehen und Funkanlagen für die Telekommunikation tragen. Gute Mimikry sieht anders aus.

Das sind nur drei Beispiele aus der Fülle von nahezu 180 Arbeiten in allen erdenklichen Techniken, die Kirsten Voigt für die „Abschiedsvorstellung des alten Hauses“ zu einem wirklich Großen und Ganzen wunderbar zusammengefügt hat. Die Schau bekommt auch durch die unmittelbare beabsichtigte Konfrontation alter und neuer Werke entscheidende Impulse. Die Saal-Texte zu den einzelnen Arbeiten oder Gruppen sind kurz, prägnant und verständlich (leider keine Selbstverständlichkeit). Inventing Nature ist ein Spaziergang durch einen Landschaftspark, zum Durchatmen mit Gelegenheit da und dort ein wenig zu ruhen: Unbedingt hingehen!

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, bis 31. Oktober 2021, Katalog 29 €, www.kunsthalle-karlsruhe.de