“Greta und Jannis”, Roman von Sarah Kuratle

Literaturtipps von Uli Rothfuss

Wunderbar verstörender Roman, Liebes- und Naturgeschichte vom letzten Dorf im Gebirge „Greta und Jannis“, Roman von Sarah Kuratle

Nach Nächten mit Jannis ist Greta immer, als seien die Farben in der Landschaft unwirklich, wie da und dort hängen geblieben oder hingelegt auf etwas, das eigentlich grau ist. – Dieser Satz steht wie symbolisch für das ganze Buch, diesen wunderbaren Erzählband der Autorin Sarah Kuratle. Als seien die Farben unwirklich wirken ihre Sätze, verschlungen, tief ins Innere des Lesers hineingreifend, verstörend und zugleich in einer schwebenden Sicherheit wiegend, dem Drang folgend, weiter und weiter lesen zu müssen, in der Hoffnung, es höre nie auf.

Sarah Kuratle hat einen wunderbar verstörenden Roman geschrieben, eine Liebesgeschichte, eine Naturgeschichte vom Ende der Welt, dem letzten Bergdorf im Gebirge, eine Beziehungsgeschichte zwischen zwangsweise zusammengefügten Findelkindern im Haus einer herrlich absonderlichen Mutter und Tante. Sie erzählt in einem Fluss vor sich hin, beherrscht virtuos die Kunst der Rück- und Querblenden, sie kennt sich stilsicher aus, auch schwer einzuordnende Naturphänomene – alle acht Jahre trägt der Baum im Winter goldene Äpfel – so zu beschreiben, dass das immerhin zur besonderen Selbstverständlichkeit wird. Ja, ich bin begeistert.

Dieses Buch, ich habe es zügig gelesen, nicht hastig, sondern auch immer wieder zurückgeblättert, nachgelesen, die Autorin hat eine eigenwillige Art, wörtliche Rede in ihren Erzählfluss einzubauen, zunächst irritiert das, weil sie auch sehr sparsam mit Satzzeichen, insbesondere Fragezeichen, umgeht, und man hängen bleibt; mit der Zeit vermutete ich, dass dies Absicht ist, um zu stolpern, nachzulesen, den Sinn sich aus mehreren Richtungen zu erschließen. Jedenfalls verschwindet diese Irritation völlig, weicht dem sich Hineinbegeben in diese vielen Geschichten, in der einen Geschichte, die so stringent und doch breitfächernd erzählt wird, in dem Erschließen der Beziehungen zwischen den Akteuren – für mich sind nicht die Titelfiguren Greta und Jannis die Handlungsträger, sondern der kauzige Cornelio, für den die Autorin es sehr geschickt versteht, sparsam und sehr spärlich sukzessive Information preiszugeben. Viel im Dunkeln bleibt auch das Schloss in diesem letzten Dorf im Gebirge, die bruchstückartigen Informationen, die die Leser über dessen einstige Bewohner erhalten, die Zusammenhänge zu den dort befindlichen Gemälden, auch die Tatsache, dass das Schloss unbewohnt ist, bis einem die Zusammenhänge klar werden und damit die Geschichte insgesamt Kontur bekommt.

Die Autorin führt die Leser so durch einen verwunschenen Garten an Motiven und Figuren, auf die sich der Leser, ich, gern einlässt; je länger um so willenloser lasse ich mich von der Erzählerin an die Hand nehmen, lasse mich ein auf die Charaktere – und hier spielt der Charakter der Landschaft am Ende der Welt eine großartige Rolle; in der Gestaltung der Figuren finden sich hier Entsprechungen, in der Aufzählung von Eigenschaften der Bergmenschen auch, ihrer erstarrten, wortkargen Handlungsweisen, die, geprägt vom harten Leben im Schnee und an Steilhängen, am Überleben mehr als an Zukunftsängsten sich orientieren. Zart einige Liebesszenen, mit Entsprechungen im Umfeld, im Licht, in der erwachenden Natur; aber zugleich verstörend, weil Akteure und konkrete Umgebung nur sehr zurückgenommen gezeichnet sind, der Leser quasi die verschwimmenden Bilder aus eigenen Erfahrungen heraus beleuchten muss. Das ist eine spannende, recht neue Konzeption der Romangestaltung, in die man lesend zunehmend hinein wächst.

Ein Roman, der zu Lesen ungemein fordert, zugleich Lesefreude bereitet, der mitnimmt und einen lange weiterbeschäftigt. Gut, folgerichtig, spannend erzählt, ohne der Spannung zu viel Erzähltribut zu zollen. Unbedingt lesenswert. Und, hervorzuheben, wie so oft bei diesem Verlag: herausragendes Covermotiv, großartige Gestaltung des Buchs, das man sehr gerne in die Hand nimmt und aufschlägt.

Sarah Kuratle: Greta und Jannis. Roman. Geb., 232 S., Otto Müller Verlag, Salzburg 2021. 23 €.