Abstrakte Gemälde amerikanischer, französischer und deutscher Provenienz bieten in den 1980er-Jahren überwältigende Eindrücke für den an der Kunstakademie in Stuttgart und der Pariser Sorbonne studierenden Rémy Trevisan. Sie entsprechen eine Art Sound des Visuellen, der zur ästhetischen Sozialisation beiträgt und eine erste eigene Produktion inspiriert. Es ist nicht ein konkreter Einfluss, sondern viele verschiedene, die der junge Künstler in seinem frühen Werkzyklus mit dem Titel Ex animo zur eigenständigen Synthese verbindet und fast ein Jahrzehnt lang vielfältig variiert. Hier wirkt die Ästhetik der materielle Präsenz der Farbe nach, wie sie in den robusten Werken von Emil Schumacher, Jean Dubuffet oder Antoni Tapies entwickelt wurde; zum Teil zeigen sich eine geheimnisvolle Restfiguration als chiffreafter Hinweis auf den menschlichen Körper, wie er sich in Gemälden von Nicolas de Staëloder den dunklen Bilder von Alberto Giacometti findet; zum Teil erfolgt eine Reduktion der Bildformen auf ein kompositorisches Grundgerüst eines zentral betonten oder leicht asymmetrisch verschobenen Streifens, wie er die Farbfeldmalerei von Barnett Newman und den strengen Bildaufbau von Mark Rothko kennzeichnet; in den fein nuancierten Valeurs wirkt zweifellos der Einfluss der französischen Koloristen Pierre Bonnard und ÉdouardVuillard nach.
Man kann diese offene Serie Ex animo als ein erneutes Durcharbeiten zentraler Werkkonzepte der abstrakten Malerei, als ein Überprüfen bestehender Formlösungen und ebenso als ein kritisches Abwandeln und spielerisches Variieren einer mittlerweile kanonisierten Bildsprache deuten. Bei all diesen künstlerischen Experimenten ging es Trevisan jedoch nicht nur um die Suche nach einem eigenen unverwechselbaren Weg, sondern viel weiter reichend – und diese entspricht seinem künstlerischen Credo – um den Versuch, eine neue Ikone der Abstraktion zu schaffen, die, vergleichbar mit dem schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch, den Rasterbildern von Piet Mondrian, der Serie „Homage to the Square“ von Josef Albers oder Yves Kleins blauen Monochromien, ein markantes, in seiner kompositorischen Struktur nicht mehr reduzierbares Bild verkörpern sollte. Dieses gleichsam lustvolle wie zähe Ringen um eine signifikante Ikonizität zielt in eigener Weise darauf einen Nullpunkt von Malerei zu erreichen, ein letztes, sozusagen endgültiges Bild hervorzubringen, in dem sich, wie der Serientitel in durchaus pathetischer Weise formuliert, eine höchste Essenz des Menschsein zeigt.
Ex animo bedeutet so viel wie „aus dem Herzen bzw. aus der Seele kommen“ und stellt diese Gemälde in den Bedeutungskontext der sogenannten Axis mundi, also jener kosmischen Weltachse die Irdisches und Himmlisches verbindet und die nach den Lehren aller Weltreligionen direkt durch den aufgerichteten menschlichen Leib verläuft und in seinem Herzen zentriert ist. Sie hat in Constantin Brancusis „Endloser Säule“ in den 1940er- und Barnett Newmans „zerbrochenem Obelisk“ in den 1960er-Jahren bereits einen plastischen Ausdruck gefunden. Anders als die analytische, programmatisch materialistische Malerei der 1970er- und 1980er-Jahre suchte der junge Maler Trevisan mit seiner universellen und anthropomorphen Symbolik des zentralen Bildstreifens einen Anschluss an die idealistische und spirituelle Dimension der abstrakten Malerei, wie sie Mitte des 20. Jahrhunderts nur noch von wenigen Künstlern wie Mark Rothko, Barnett Newman oder Marc Tobey praktiziert wurde. Die farbige Energiesäule in diesen Bildern, dieser flammende Riss im Raum entsprach formal also einer letzten kompositorischen Reduktion und verwies semantisch auf eine Art universelles Prinzip, das Mensch, Erde und Kosmos verbindet.