Villa Merkel | 06. August – 22. Oktober 2023
Ann-Kathrin Müller, Julia Schäfer und Judith Engel
Bilder zur Ausstellung || Begleitprogramm zur Ausstellung
Eröffnung: 05. August 2023, ab 17 Uhr mit Schaumwein und Jubiläumsbombe
150 Jahre Villa Merkel: Was feiern wir? Das ortsspezifische Ausstellungsprojekt Surface Treatments – 150 Jahre Zeit gräbt sich tief unter die Oberfläche der Geschichte und befragt künstlerisch das Jubiläum des Gebäudes. Die Künstlerinnen Ann-Kathrin Müller, Julia Schäfer und Judith Engel tragen metaphorisch Schicht für Schicht der ehemaligen Industriellenvilla ab und legen deren Verspachtelung mit der Gegenwart kritisch frei. Die Villa – vom Großindustriellen Oskar Merkel 1873 erbaut und 100 Jahre lang Lebensmittelpunkt seiner Familie und Nachfahren – wird als Setzung der Kuratorin Laura Becker auf ihre ursprüngliche Funktion als Wohnhaus rückgebaut. Nachträglich eingezogene Ausstellungswände werden eingerissen, verstellte Türrahmen und Fenster sichtbar und über 40 Türen wieder eingehängt. Die metaphorischen Tiefenbohrungen der Künstlerinnen fördern verschüttetes Wissen und Archivobjekte wie historische Kniestrümpfe aus Esslinger Wolle, analoges und digitalisiertes Filmmaterial, fotografische Reproduktionen und eine Leuchtreklame zu Tage, denen Besucher*innen in der Ausstellung begegnen. Neben tatsächlichen Sondierungen des Wandanstrichs versteht sich die archäologische Herangehensweise der Künstlerinnen im übertragenen Sinne: Welche gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Erzählungen zeigen sich in den Dingen der Vergangenheit? Wie lassen sich diese Erzählungen freilegen und lesbar machen? Welche Narrative überdauern und wie verorten wir uns heute dazu? Die ortsspezifischen und ortskritischen Interventionen schlagen Verbindungen zwischen den Zeiten. Die Vergangenheit des Gebäudes erzählt einerseits vom Erfolg und Kapital des Unternehmens Merkel & Kienlin, einer aufstrebenden Kammgarnspinnerei. Andererseits ist diese Fortschrittsfabel gleichzeitig eine Geschichte von Lohnarbeit, Zwangsarbeit und unbezahlter reproduktiver Arbeit. In der künstlerischen Auseinandersetzung wird das Gebäude als Symbol kapitalistischen Erfolgs zu einer fragwürdigen Konstruktion. Das Offenlegen verdrängter Schichten macht erzählbar, auf wessen Kosten die vermeintliche Erfolgsgeschichte wirtschaftlichen Wachstums geschrieben wurde: Frauen, Gastarbeiter*innen, Zwangsarbeiter*innen, rechtslose Arbeitskräfte in Niedriglohnländern.
Die Künstlerinnen spannen von den Objekten der Vergangenheit aus Erzählstränge in die Gegenwart und fragen danach, wie das „Gestern“ den Blick in die Zukunft färbt.
Die Geschichte des Hauses wird in Surface Treatments – 150 Jahre Zeit zu einer Geschichte der Arbeit, die die Künstlerinnenin eine dystopisch erhitzte Gegenwart ragen lassen. Über die Verschränkung von schwäbisch-kapitalistischem Arbeitsethos und Klimakrise wird die „heißgelaufene“ Wirklichkeit als Folge globaler Überproduktion – ganz besonders in den Sommermonaten der Ausstellung – unmittelbar nachvollziehbar. Surface Treatments – 150 Jahre Zeit nimmt die Villa Merkel kritisch in den Blick, vermittelt künstlerisch 150 Jahre ortsspezifisches Zeitgeschehen und sensibilisiert für das Fortschreiben einer Geschichte der Arbeit als Geschichte der Ausbeutung.
Gefördert durch die Baden-Württemberg Stiftung, die Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen und die Stadtwerke Esslingen am Neckar