Poetisch, leise – und mit dem Leser in eine karge Welt

Buchtipps von Uli Rothfuss | „Entlang der Welt“, Roman von Hélène Alice Bailleul

Es ist ein Roman, der sich dem Leser langsam erschließt – die Autorin gibt sehr zögerlich, sukzessive, Inhalte und Zusammenhänge preis, die sich abschnittweise zu einem Gesamtbild zusammenfügen, das dann dem Leser tiefgründige Einblicke gibt in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin, der jungen Sylve, in die Wechselwirkung von Landschaft und Psyche, aber auch konkrete Vermittlung von Wissen über die Bergwelt, oder über Zusammenhänge der Mechanismen von Tierleben und Naturphänomenen am Beispiel des Lebens eines Wolfsrudels in diesem Gebirge Lernerkenntnisse erlaubt.

Die junge Sylve scheint auf der Flucht, sie läuft durch den Wald, rennt, stürzt, verletzt sich, und findet dann Rettung und eine völlig neue Lebenswelt in einer Außenseitergruppe auf einem Berghof – findet so zu sich selbst. Erst langsam erkennt man die Probleme, mit denen sie umzugehen hat, und denen sie sich langsam hier in der Abgeschiedenheit stellen kann. Es ist ein Buch der Hoffnung, ein Buch des Wiederaufstehens, ein Buch des eindringlichen Hinweises, dass trotz aller digitalen Vernetzung, die auch auf dem Hof, reduziert, stattfindet, der Einklang mit der Natur für eine Zukunft wichtig ist.

Die Autorin erzählt sehr zurückgenommen, an vielen Stellen leise, nimmt den Leser behutsam an der Hand, führt ihn in den Stillstand, in die Landschaft, in den Nebel des Herbstes, lässt ihn Natur erleben, mit allen Sinnen. Sehr schön die Sequenz, in der Sylve die Nähe zum Wolfsrudel erfährt, geradezu spürbar die Spannung, die äußere wie die innere, die sich überträgt. Wunderbar erzählt, und schön, dass am Schluss des Romans sacht Hoffnung gegeben wird, für dieses alternative Lebensmodell nicht nur als Flucht, sondern konkret als weiteren Weg für die junge Frau. Dass dabei noch eine zarte Liebesgeschichte sich vorsichtig und deshalb eindringlich Bahn bricht, ist einfach schön, ohne dass sie in Kitsch abrutschte.

Ein gut geschriebenes Erzählstück, sehr poetisch, den Leser sehr ergreifend, jedenfalls hervorragend aus dem Französischen übertragen, davon gehe ich aus, das einem die Faszination der Bergwelt, ihrer Kargheit, manchmal ihrer Schroffheit näherbringt, hinter der sich in den dort Lebenden doch Wärme und Geborgenheit verstecken, wenn man nur genau hinsieht. Ich kann diesen Roman sehr empfehlen.

Hélène Alice Bailleul: Entlang der Welt. Roman. 144 S., Hardcover, edition laurin bei innsbruck university press, 2023. 20 €.