Kunstkontraste – zwei Ausstellungen in München bis 10.03.2024

Kunstausflug München – “In anderen Räumen” und “William Turner”

Kunstausflüge mit Sigrid Balke | zwei Ausstellungen in München bis 10.03. 2024 | Kunstkontraste

im Lenbach Haus: 28.10.2023 – 10.03.2024: | “William Turner: Three Horizons
im Haus der Kunst: 08.09.2023 – 10.03.2024: | “In anderen Räumen” – Environments von Künstlerinnen 1956 – 1976

Bild links: William Turner
© Tate Images N00370

Für einen Kunstausflug nach München braucht es eigentlich keinen Anlass. Bietet die Stadt doch mit zahlreichen Museen, Galerien und Kunstevents ausreichend Gründe, Kunst in vollen Zügen zu genießen. Dennoch reizen zwei temporäre Highlights, die beide noch bis zum 10.März 2024 zu sehen sind, und die sich Kunstliebhaber nicht entgehen lassen sollten. Es sind zwei sehr unterschiedliche Ausstellungen, im Haus der Kunst und im Kunstraum des Lenbachhauses, nicht nur, weil Jahrhunderte zwischen der Malerei William Turner (1775 bis 1851) im Lenbachhaus und der Installationskunst zeitgenössischer Künstlerinnen (1956-1976) liegen, die im Haus der Kunst in Andere Räume (Environments) einladen. Das eine die kunsthistorische Einordnung eines Malers, der als Vorreiter der Moderne gilt, die andere Ausstellung eine Einladung zu unterschiedlichen Raumerkundungen und Sinneserfahrungen.

Three Horizons, so der Titel der Turner Ausstellung, ist die faszinierende Auseinandersetzung mit zwei unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksweisen eines Maler. Joseph Mallord William Turner etablierte sich mit angesagter akademischer Malerei in der Londoner Kunstszene, und experimentierte, teils parallel dazu, mit faszinierender Abstraktion. Eine Provokation für seine Zeitgenossen, die ein damaliger Kritiker mit dem Satz zusammenfasste: „Architektur, die in den Ansichten von Venedig zu flüchtig für irgendetwas anderes ist,als eine Märchenstadt“. Das Eine, die akademische Malerei, sicherte ihm die existentielle Freiheit das Andere zu tun. Für seine Werke, die weitgehend ein Abbild der Realität waren und dem Mainstream jener Zeit entsprachen, inszenierte Turner sich in der Öffentlichkeit und wurde in den Ausstellungen der Royal Academy gefeiert.

Bild rechts: William Turner
©Tate Images N04661

Die finanzielle Unabhängigkeit unterstützte sein Bestreben, das Überwältigende der Natur und seiner Eindrücke des Sichtbaren in einer zunehmenden Loslösung vom Darstellbaren auszudrücken, das Sichtbare in die Abstraktion zu führen. Turners „impressionistisch“ anmutenden Werke, die aus nicht mehr als Licht, Farbe, Atmosphäre und Bewegung bestehen, wurden von seinen Zeitgenossen im besten Fall als unfertige Skizze „als unaufmerksam gegenüber der Natur“ (John Constable) bezeichnet. Dieser Aspekt seiner Arbeit und seine Wahrnehmung damals und heute wird in der Ausstellung ausführlich thematisiert und ist in der Rotunde des Kunstraums mit Texten zeitgenössischer Kritiker, frühen Bewunderern seiner Kunst und Beiträgen mit aktuellen Bezügen ausführlich dokumentiert.

Turner hatte Erfahrung als Architekturzeichner, war später Professor für perspektivisches Zeichnen an der Londoner Royal Academy. Auch davon sind Darstellungen, die Lecture Diagrams, in der Ausstellung zu sehen. Wer Turner verstehen will, wird neue Erkenntnisse gewinnen, den Künstler besser in seine Zeit einordnen können und seine Bedeutung für den Aufbruch der Kunst im 19.und 20. Jahrhundert verstehen. Der Ausstellungstitel Three Horizons bezieht sich auf die zwei Seiten seines Schaffens und, als dritten Aspekt, auf die Rezeptionsgeschichte des Gesamtwerks. Wer Turner und sein Spätwerk genießen will, ist vielleicht etwas enttäuscht. Nicht von der Ausstellung, aber von ihrer Präsentation im Kunstraum des Lenbachhauses. Licht, Helligkeit, der oft bemühte weiße Cube, der Werke zum Strahlen bringt, dass bietet der Kunstraum nicht. Eine sehenswerte Ausstellung ist Turner dennoch – um zu verstehen wie Turner seiner Zeit voraus war. Sein Spätwerk „als ein Zeichen künstlerischen Niedergangs“ beschrieben, während Caspar David Friedrichs präzise gemalten Landschaftsbilder als Inbegriff perfekter Landschaftsmalerei galten. Den Wandel jener Zeit vollzog Turner indem er sich von Konventionen löste, experimentierte und die Freiheit der Kunst, gegen alle Kritik, schon damals für sich in Anspruch nahm.

In Anderen Räumen

Bild links: Inside Other Spaces; Installationsansichten 5, 2023, Agostino Osio


Mit dem Satz Werden Sie zur Katze endet die Anleitung zum Besuch der Ausstellung im Haus der Kunst. Damit ist viel gesagt zu den Erfahrungen, die der Besucher als Hauptakteur der Kunst selbst bestimmt. Es geht um Haptik, um Sehen und Spüren, um Licht und Dunkel, um Akustik und um Unerwartetes. Zwölf Schlüsselwerke internationaler Künstlerinnen aus drei Generationen wurden maßstabsgetreu rekonstruiert, und werden zu Neuinszenierungen von Environments – ein Begriff den Lucio Fontana bereits 1949 für jene Kunst prägte, die den Betrachter aktiv einbezieht. Erstmals im Rahmen der 34. Biennale von Venedig gezeigt, verblüffen die Kunstwerke durch ihre Vielseitigkeit, ihre unterschiedliche Definition des Begriffs Raum. Es sind Räume, die isoliert von der Umgebung unterschiedliche Verhaltensweisen erfordern – Bewegung, Innehalten und Spüren, auf Samtpfoten und ohne Schuhe wie eine Katze unterwegs sein… Mit der Ausstellung verfolgen die Kuratoren das Ziel, eine in Vergessenheit geratene Kunstform und die weibliche Seite der Kunstgeschichte in den Fokus zu rücken, ihr den Stellenwert zu geben, der den Künstlerinnen weitgehend verwehrt blieb. Die oben erwähnte Anleitung verstehen die beiden Kuratoren Andrea Lissoni und Marina Pugliese als ein Instrument das die Besucher auf die Stimmung der Ausstellung vorbereitet, sie auffordert mit dem Körper zu denken.

Bild rechts: Inside Other Spaces; Installationsansichten 16, 2023, Agostino Osio

Ein wunderbarer Ansatz, der zu bestimmten Zeiten leider unmöglich wird. Kunst für Alle, ja, aber wenn der Kunstparcours zum Spielplatz für die Kinder kunstbeflissener Eltern wird, ist inmitten tobender Kinder ein Spüren dieser Stimmung aussichtslos. Der Besuch lohnt sich, aber wählen Sie keinen Ferientag, kein Wochenende und am besten den Vormittag. Ansonsten lässt sich allenfalls erahnen, wie die Künstlerinnen und die beiden Kuratoren sich die Wirkung der Werke auf den Besucher vorgestellt haben.

Dauer beider Ausstellungen: bis 10.März 2024