Kunstausflüge mit Sigrid Balke

Der Begriff Safari stammt vom arabischen Wort Safar und bedeutet Reise. Meist verbindet man das Wort Safari jedoch mit historischen Aufnahmen von Männern mit Tropenhelm und Gewehr in der Hand, oder der modernen Variante mit einer Gruppe von Touristen in Geländewagen, die mit ihren Kameras auf der Suche nach wilden Tieren durch eine afrikanische Savanne fährt. Angewandt auf die Kunstreise durch Sachsen-Anhalt war es weder das eine, noch das andere, aber wie eine Safari war es eine Reise voller Entdeckungen. Der Titel „Kunstsafari“ war also durchaus treffend. Mit den Schwerpunkten Sammlung Moritzburg, Grafikstiftung Neo Rauch, Lyonel Feininger und Kunsthalle Talstraße führte die Safari von Halle über Aschersleben und Quedlinburg zurück nach Halle und war ein Streifzug durch ein Bundesland, dessen Kunstschätze einen Kunstausflug absolut wert sind. Die erwähnten Entdeckungen sind daher nur ein kleiner Teil dessen, was es in Sachsen-Anhalt zu sehen gibt.

Zu Beginn die Kunststiftung Moritzburg als eines der Highlights. Die gelungene Architektur der ehemals erzbischöflichen Residenz, kombiniert mit modernen Gebäudeelementen, wurde zur Schatzkammer für 800 Jahre Kunstgeschichte. In der vierflügeligen Anlage sind schon die Räumlichkeiten in den historischen Gebäuden Teil der Kunst. Die modernen Anbauten verbinden alt und neu, und sind den hochkarätigen Werken der klassischen Moderne, dem Schwerpunkt der Stiftung, und wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Künstler vorbehalten. Einmalige Werke und das, wie bei einem frühen Werk von Gustav Klimt, im doppelten Sinn des Wortes. Es ist das einzige Gemälde Klimts in Deutschland, und befindet sich in illustrer Gesellschaft mit Werken von Max Beckmann, Max Liebermann, Erich Heckel, Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Paula Modersohn-Becker, Franz Marc, Karl Schmidt-Rothluff, Otto Müller, Emil Nolde und viele weitere Künstler aus dem Who’s who der Klassischen Moderne. Nicht wenige dieser Werke haben eine wechselvolle Geschichte von Verlust, Zurückkauf, Wiederentdeckung oder späterer Überlassung. In diesem Zusammenhang dürfen Werke aus der Zeit zwischen 1945 und 1990, der SBZ und DDR Zeit, nicht fehlen. Ergänzt wird die bildende Kunst mit Arbeiten aus der Kunst-und Designschule Burg Giebichenstein. 1915 als Kunsthochschule gegründet, hat sie bis heute mit ihren beiden Fachbereichen Kunst und Design deutschlandweit ein unverwechselbares Profil. Die kunsthistorischen Fragestellungen und Themen der wechselnden Ausstellungen sind für Direktor Thomas Bauer-Friedrich immer auch der Anlass für einen gesellschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Diskurs und ein inspirierende Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst.
www.kunstmuseum-moritzburg.de

In Aschersleben erlebte das Gelände der ehemaligen Papierfabrik Bestehorn anlässlich der Landesgartenausstellung 2010 eine Renaissance als Bildungscampus. In der strengen Architektur des Stuttgarter Büros Lederer Ragnarsdóttir Oei hat die Stadt ihrem berühmten Künstler die Grafikstiftung Neo Rauch eingerichtet. In Leipzig geboren, wuchs Neo Rauch bei seinen Großeltern in Aschersleben auf, der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts. Der Künstler der Neuen Leipziger Schule ist international anerkannt und mit seinen Werken unter anderem im MoMA in New York vertreten. Die Ausstellungen in der Grafiksammlung wechseln jährlich, und die Besucher tauchen ein in die Welt von Neo Rauch, dessen Bilder Situationen einfangen, Stimmungen abbilden und vor allem Geschichten erzählen.

Bild rechts: Neo Rauch: “Prospekt“, 2017, 125 x 211 cm; Acryl auf Leinwand,
courtesy Galerie EIGEN + ART, Leipzig /Berlin; David Zwirner; © Neo Rauch, VG Bild-Kunst, Bonn 2024; Foto: Harald Lambacher

Mit der Wende warf der damals 29jährige Rauch sein malerisches Konzept subjektiver Expressivität vollständig um wandte sich einer Malerei zu, in deren Werken der Betrachter wie in einem aufgeschlagenen Bilderbuch „lesen“ kann. Noch bis 27. April 2025 sind unter dem Titel „Bläue“ Kostüme, Requisiten und Bühnenbilder für die romantische Wagneroper Lohengrin zu sehen Gestaltet von Neo Rauch und seiner Frau Rosa Loy waren sie 2018 bei den Festspielen erstmals im Einsatz, und durch die Wiederaufnahme 2025 werden sie erneut in Bayreuth zu sehen sein. Wie wäre es, Musik und bildende Kunst miteinander zu verbinden, und sich Kostüme und Bühnenbild auf der Bühne, und weitere Werke von Neo Rauch in seiner Grafikstiftung anzuschauen. Bis April 2025 sind die Arbeiten zu Wagners Lohengrin noch in Ascherleben zu sehen, und schaffen zusammen mit zahlreichen, europaweiten Leihgaben eine zauberhafte Blaue Stunde – egal um welche Uhrzeit. Dann erzählen die Figuren der beiden Künstler ihre Geschichten, immer mit dem Ziel, die Welt zu verzaubern.
www.grafikstiftungneorauch.de

Lyonel Feininger, Bauhauskünstler, Grafiker, Karikaturist, Maler, Fotograf und sowohl in den USA als auch in Deutschland zuhause, gilt als Meister der Moderne mit dem besonderen Talent, aus dem Alltäglichen das Transzendente herauszuarbeiten. Das Lyonel Feininger Museum in Quedlinburg zeigt seit diesem Jahr eine neu konzipierte und mit Neuerwerbungen ergänzte, deutsch-englische Dauerausstellung. Sehenswert, denn den Kuratoren gelang ein gut nachvollziehbarer Streifzug durch seine künstlerische Entwicklung. Angefangen von den ersten Zeichnungen, die er bereits 1890 im Wiener Wochenblatt und in den Humoristischen Blättern, später in der Chicago Tribune veröffentlichte, über seine „kubistische Phase“, bis zu seinem Spätwerk. Feininger ebnete mit seiner Kunst den Weg in den Kubismus und gab als Dozent für Formenlehre und Leiter der Druckwerkstatt am Bauhaus in Weimar, wertvolle Impulse. Seine Ästhetik beruhte, wie er selbst sagte, “auf dem Prinzip der Monumentalität und Konzentration bis zum absoluten Extrem meiner Sicht”. Diese Herangehensweise fand ihre Apotheose im berühmten “Halle-Zyklus”. Von 1929 bis 1931 im Torturm der Moritzburg entstanden, verbindet er eine semiabstrakte Formensprache mit der Monumentalität der mittelalterlichen Architektur der Saalestadt.

Das Museum befindet sich zentral in der pittoresken Altstadt der Welterbestadt Quedlinburg und Kunstliebhaber kommen so auch in den Genuss eines eindrucksvollen Stadtbummels durch 1100 Jahre Stadtgeschichte und zahlreiche Baustile. Der Nachlass eines Quedlinburgers, Dr. Hermann Klumpp, war auch der Ausgangspunkt des Feiniger Museums, einer der weltgrößten Sammlungen mit Werken des bekannten Künstlers. Mit Feininger befreundet, bewahrte er für ihn ein umfangreiches Konvolut der als entartet bezeichneten Bilder auf, als Feininger vor der nationalsozialistischen Herrschaft in sein Geburtsland Amerika zurückkehrte. Gezeigt werden erste, noch naturalistisch gemalte Werke, seine Karikaturen und Gemälde, davon zahlreiche maritime Sujets. Sie zeichnen seinen Weg zum „Prismaismus“, seiner persönlichen Interpretation des Kubismus, nach, von dem er sich in seinen späten Werken wieder entfernte. Die Konstruktion seiner Grafiken sowie die nicht realistische Farbgebung seiner Gemälde sind letztendlich einzigartig. In der Familie Feininger war Kunst allgegenwärtig und so ist das Werk Feiningers in seine Lebens-und Familiengeschichte eingebunden. Zu sehen sind Familienfotos und auch Werke seines Sohnes, dessen Gemälde unter dem Namen T.Lux Feininger der sachlichen Romantik zuzuordnen sind. Die Sammlung Lyonel Feininger bietet in weiteren Räumen auch bekannten, zeitgenössischen Künstlern eine Plattform für temporäre Ausstellungen.
www.feininger-galerie.de

Bild links: NIna K. Jurk: Serie Landschaft

Kehrt man bei der Kunstsafari an seinen Ausgangspunkt zurück, ist man wieder in Halle und hat Gelegenheit für einen zweiten Blick auf die Stadt. Der ist auch notwendig, denn ihr Charme erschließt sich nur bedingt beim ersten Hinsehen. Der Weg in die Kunsthalle Talstraße, eine Gründung ehemaliger Kunsthochschüler, ist daher eine gute Gelegenheit mehr von der Stadt zu sehen, die architektonisch, historisch und kulturell einiges zu bieten hat. Nach dem Vorbild des Anwesens von Hofkapellmeister Reichart, das Ende des 18.Jahrhunderts ein Treffpunkt intellektueller Literaten darunter Goethe, Novalis oder Brentano war, ließ ein erfolgreicher Papierfabrikant 1820 eine spätklassizistische Villa auf der gegenüberliegenden Seite der Saale errichten. Das wunderschöne Gebäude verfiel in der DDR Zeit und ohne das Engagement einiger Giebichensteiner Kunsthochabsolventen wäre es inzwischen abgerissen und einem Neubau gewichen. Stattdessen ist es seit 2014 ein Ort für sehenswerte, thematische Kunstausstellungen mit Werken aus den umliegenden Museen und dem eigenen Bestand, für Matineen und Musikabende, Soireen und Sommerfeste im großzügigen Garten, der zugleich Raum für eine Skulpturenausstellung ist. Mit drei Ausstellungen pro Jahr werden die Villa und der angrenzende neue Trakt bespielt Mit viel Engagement und Kunstverstand zusammengestellt, sind diese kleinen, feinen Ausstellungen einen Abstecher wert. Nach dem Thema „Sehnsucht Romantik“ beginnt im Dezember die neue Ausstellung „Reisen ins Ungewisse“, die sich dem Surrealismus widmet.
www.kunstverein-Talstrasse.de

Wer sich die Zeit nehmen kann, wird in Halle noch vieles entdecken, lässt sich von der rätselhaften Himmelsscheibe von Nebra verzaubern und von den Frankeschen Stiftungen und dem lebendigen Bilderkosmos ihrer Wunderkammer beeindrucken. Welche Schätze es in und um Sachsen Anhalt noch zu entdecken gibt, überlasse ich Ihnen und Ihrem Zeitbudget.

© alle Fotos in diesem Beitrag: Harald Lambacher