„Wo in der Welt kann ein Bild sein?“ – über Katharina Grosse

Katharina Grosse im Internet: www.katharinagrosse.com

Aktuelle Ausstellungen und Projekte von Katharina Grosse

Wo in der Welt kann ein Bild sein?“ – über Katharina Grosse

In der stetig wachsenden Liste unserer kunstportal baden-württemberg-Künstlerporträts fehlte bislang Katharina Grosse. Die in Freiburg geborene Künstlerin, die seit längerer Zeit in Berlin lebt und international unterwegs ist, gehört zu den wichtigsten Künstlerinnen aus Baden-Württemberg.
Jetzt, seit 10. April, ist ihre Arbeit in der Staatsgalerie Stuttgart– genauer: im Kunstgebäude am Schlossplatz – zu erleben – in einer großen Landesausstellung:
Staatsgalerie Stuttgart | 11.04.2025 – 11.01.2026: | Katharina Grosse – The Sprayed Dear:
Wir nutzen dies als Gelegenheit, um endlich diese “gewichtige Lücke“ unserer Porträtliste zu schließen.

Beim Pressetermin zur Ausstellungseröffnung war Gelegenheit, die Künstlerin kennen zu lernen, deren Arbeit mich selbst schon lange begeistert. Immer wieder frappierend: die überwältigenden, sinnlichen und farbgewaltigen Rauminstallationen, in denen man Farben und Raum körperlich zu erleben glaubt.

Bild oben: Ausstellungsansicht: Katharina Grosse – The Sprayed Dear
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Schon lange bevor der Begriff immersiver Wahrnehmungswelten zum Modebegriff wurde, waren eben solche bei Katharina Grosse in ihren Ausstellungen zu erleben.
Besonders spannend ist die Begegnung mit der Künstlerin für mich, weil schon im Pressegespräch sehr deutlich wird, dass die Künstlerin gleichzeitig einen hoch reflektierten, sehr intellektuellen Umgang mit der Kunst pflegt.

Bild links: Katharina Grosse: | Ohne Titel,1989 | © Katharina Grosse / VG Bild Kunst, Bonn 2025

In der aktuellen Ausstellung erleben wir, wie beide Zugänge zur Kunst nicht im Widerspruch oder in “Konkurrenz“ zueinander stehen, sondern direkt miteinander korrespondieren. Die Ausstellung verbindet ganz aktuelle Werke wie die gänzlich ortsspezisch entwickelte Gestaltung des Raumes im Kuppelsaal, wo wir das formatfüllende Graffity-Kunstwerk (ergänzt durch eine nach oben raumgreifende Welle aus Aluminium – für Surfer klarerweise eine Wave to ride) am Boden betreten müssen, weil es daran kein Vorbei gibt, mit früheren Arbeiten der Künstlerin. Einige ganz frühe Arbeiten (1987-1989); etwa auch aus Paraffin und Polyethylen; s.o.) werden sogar erstmals gezeigt.

So liegt es nahe, das Künstlerinnenporträt bei einem Ausstellungsrundgang zu entwickeln.

Ausstellungsansicht: Katharina Grosse – The Sprayed Dear
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Bevor wir den Kuppelsaal be- und der Kunst also im beschriebenen ganz konkreten Sinne nahe treten, begegnen wir im ersten Saal einer riesigen Styropor-Skulptur. Zusammengefaltet wirkend ist diese Arbeit vollständig weiß, ohne jede Farbe. Und zwingt uns, auf Abstand zu bleiben, um die Skulptur herum zu gehen. Unsere Erwartung immersiver Farbwelten wird also zuerst frustriert; wird uns vielleicht als Vorurteil bewußt gemacht?

Nein: die Künstlerin belehrt uns nicht, ihre Arbeit aber macht sichtbar, wie sehr wir in gewohnten Bahnen denken: auch die große Skulptur wirkt auf uns als Bild, sie dominiert der Raum, den wir so noch nie gesehen haben.

Hendrik Bündke, der Kurator der Ausstellung, schreibt dazu im Pressetext:
Neben der raumgreifenden Installation »The Sprayed Dear« belegt eine übergroße, weiße Styroporskulptur mit dem Titel »Ghost« das Interesse der Künstlerin am Zusammenspiel von Form und Fläche, während die aus grundierten Leinwandstoffen bestehende Skulptur »Untitled« den Blick auf die dreidimensionalen Qualitäten ihrer Leinwandarbeiten lenkt.

Bild rechts: Ausstellungsansicht: Katharina Grosse – The Sprayed Dear
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Immer wieder auch las ich zuvor, dass die Künstlerin Grosse in ihrer Arbeit Schubladengrenzen (Zwei oder Dreidimensionalität? Malerei oder Performance?) überschreitet / einfach ignoriert und damit vielleicht auch unsere Wahrnehmung insgesamt in Frage stellt und deren Instabilität beschreibt.

Hilfreich zum Verständnis ihrer Arbeit erscheint mir ein Zitat der Künstlerin aus dem Katalogbuch „Katharina Grosse – Studio-Printings 1988-2022“, das die Herausgeber ihrem Einleitungstext voranstellen:

Farbe ist etwas sehr Intimes. Sie löst sofort Reaktionen aus. Ich benutze sie, um die Strukturen meines Denkens zu verfolgen, denn das ist das, worum es beim Malen meines Erachtens eigentlich geht“.
Zweimal lesen lohnt sich: der Malprozeß erscheint hier in dialektischer Umkehrung des Gewohnten: der Akt des Malens als Reflexion, als Bewußtmachung des eigenen Denkens.

Bild links: Ausstellungsansicht
Katharina Grosse – The Sprayed Dear
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Katharina Grosse denkt nach über das Bild; im Presse-Gespräch wirft sie selbst explizit die Frage auf: Wo in der Welt kann das Bild sein?

Natürlich erinnert uns dies an den in in unserer Porträtserie immer wieder zitierten Kunsttheoretiker Hans Belting, der in seiner Diskussion der Frage nach dem Ort des Bildes darüber nachdachte, ob das Bild, das unstrittig vor uns an der Wand hängt, ebendort ist, oder vielleicht tatsächlich eigentlich erst in unseren Köpfen, wo es ja gewissermaßen neu entsteht.

Wir sollten hier, wie oben beschrieben, die Malerei nicht zuerst (wie gewohnt) als expressiven Akt wahrnehmen, sondern als reflektierende, forschende Arbeit, als Suche nach dem eignen Denken deuten: Ähnlich vielleicht, wie ich selbst, wie auch chon hier in dieser Serie beschrieben, etwa die Klavier-Impressionen von Keith Jarrett nicht als expressiv, sondern als sensorisch, als ein Herantasten an die Wirklichkeit, an das eigene Erleben wahrnehme, könnten wir Katharina Grosses Werke als aktive (kann man das sagen?) rezipierend-impressionierende Arbeit empfinden. Katharina Grosse fordert sich und damit auch uns als Betrachter zur geistigen Arbeit auf.

In diesem Sinne, so denke ich, schreibt der Kunstexperte und Philosoph Ludger Schwarte (im Katalog: “Wolke in Form eines Schwertes – Katharina Grosse“) zur Arbeit dieser Künstlerin:

Bild rechts: Katharina Grosse: | Ohne Titel, 2019 | © Katharina Grosse / VG Bild Kunst, Bonn 2025

In einem Bild fallen Gedanke und Anschauung ineinander. Übereinander her. Nebeneinander zusammen. Und dann auf einmal: Übersicht, Verständnis. Der Tumult der Farben weicht der Sicht auf eine Anordnung von Gestalten. Mit einer solchen Sicht erteilen Bilder uns eine Anordnung. Es sind visuelle Befehle. Sie affizieren unsere Bewegungsimpulse. Sie fesseln das Sehen und nehmen das Denken in Beschlag. Sie bannen unsere Imigination und prägen sich uns oft tiefer ein als die Dinge, die uns in der direkten, alltäglichen Wahrnehmung begegnen. (Katalogbuch, Seite 94)

In unserem leider nur kurzen Gespräch am Eröffnungstag der Ausstellung bestätigt mir Katharina Grosse; dass die Frage nach dem Ort des Bildes, vielleicht auch die Frage nach dem Wesen des Bildes in diesen Zeiten der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz ganz neu gestellt werden muss.

Auch Walter Benjamains kluge Gedanken, die er in seinem berühmten Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. (Hier dazu der Wikipedia-Eintrag) gewinnen vor diesem Hintergrund ganz neue Relevanz. In unserem letzten Hinkelstein (Nr. 34 vom 13.04.2025) haben wir hier im kunstportal-bw, auch in Bezug auf die Ausstellung hier im Kunstgebäude, dazu über denkbare gesellschaftspolitische Implikationen neu nachgedacht.

Dieses Porträt über die zweifellos auch weiterhin hochproduktive Künstlerin Katharina Grosse, deren Arbeit wir im Blick behalten werden, möchte ich abschließen mit der von ihr selbst an uns alle gestellten Denkaufgabe:

Wo in der Welt kann das Bild sein?

Jürgen Linde im April 2025