Hausbesuche | Jürgen Linde zur aktuellen Ausstellung der
Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen | 25.07. – 26.10.2025: | »Linolschnitt heute – XIII Grafikpreis der Stadt Bietigheim-Bissingen«
Vorab: oft erscheinen ja unsere unregelmäßigen „Hausbesuche“ als eine Art Reisebericht, weil die Begegnungen unterwegs manchmal wichtig sind. Und Reisen im ÖPNV ist noch immer erlebnisreicher als auf der Straße im Stau zu stehen. Hin – und Rückfahrt per Bus und Bahn haben (entgegen den felsenfestsitzenden Klischees) mal wieder pünktlichst geklappt.
Seit etwa 10 Jahren aber klage ich selbst immer wieder über den zunehmend ruppigeren Umgang der Menschen unterwegs: Auf den Bahnhöfen und in den Zügen wird viel geschoben, gedrängelt und angerempelt, das Klima ist aggressiver geworden in den letzten Jahren.

In unserer Gesellschaft, in den Medien und brennpunktartig vielleicht im öffentlichen Nahverkehr: Krieg liegt in der Luft.
Ganz anders zunächst ist dies in Museen, Ruheräume der Kontemplation und der Besinnung und eigentlich eher friedlich. Und für Kunstfreunde nicht selten sogar lebendiger als der vielleicht nur „hektische Stadtraum“.
Dies gilt selbstverständlich auch für die Ausstellung Linolschnitt heute XIII: Zum 13. Mal präsentiert die städtische Galerie Bietigheim-Bissingen ihre exklusiv der Linolschnitt-Technik gewidmete Wettbewerbsausstellung: gut 500 Künstler aus 33 Ländern haben sich diesmal beworben um den international renommierten Kunstpreis.
Malerisch, farbstark, vielfältig und frei begegnen uns die gezeigten Werke. Im Vorwort zum Katalog weist der OB der Stadt treffend darauf hin: Viele, die sich beim Stichwort Linolschnitt an ihre Schulzeit erinnern, staunen begeistert, was in dieser Technik heute möglich ist.
Die Festlegung auf „nur Linolschnitt“ scheint weniger begrenzend als beflügelnd zu wirken; insbesondere bei Sergei Moser, dem Sieger des Wettbewerbs (siehe Plakatmotiv oben), der seine Arbeiten auch als „Linolgemälde“ bezeichnet. Dazu bald mehr hier im kunstportal baden-württemberg.
Ein Fest der Kunst – im Kontrast zur Alltags-Tristesse in unserem eher ein wenig depressiv gestimmten Land?
Jein: Ein Fest der Kunst, die sich demgegenüber ihren Freiraum bewahrt und produktiv ausschöpft und die sich selbstverständlich, hier sicher auch dank der internationalen Ausrichtung der Schau, intensiv mit den aktuellen Kriegen unserer Zeit auseinandersetzt. Eine Ausstellung, die insofern festlich, keineswegs jedoch fröhlich sein kann.
Ernst also ist die Stimmung, ist die Atmoshäre dieser Ausstellung. Ich möchte sagen: angemessen ernst: Gerade jetzt, da sich Kriege und autoritäre gesellschaftliche Tendenzen international ausbreiten, hat und übernimmt die Kunst die Aufgabe, die noch vorhandenen Freiräume sichtbar zu machen, auszuschöpfen und auf Sicht, womöglich wieder auszuweiten.

Olesya Dzhurayeva: Under the pressure. Window of Hope, 2024,
Linolschnitt, 25-teilig; 258,5 x 393,5 cm, je 50,5 x 77,2 cm, Unikat
Das wichtigste Werk der Linolschnitt heute XIII ist für mich deshalb eine Arbeit der zweitplatzierten Olesya Dzhurayeva. Geboren in Tadschikistan, lebt sie seit 1989 in Kiew in der Ukraine und hat ihre Kriegserfahrungen hier verarbeitet: Ein Bild(?) aus 25 gleichgroßen rechteckigen Linoldrucken; Stadtlandschaften von 2013 und 2021, alle, bis auf das in der Mitte, schwarz überdruckt – Window of Hope.
Alles andere als naiv ist diese Hoffnung, stattdessen zeichnet (oder schneidet?) die Künstlerin nach meinem Empfinden hier eine exakte Analyse der aktuellen Lage, die nicht hoffnungslos ist, düster schon: das Fenster der Hoffnung ist klein und bedarf der vorsichtigen und beharrlichen Pflege. Ausdruck der Angst; eine Warnung?
Krieg liegt in der Luft.
Jürgen Linde für das kunstportal-baden-württemberg, 26.07.2025
Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen
Hauptstr. 60 – 64; 74321 Bietigheim-Bissingen
Tel. 49 (0) 7142 / 7 44 83; Fax 49 (0) 7142 / 7 44 46
Öffnungszeiten: | Di, Mi, Fr 14-18 Uhr, Do 14-20 Uhr, Sa, So, Feiertage 11-18 Uhr