Gedanken zur Malerei von Johanna Jakowlev

Bild oben: Lichtumschlungen, 2024; 110 x 150 cm

Wer sich, etwa auf der Website von Johanna Jakowlev, umschaut, sieht schnell: Die Malerin, die im Studium und auch danach, natürlich schon „alles Mögliche“ ausprobierte, hat inzwischen längst ihre Thematik gefunden: in allen Arbeiten, die sie online in drei Werkreihen präsentiert, sind Himmel, Landschaft und Architektur die durchgängigen Themen.

Durch diese klare Themenfestlegung kann sie ihre Arbeit nun auf die Malerei selbst fokussieren: Licht, Flächen und Raum, Farbklänge und Farbräume erkundet sie immer wieder neu, in der Absicht, jeweils einen neuen Ort zu finden, ein stimmiges Bild zu erarbeiten, das dann fertig ist, wenn eben all diese Aspekte ein rundes Ganzes ergeben. Einen neuen stimmungsvollen Ort, ihren Ort. Dazu experimentiert sie mit verschiedenen Formaten, verschiedenen Leinwänden, etc.: etwa beim Ausprobieren z.B. besonderer Vinyl-Farben aus Frankreich, die sie dann mit ganz feinem Pinsel auf eher grobe Leinwand aufträgt, entwickelt sie neue Farbräume. Alle in einer gewissen ganz bestimmten Mattigkeit, die sonst kaum erzeugt werden kann.
So entstehen immer neue Bilder, neue Orte, die wir genau kennen lernen möchten.

Keine Menschen im Bild, keine gewöhnlichen Geschichten.
Bild, Licht, Farben, Perspekive.

Architektur, unverkennbar ein zentrales Thema.
Viele Fragen:

Menschengemachtes und die Natur, die schon da war?
Wo bin ich hier?
Warum geht es mir hier so gut, so dass ich bleiben will?
Wodurch entsteht die starke Spannung, die diese Bilder erzeugen?

Beim Versuch, die Wirkung von Bildern zu begreifen und dies sprachlich zu artikulieren, verwende ich gerne Gedichte, die mir dann gerade rechtzeitig wieder einfallen und die ja sprachlich (neudeutsch:) generierte Bilder liefern; hier; angesichts von Ruhe und Meer als ständig wiederkehrenden Motiven bei Johanna Jakowlev, ein Gedicht von Theodor Fontane: Die Frage bleibt (1895)

Bild links: Gelichtet, 2023
160 x 110 cm

Die Frage bleibt (1895)

Halte dich still, halte dich stumm,
Nur nicht forschen, warum? warum?

Nur nicht bittre Fragen tauschen,
Antwort ist doch nur wie Meeresrauschen.

Wie’s dich auch aufzuhorchen treibt,
Das Dunkel, das Räthsel, die Frage bleibt.

Harmonie, Ruhe, Kontemplation – zuerst erlebe ich die Werke von Johanna Jakowlev als Erzählungen. Vom Frieden vielleicht? Einem Frieden, in welchem die Architektur, die in allen Bildern sehr präsent, gar dominant ist, mit der Außenwelt in Übereinstimmung existiert? Das von Menschen gemachte also in Harmonie mit der Umwelt; mit Meer, Himmel und Licht?

Oder, auch das wäre auch zu fragen: Zeigen diese – hier streng bauhausartigen – architektonischen menschengemachten Eingriffe, wie die Menschen die Natur dominieren, beherrschen wollen?

Menschen erscheinen in Johanna Jakowlevs Arbeiten figürlich schon lange nicht mehr. Das gemalte Bild selbst muß in sich stimmen – Farben, Flächen; und zahllose Details, die wir Betrachter auf Anhieb gar nicht bewusst wahrnehmen, müssen zu einer Einheit geformt werden, erst dann kann das Werk fertig werden, kann es “stimmig“ sein. Stimmigkeit nennt mir die Künstlerin als eine unabdingbare Forderung, die sie an sich und ihre Arbeit stellt.

Bild rechts: „Ein neuer Tag“, 2021, 110 x 160 cm

Den Wunsch nach Stimmigkeit haben wir wahrscheinlich alle. Da mir die Forderung nach der Stimmigkeit eines Bildes ein klein wenig zu technisch klingt (wie etwa „der goldene Schnitt“ oder die Symmetrie) , möchte ich ihn in unserem Kontext ergänzen oder erweitern: Tatsächlich suchen wir nach einem Gefühl, nach dem Empfinden von Harmonie, (von Glück?).
Auch Johanna Jakowlev bestätigt mir im Gespräch, dass Stimmigkeit alleine nicht genügt: Auch ein Horrorfilm mit Freddy Krüger kann durchaus sehr stimmig sein); die Künstlerin aber will auch eine inhaltlich jeweils ganz bestimmte Stimmung erzeugen und/oder ausdrücken und (modern:) evozieren.
Zu ihrem jeweiligen Ort gehört auch die individuell ganz besondere Atmosphäre. Ich versuche, dies so zu differenzieren:
Stimmigkeit (insofern eben ein technischer Begriff) können wir wahrscheinlich formal soweit „einkreisen, definieren“, dass auch eine gut trainierte KI stimmige Bilder malen kann. Um jedoch die gewünschte Stimmung zu erzeugen, bedarf es der Seele – der Seele der Künstlerin oder des Künstlers und der des Betrachters.
Der KI-Experte Prof. Dr. Ralf Otte hat kürzlich in der FAZ (28.07.2025; S. 18, Digitalwirtschaft) einen klugen Artikel veröffentlicht über „Die ultimativen Grenzen der künstlichen Intelligenz“. Otte zeigt auf, wie die Logik (durchaus eine eigene Wissenschaft) ab einer gewissen Stufe der Komplexität für die KI unüberwindliche Hindernisse schafft, die die KI zu ewigem Rechnen ohne Ergebnis führen; er selbst zitiert die berühmte Zahl 42, die unsere Leser aus der Hinkelstein-Reihe [siehe z.B. Hinkelstein Nr. 47: Erinnerung an die Zukunft II (dort weiter unten) ] gut kennen.
In der Kunst bildet die Stimmung ein solches Hindernis, denn hier bedarf es der Seele: der geheimnisvolle Ort, der uns Menschen zu Menschen macht, die Seele, da kommt die KI nicht hin. „Faszinierend“ würde Spock sagen, logisch. „Nach innen geht der geheimnisvolle Weg“ bemerkte der Romantiker Novalis dazu.

Doch in unserer Zeit der Disruptions und der Disrupters erscheint schon Stimmigkeit als unerreichbar. Unsere Medienwirklichkeit liefert uns systematisch andere Bilder: schnelle, laute Nachrichten (nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten), die in hoher Taktrate durch die Medien rauschen, heute vor allem durch das Internet. News, die auf uns eintrommeln und einander zu übertrumpfen versuchen.

Bild oben: Durch und durch, 2021; 100x 150 cm

Für Stimmigkeit ist längst kein Raum mehr; diese gehört zu einer anderen (vergangenen) Wirklichkeit. Heute neigen wir dazu, Begriffe wie Harmonie und Frieden den (naiven?) romantischen Wunschvorstellungen zuzuordnen.

Viele ältere Menschen, vielleicht vor allem Menschen der schreibenden Zunft, kennen die Erfahrung, dass sich eigene reale Erlebnisse und Erfahrungen aus Büchern, die wir gelesen haben (nennen wir sie „indirekte“ Erlebnisse?) vermischen und rückwirkend gar nicht mehr exakt getrennt werden können. Vielleicht war ja die Harmonie zwischen Mensch und Natur immer schon ein Wunschtraum – nur(?) Fiktion?
Stimmigkeit. Haben wir eine solche überhaupt schon mal selbst erlebt, oder ist diese schon eine Erinnerung an alte Geschichten, die uns Leute erzählen, die sie selbst auch schon gar nicht mehr erlebt haben?

Auch die Märchen, die uns Kindern damals vorgelesen wurden (oder auch nicht; wir kennen sie trotzdem), waren ja Fiktionen (lass Dir bloß keine Märchen erzählen!). Eher fiktional ist dann wohl auch die Vorstellung heiler Welten in früheren Kulturen (etwa die Einheit vom Menschen und (äußerer Natur) bei den Indianern (natürlich vor der Entdeckung Amerikas)?. Moderne Märchen wie etwa der Film Avatar von James Cameron, lesen wir als Analogie dazu oder als neue Version: das Amerika der Indianer ist darin die Idylle des Planeten Pandora, bis die Menschen kommen.

Dennoch: Unvermeidlich mindestens, fast schon unzerstörbar ist offenbar unser Bedürfnis, uns eine Welt vorzustellen, in der Mensch und Natur sich in Einheit miteinander befinden, in einem Gleichgewicht.
Unsicher ist, ob und/oder wo es dies jemals gegeben hat. Weise schrieb der Philosoph Ernst Bloch in seinem Hauptwerk (Das Prinzip Hoffnung) „Heimat ist ein Ort, an dem noch nie ein Mensch gewesen ist“

Bild rechts: „Morgen“, 2021, 140 x 120 cm

Und doch glauben wir, uns daran zu erinnern, vielleicht weil dies einer inneren (uns Menschen inhärenten) Notwendigkeit entspricht?

Gerade ist in der Kunst die Neo-Romantik en vogue, ist Thema einiger Ausstellungen. Von Januar bis März gab es dazu die Ausstellung „Neo-Romantik“ beim Kunstverein Rottweil, kuratiert von dem Künstler (und wohl auch Philosophen Simon Strauß, dessen hervorragenden Einführungstext zur Ausstellung ich sehr zur vollständigen Lektüre empfehle:
Du suchst das wort, von dem du mehr nicht weißt, als dass es fehlt.

Darin schreibt er unter anderem: Vielleicht werden Spätere einmal auf uns zurückschauen als letzte einer Art. Nachzügler, kurz vor einem evolutionären Sprung. Als jene, die die Fähigkeit zum Empfinden noch besaßen, aber keine richtige Verwendung mehr dafür hatten. Wie eine Art unbrauchbaren Atavismus, der einfach noch da ist, aber nichts mehr kann.
Die Kunst vermag diese Erinnerung (sei sie eine authentische oder eine „indirekte“) zu bewahren.
Und wir Kunstleute haben, so denke ich, die Aufgabe, daran mitzuwirken, dass diese Erinnerung nicht verloren geht.
Was in der praktischen Alltagswelt längst verschwunden ist, bleibt in der Sphäre der Kunst lebendig – und darüber hinaus: die Kunst kann (sie kann gar nicht anders, als) diese Erinnerung dialektisch um(zu)kehren und vorzustellen als eine Möglichkeit, eine denkbare Wirklichkeit.
Kunst beschreibt unsere Welt als kontingente Wirklichkeit, die also auch anders sein könnte: hier liegt die Verbindung zur Transzendenz: Kunst bedeutet immer auch Imagination.

Jetzt sehe ich besser, warum Johanna Jakowlevs Bilder mich so faszinieren, in mir eine Spannung erzeugen, die ich nicht wieder verlieren möchte.

Die Arbeiten von Johanna Jakowlev zeigen auf ganz eigene Weise diese Möglichkeit: Menschengemachtes kann oder könnte sich einfügen in die Umwelt, in die Natur.

Bild oben:“Durchatmen“, 2023, 90 x 110 cm

Johanna Jakowlev zitiert auf Ihrer Website gleich anfangs Marie-Christine Beck:

Und da fand ich mich in einem Land wieder, das mein Leben hieß.
Sah alle Wege, die ich gegangen bin, die ich noch gehen werde.
Erblickte das Vergangene und die Zukunft, die Erfahrungen und den Traum.
Schaute auf die Bauten meiner Seele, jede Farbe ein Gefühl –
und darüber einen Himmel voller Möglichkeiten
.“
© Marie-Christine Beck, Berlin:

Ja, Imagination ist unsere Aufgabe in der Kunst.
Ich nenne deshalb dieses Porträt über die Malerin Johanna Jakowlev

Himmel voller Möglichkeiten
Jürgen Linde im September 2025