KunsthalleTübingen | 08.11.2025 – 08.03.2026 | Bewohnte Mythen – Joseph Beuys
Das Leben und Werk von Joseph Beuys (1921ꟷ1986) ist eng mit der Kunsthalle Tübingen verbunden. Der Künstler war Anfang der 1970er Jahre bis zur Jahrtausendwende nicht nur mehrmals in Ausstellungen in der Universitätsstadt vertreten, seine Werke befinden sich auch in der hauseigenen Sammlung.

Bild links: Joseph Beuys:
weisses Mädchen, 1957
Bleistift und Wasserfarbe auf Papier (Kalenderblatt), 46 x 32,1 cm
MSM 00526
Museum Schloss Moyland
© Joseph Beuys Estate / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Foto: Stiftung Museum Schloss Moyland / Kai Werner Schmidt
In den letzten Jahren wurde zunehmend problematisiert, dass das Werk von Beuys stark vom Erlebnis des Zweiten Weltkriegs geprägt ist. In der Rolle des Künstler-Schamanen wollte er für transzendente Dimensionen und die Ganzheit allen Lebens sensibilisieren. Dies verstand er dezidiert als Gegenentwurf zum Krieg, aus der Kunst heraus. Als prononciert ästhetische Reaktion auf die Krisen- und Umbruchserscheinungen hat er eine eigene undogmatische Kunstreligion entwickelt, die neben religiösen Traditionen auch mythologische, volkskulturelle und anthroposophische Elemente miteinbezog.
Im Zeichen eines »erweiterten Kunstbegriffs«: Beuys als Mittler zwischen vormodernen und gegenwärtigen Erfahrungswelten
Beuys hat den Kunstbegriff so nicht nur radikal hin zu einem anthropologisch-gesellschaftlichen Konzept erweitert. Wie kein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat er vormoderne Vorstellungswelten und Riten in die moderne Gesellschaft integriert, um ein Bewusstsein für die Verbindungen aller Lebewesen zu schaffen. So forderte Beuys bereits in den 1960er Jahren in seinem »Energieplan« eine neue Einfühlung in die Tier- und Pflanzenwelt. Das von ihm solchermaßen künstlerisch verbildlichte Bewusstsein für die spirituell verstandenen Energien der Erde und der Natur kann deshalb heute noch als Potenzial für Versöhnung und Heilung des aus der Balance geratenen Planeten verstanden werden.
Die Ausstellung Bewohnte Mythen in der Kunsthalle Tübingen kontextualisiert das Werk mit über 100 Arbeiten von Joseph Beuys in der Zeit seiner Entstehung – der für Mythen empfänglichen Nachkriegskunst. Neben Zeichnungen, Skulpturen und Videos des Künstlers sind daher in der Ausstellung auch Werke von Willi Baumeister, Hermann Nitsch, Richard Oelze, Meret Oppenheim und Fritz Winter vertreten. In einem chronologischen Parcours wird darüber hinaus anschaulich gemacht, dass vormoderne Traditionen das umfangreiche Œuvre von Beuys wie einen roten Faden durchziehen – vom Frühwerk bis zu seinen späten Aktionen und politischen Auftritten: Angefangen bei seinen Zeichnungen, in denen er Motive aus dem Volksglauben nachspürte, über die Heilkunde bis in die 1960er Jahre, in denen er – beeinflusst von der Fluxus- und Happening-Bewegung – Riten als magische Katalysatoren in Aktionen einsetzte, um beim Publikum die Sinne anzusprechen und uns zum Nachdenken anzuregen. Aus symboltheoretisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive ebnet die von Nicole Fritz konzipierte und kuratierte Ausstellung so einen Zugang zum Verständnis der individuellen Kunstsprache von Beuys und seiner künstlerisch artikulierten Weltdeutung.
Neueste Forschungsergebnisse zu Beuys und dem Nationalsozialismus aus dem Museum Schloss Moyland werden in der Ausstellung Bewohnte Mythen und im Rahmenprogramm ebenso berücksichtigt wie aktuelle Sichtweisen des Feminismus und der Human-Animal Studies auf das Beuys’sche Werk.
Kuratorin: Dr. Nicole Fritz
Hauptleihgeber: Museum Schloss Moyland
Leihgebende: Galerie Thaddaeus Ropac, Sammlung Froehlich, Kunstmuseum Basel, Sammlung Lothar Schirmer u. a.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit interdisziplinären Essays renommierter Wissenschaftler*innen: Dr. Nicole Fritz, Prof. Dr. Volker Leppin, Dr. Cathrin Klingsöhr-Leroy, Prof. Dr. Jessica Ullrich.