Kunstausflüge mit Sigrid Balke | Staatsgalerie Stuttgart | noch bis 11.01.2026: | Einzelausstellung Katharina Grosse

Grosse Kunst – die Interpretation des Wortspiels überlasse ich dem Betrachter. Fakt ist: Katharina Grosse steht für große und großformatige Kunst, für Farben die überwältigen, Formen die faszinieren, für immersive Kunst die Grenzen aufhebt. Betreten der Kunst ausdrücklich erlaubt, das Eintauchen in die atmosphärischen Farbwelten zwischen zauberhaft zart und knallig graffitimäßig gehören bei Grosses Kunst oftmals dazu.

Derzeit zu erleben in der großen Landesausstellung Baden-Württemberg. Das Gebäude der Staatsgalerie am Stuttgarter Schlossplatz bietet mit seinen Räumlichkeiten jedem der Werke eine eigene Bühne. Wer die große Kuppelhalle des Kunstgebäudes betritt, befindet sich mitten im Kunstwerk, wird Teil von The Sprayed Dear, eine speziell für diesen Raum geschaffene raumgreifende Skulptur. Eine Anspielung auf den goldenen Hirsch, the deer, der außen auf der Kuppel des Gebäudes in die Welt schaut – dear deer? Die Distanz zwischen Betrachter und Kunstwerk ist aufgehoben, das begehbare Kunstwerk wird zu einer intensiven, beeindruckenden Kunsterfahrung.

Grosses Werke sind die großartige Einladung Grenzen zu überschreiten, Sehen neu zu erleben, Sichtweisen zu verändern. Katharina Grosse, bekannt für ihre temporären Farb-Raum-Wunder, überrascht bei dieser Ausstellung auch mit skulpturaler Malerei ohne Farben „Untitled“– eine weiße Leinwand die sich in amorphe Formen auflöst und durch den Blick nach draußen die Wahrnehmung der realen Welt verändert. Auch „The Ghost“ – eine Plastik ganz aus weißem Styropor, überwältigend in ihrer auf Formen reduzierten raumfüllenden Präsenz, ihrem Zusammenspiel von Form und Fläche und der Abwesenheit von Farbe. Einfach Gross(e)artig.

Die Ausstellung zeigt neben einem repräsentativen Querschnitt von Werken der vergangenen Jahre auch Materialexperimente aus ihrer Studienzeit in den 80er Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie. Dieser Rückblick auf die Anfänge trägt, aus meiner Sicht, nur bedingt zum Verständnis ihrer Kunst bei. Ihre Arbeitsweise, die Art wie Katharina Grosse das gedankliche Konzept, die Komposition ihrer farbigen Sprühnebel mit Kompressor betriebenen Airbrush-Pistolen, klar und strukturiert umsetzt, würde tiefere Einblicke ermöglichen. Klare Konzepte hatte man ihr nicht selten abgesprochen, und als Zufall abgetan. Sieht man die Künstlerin bei der Arbeit – so zuletzt auch bei der Installation zur Art Basel – wirken die mit expansiver Geste aufgetragenen großflächigen Farbwelten zwar impulsiv, aber im Ergebnis folgen sie einer klar definierten Choreografie – zufällig und spontan ist hier nichts.

Charmant und witzig wirft ein, in einer Vitrine aufwändig präsentiertes, bemaltes Osterei einen Blick auf die eher zurückhaltende Künstlerin, das mehr über ihre Person und vielleicht auch über ihr Kunstverständnis aussagt, als ihre Studienarbeiten: eines ihrer ersten Kunstwerke aus Kindertagen. „Schon damals beschränkte sich meine Malerei nicht auf Papier“… Katharina Grosse reihte das Osterei augenzwinkernd in ihr Werkverzeichnis ein.

Staatsgalerie Stuttgart/Kunstbau am Schlossplatz www.staatsgalerie.de
Ausstellungsdauer: bis 11.Januar 2026
 © Text: Sigrid Balke
 © Fotos: Harald Lambacher