Drei Generationen Baumhauer. | 01.12.2025 – 26.07.2026 | Museum im Prediger Schwäbisch-Gmünd

Eine Künstlerfamilie der Moderne:

Kapitel I – Genius Loci Schwäbisch Gmünd
Die Künstlerfamilie Baumhauer steht exemplarisch für diesen besonderen „Geist“, denn künstlerische Begabung und kreatives Können wurde über Generationen weitergegeben. Alle Mitglieder der Familie stammen aus Schwäbisch Gmünd, haben ihre Ausbildung sowohl hier als auch in Stuttgart absolviert und dann auch einen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Schwäbisch Gmünd gefunden. Stadtraum und Landschaft, Traditionen und Bräuche, Menschen und Zeitgeschehen werden in den Werken aller Baumhauers dokumentiert.
Alois Baumhauer entwirft Vignetten, Logos, Plakate und Kostüme für Firmen und Veranstaltungen, zeichnet und malt seine Heimat und seine Kriegserlebnisse. Sepp Baumhauer gibt dem Gmünder Wappentier Einhorn eine neue Form und gestaltet mit seinen ausdrucksstarken Skulpturen sowohl kirchliche als auch öffentliche Räume. Monika und Regina Baumhauer interpretieren malerisch die Gmünder Landschaft, widmen sich aber auch
gesellschaftspolitischen, zeitgeschichtlichen und religiösen Themen in Zeichnung und
Skulptur.

Kapitel II – Figuration und Bildhauerei
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Sepp Baumhauer von 1950 bis 1954 an der Kunstakademie Stuttgart bei Willi Baumeister und Manfred Henninger in der Fachklasse für Malerei. Prägend für Baumhauers Entwicklung waren Henningers Figurenkompositionen, die abstrahierende Ansätze zeigen, aber das naturalistisch Abbildhafte nicht hinter sich lassen, wie Hennigers Radierung Ohne Titel von 1967 zeigt. In der Malerei und vorbereitenden Zeichnung erkundete Baumhauer die Plastizität der Figur, nach der er seine Metallplastiken schuf, die sein hauptsächliches Schaffen als Bildhauer ausmachen.
Die Bronzegruppe der Wächter von 1998, mit einer Vorzeichnungen ausgestellt, führt exemplarisch vor Augen, dass das Humane, der Mensch und die Auseinandersetzung mit der Gestaltung des menschlichen Körpers von Anfang an bis zuletzt das große Thema war, an dem sich sein Schaffen entzündete. Den Sinn für die Metallplastik ebenso wie für religiöse Themen gab der Vater an seine beiden Töchter weiter, wie Monikas eindrucksvolle Madonna auf der Mondsichel und Reginas Kreuzweg-Bronze veranschaulichen.

Kapitel III – Krieg und Schicksal
Die Leben von drei Generationen Baumhauer umspannen das gesamte 20. Jahrhundert und darüber hinaus. Auch ihre Kunst wurde von den Verwerfungen dieser Zeit beeinflusst. So hielt Alois Baumhauer im Ersten Weltkrieg den Frontalltag in zahlreichen Skizzen fest, insbesondere die ereignislosen Momente des Ausharrens während des Stellungskriegs bei Verdun. Seine idyllischen Ansichten der französischen Kleinstadt Thiaucourt lassen den
Wunsch nach friedlicheren Zeiten erahnen.
Nach ihrem Studium lebte Regina Baumhauer mehrere Jahrzehnte in New York. Dort begann sie die Serie Open Letters – im buchstäblichen Sinne, da sie als Untergrund zunächst aufgefaltete Briefumschläge verwendete, aber auch im übertragenen, mit Werken, die sich zu gesellschaftspolitischen Themen wie offene Briefe an die Betrachtenden wenden. Jo Stotz und Paula Straus – frühe Absolventinnen der Gmünder Fachhochschule; die Jüdin Straus wurde 1943 in Ausschwitz ermordet – spielen dabei ebenso eine Rolle wie allgemein zwischenmenschliche Vernetzungen.

Kapitel IV – Kostüm und Rolle
In seiner druckgrafischen Folge zu Odysseus setzt sich Sepp Baumhauer mit Szenen der griechischen Mythologie auseinander, beispielsweise dem Parisurteil. Hauptaugenmerk bei den Radierungen ist jedoch die Beschäftigung mit Körpern im Raum und der Versuch, mit Schraffur, Punktierung oder der bloßen Linie ein Höchstmaß an Plastizität zu erreichen. Sein Vater widmete sich in farbenfrohen und fantasievollen Entwürfen einem lokalen Mythos: dem Geiger zu Gmünd. Die Verwurzelung der Legende in der Gold- und Silberstadt spiegelt
sich in Kostümen wie dem für den Goldschmiedemeister wider.
In den Arbeiten der Künstlerin Monika Baumhauer bekommt das Spiel mit Rolle und Verkleidung eine soziale Dimension. Ihre Dame mit Federbüschel scheint auf einer Bühne zu stehen, im Rampenlicht und gleichzeitig eingeengt. Auf den Lippen liegt kein Lächeln, fast wirkt das Gesicht wie eine Maske. Der Wunsch, sich aus gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, spricht auch aus Regina Baumhauers verschlüsselten Darstellungen ihres Alter Egos Miss Liberty.

Kapitel V – Tierwelt
Tiere sind im Werk von Sepp, Monika und Regina Baumhauer sowohl als Skulptur als auch in der Malerei und der Zeichnung vertreten. Sepp Baumhauers in unterschiedlichen Formaten gestaltete Bronzetiere zeigen neben einer
starken Körperlichkeit auch eine gewisse Unvollkommenheit und Verletzlichkeit. Monika Baumhauer malt Tiere mit großer farblicher Intensität und Ausdruckstärke, die selbstbewusst dem Betrachter gegenübertreten.
Regina Baumhauer gestaltet Zeichnungen mit Tierfiguren und Spielzeug, dem sie symbolhafte
Deutungen und zeitgeschichtliche Bezüge zuordnet.

Kapitel VI – Abstraktion und Abbild
Das Gesamtwerk der vier Künstlerpersönlichkeiten der Familie Baumhauer repräsentiert mehr als ein Changieren zwischen Abstraktion und Naturalismus, stets sind Potentiale und Entwicklungen zu beobachten, die eine Lust am Spiel mit unterschiedlichen Medien, Gattungen und Themen erkennen lassen.
Das formale Spektrum ist weit: Es spannt sich von den aufgebrochenen Oberflächen weiblicher Akte, die den Blick ins Innere freizulegen scheinen (Sepp Baumhauer) über eine realitätsnahe Darstellung individueller Persönlichkeit in der Porträtmalerei und Zeichnung (Alois und Monika Baumhauer) bis zu vielfältigen Varianten der Open-Letter-Form bei ReginaBaumhauer, die sie in unterschiedlichen Formaten und unter Verwendung textiler Elemente
mit ihren vielfältigen Anspielungen auflädt.

Biografien

ALOIS BAUMHAUER
1984 verstorben in Schwäbisch Gmünd
1923 Heirat mit Maria Kessler
1922 Rückkehr nach Schwäbisch Gmünd und Tätigkeit als selbstständiger
Designer und Grafiker
1920 – 1922 Besuch der Kunstgewerbeschule München
1919 Heimkehr und Arbeit als selbstständiger Grafiker in Schwäbisch
Gmünd
1916 & 1918 Zweifache Verwundung
1915 Eingezogen zum Militär im Ersten Weltkrieg; Ostern 1915 an die Front
bei Verdun, Frankreich
1910 – 1914 Tätigkeit für die Firma August Richter in Hamburg und Besuch der
Kunstgewerbeschule Hamburg
1909 Zeichner und Modelleur bei Carl Rudolph Silberwarenfabrik,
Schwäbisch Gmünd
1906 Lehre in der Silberwarenfabrik Gebr. Kühn und Besuch der Fachschule
für das Edelmetallgewerbe, Schwäbisch Gmünd
1890 geboren in Schwäbisch Gmünd

SEPP BAUMHAUER
2011 verstorben in Schwäbisch Gmünd
1994 Schutzmantelmadonna, Seniorenzentrum St. Anna, Schwäbisch
Gmünd
1990 Ausstellung Zum 60. Geburtstag von Sepp Baumhauer, Museum im
Prediger, Schwäbisch Gmünd
1984 Brunnerfigur Musik im Stadtgarten, Schwäbisch Gmünd
1976 Ausstellung Stahlplastiken, Predigerpassage, Schwäbisch Gmünd
Seit 1955 Arbeit als freier Bildhauer und Maler; Studienreisen nach Frankreich,
Italien, Griechenland, Amerika
1953 Wandrelief im Innenhof des Heiliggeistspitals, Schwäbisch Gmünd
1950 – 1954 Studium an der Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
bei den Professoren W. Baumeister, M. Henninger, H. Fegers
1930 geboren in Schwäbisch Gmünd

MONIKA BAUMHAUER
2021 Wandgemälde für den Raum der Stille, Kloster-Hospiz der
Franziskanerinnen, Schwäbisch Gmünd
2019 Ausstellung Landschaft, Figur, Stillleben zu ihrem 60. Geburtstag,
Museum im Prediger, Schwäbisch Gmünd
2013 Gestaltung der Kapelle des Kreiskrankenhauses Mutlangen
Seit 2010 Mitglied der Kunstkommission Rottenburg
2001 Gesamtgestaltung der Katholischen Kirche St. Josef, Schwäbisch Hall
ab 1986 Kunsterzieherin am Gymnasium in Stuttgart und Arbeit als
freischaffende Künstlerin
1982 – 1984 Studium der Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart
1978 – 1984 Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
bei den Professoren M. Baumgartl, S. Michou, R. Haegele
1959 geboren in Schwäbisch Gmünd

REGINA BAUMHAUER
2022 Partizipatives Skulptur Projekt Harbour of Hope, Hoffnungshaus,
Schwäbisch Gmünd
2016 Ausstellung Little Miss Liberty Crossing the Delaware, Deutsches Haus
at NYU (New York University), New York, und Museum im Prediger,
Schwäbisch Gmünd
ab 1993 Arbeit als freischaffende Künstlerin in New York
1992/93 Beginn an der Serie Open Letter, die alle seither entstandenen
Arbeiten auf Leinwand umfasst
1991-1993 Gestaltung des Hohenheimer Kreuzwegs, Stuttgart
1988 – 1990 Aufbaustudium, Staatliche Akademie der Bildenden Künste,
Stuttgart bei Professor P. U. Dreyer
1986 – 1987 Studium an der Boston University, MA Art Department
1982 – 1986 Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
bei den Professoren M. Baumgartl, H. Bachmayer, R. Haegele
1962 geboren in Schwäbisch Gmünd