Abstand braucht Nähe – über Annette Ziegler

Annette Ziegler im Internet:
Website: https://az-annetteziegler.de
E-Mail: annette-ziegler@t-online.de

BBK Karlsruhe, Kunst am Bau, Ausstellung im Landgericht…Annette Ziegler war mir ein geläufiger Name, als mir Dietmar Zankel den Katalog zeigt, den er gerade mit und für Annette Ziegler gestaltet und produziert hat:

Keine Ahnung hatte ich, für welch umfangreiches Oeuvre allein die hier vorgestellten Arbeiten der letzen Jahre stehen. Auch kannte ich nicht die “Spiel-Figuren“; eine faszinierende Werkgruppe aus den Jahren 2003 bis 2004.

Überwältigender noch ist die Vielfalt verschiedener Werkgruppen, die mir Annette Ziegler bei einem Atelierbesuch präsentiert: wie vom Katalog her erwartet, dominieren zunächst sehr bunte, farbgewaltige Bilder in verschiedenen, auch durch die Formate ganz unterschiedlichen Serien. In Landschaften, die aus Farbfeldern entstehen, findet die Künstlerin ein ganz eigenes Gleichgewicht aus – eher verschwindender – Gegenständllichkeit und – überwiegender – Abstraktion.

Auch scheinen sich die vielen Farben aus einer inneren Gesetzmäßigkeit heraus um einen meist zentralen, Ruhe ausstrahlenden Kern herum von selbst anzuordnen.

Eine Reihe kleiner Skulpturen bringt ein wenig afrikanische Atmosphäre ins Atelier und – schließlich fesseln schwarz-weiße- Hängeobjekte an der Decke meine Aufmerksamkeit.

Diese vom Neben- und Hintereinander der Muster sehr lebendigen Arbeiten, entstanden aus Karton, Papier oder aus Stoffbahnen, die einfach nebeneinander gehängt werden können, werden ausschließlich schwarz-weiß bemalt.

Die schwarz-weißen Arbeiten entstehen durchaus gleichberechtigt neben den vielfarbigen, und bei den Spielobjekten widerum wird beides integriert: auf allen Seiten jeweils verschieden bemalt, bekomme ich beim Drehen der Skulpturen oft auch schwarz-weiße Seiten zu Gesicht.

Konzentration und Reduktion kulminieren schliesslich in dem monochrom bemalten roten Spiel-Objekt “Schlagzeg“: aufgrund des in unterschiedlichen Winkeln einfallenden Lichts entstehen dennoch am Objekt selbst verschiedene Rottöne, wie die Künstlerin zeigt, indem sie das Objekt dreht. Als Modell bereits 2,50 Meter hoch, soll die geplante Realiserung aus Stahl nochmals deutlich größer werden.

Annette Ziegler, die über 25 Jahre lang als Professorin für Zeichnen an der Hochschule für Technik und Gestaltung in Mannheim gearbeitet hat, will mit ihrer künstlerischen Arbeit

“Mehr LUST und FREUDE in unsere Umwelt“ bringen.

Tatsächlich gelingt ihr dies ja auch, was nicht zuletzt ihre Bemalung des Kindergartenturmes in der Kösslingerstrasse in Waldstadt beweist, aber wie schafft sie das?

Nun, auch Annette Ziegler kann mit ihrer Kunst nicht unmittelbar die Welt verbessern, was mancher aus dem Slogan herauszuhören versuchen könnte. Die Künstlerin erzeugt keine Harmonie, sondern macht vorhandene Harmonie sichtbar, indem sie uns lehrt, besser zu sehen.

So, wie wir in ihren Arbeiten in der dialektischen Verbindung aus gesetzmäßiger Strenge und lebendigster Vielfalt innere Ruhe und “Richtigkeit“ erkennen können, so wandelt sich auch unser Blick für den Rest der Welt.

Das Stichwort Dialektik erinnert mich an einen kompetenteren Kunstbetrachter, an Adorno und dessen “Darmstädter Gespräche“:

“Nun, in einem formalen Sinn ist es gewiss richtig, dass jedes späte Quartett von Schönberg und jedes Bild von Picasso in sich ebenso sinnvoll organisiert ist, dass jedes Teilmoment in dem gleichen Sinne eine Funktion des Ganzen und umgekehrt ist, wie es in der traditionellen Kunst der Fall war. So verstanden, bezeichnet der Begriff der Harmonie fraglos etwas Übergreifendes.“

“Ich würde dialektisch sagen, dass die Harmonie des modernen Kunstwerkes darin besteht, dass es das Zerrissene, selber unversöhnt, unversetzt zum Ausdruck bringt und ihm standhält, und dass eigentlich in diesem Standhalten, in diesem Worte finden für das, was sonst wortlos ist, das einzig Versöhnende liegt.“

Hans Sedlmayr, Theodor W. Adorno: Darmstädter Gespräche; zitiert nach Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Hatje-Cantz Verlag 2003

Band II, Seite 803

Und so geht es mir mit den Arbeiten von Annette Ziegler:

Die Kunst verändert nicht die Welt, macht sie nicht besser. Sie kann aber unseren Blick verändern, kann uns besser Sehen lehren.

Wir treten ein Stück zurück; versuchen, das Ganze zu sehen, und erkennen – gegebenenfalls – eine Harmonie, die sich dem Blick aufs Detail noch nicht erschließt.

Nicht, daß die Welt als Ganzes harmonisch – und somit “gut“ – sei, doch nur, wer das Ganze zu sehen versucht, kann sich selbst (darin) richtig sehen. Richtig ist hier natürlich gemeint im Sinne von “wahrhaftig“, nicht im Sinne einer positiven Bewertung.

Annette Ziegler hat mir gezeigt: Nähe braucht Abstand. Und genauso, natürlich:

Abstand braucht Nähe.

Jürgen Linde im Mai 2005

Alle Fotos: © privat / Annette Ziegler / VG Bildkunst Bonn, 2023