Bilder mit Beweiskraft – über Bernhard Schmitt († 2018)

Kritik der Urteilskraft oder die Entdeckung der Langsamkeit?

ONUK Fotografie
www.onuk.de
Bernhard Schmitt, M.A.
(† 2018)

Nachlass von Original-Arbeiten aus dem künstlerischen Schaffen von ONUK Bernhard Schmitt aus den Jahren 1998 – 2016:
www.onuk.de/nachlass
Kontakt: Bettina Wohlwend | Tel. (0721) 750 86 45 | info@artports.com

Der zweite Untertitel ergibt sich erst später; den ersten Untertitel darf ich als Nebenfachphilosoph von Immanuel Kant klauen, weil er erstens gut passt und weil zweitens die Geisteswissenschaft (auch wenn es lange her ist) den Künstler und mich verbindet und weil drittens sowohl das Medium Fotografie als auch die spezifische Vorgehensweise von Bernhard Schmitt nach meinem Empfinden eben die Urteilskraft hinterfragen.

Bernhard Schmitt, Foto eventclip-video 2005

Die Manipulation mit Bildern sowie die Manipulation von Bildern sind hier wichtige Aspekte: nicht nur begegnet uns die Welt sehr stark visuell , wie nicht zuletzt die Iconoclash-Diskussion bestätigt; auch können wir heute Bilder elektronisch so perfekt manipulieren, daß Fotos vor Gericht heute keine Beweiskraft mehr haben.

Bernhard Schmitt ist mir schon lange bekannt: als Fotograf ist er auf sehr vielen Pressekonferenzen und bei Ausstellungseröffnungen dabei. Wann wir uns persönlich kennengelernt haben, weiß ich deshalb nicht so genau; dass er als Fotograf vor allem Künstler ist, hat sich für mich erst nach und nach herausgestellt.

Bangkok, © Bernhard Schmitt, VG Bildkunst Bonn 2020

Ganz deutlich wurde dies zuletzt in der Ausstellung „Paris- Bangkok“, die Bernhard Schmitt gemeinsam mit Monika Müller-Gmelin im Karlsruher Kulturcafé Gotec bestritten hat.
Ideale Räume für die großformatigen Arbeiten, die nun wieder in Mappen eingelagert sind, die Bernhard mir dennoch gerne zeigt, als ich ihn in seinen Wohn- und Arbeitsräumen in der Karlsruher Weststadt besuche.
Der Ausblick von hier über die Dächer der hochhausarmen Umgebung ist fast schon ein typisches Motiv für Bernhard Schmitt: „Stadtlandschaften“ nennt er einen seiner Arbeitsschwerpunkte, mit den Stichworten “Frauen“ und “fremde Länder“ ist die Liste dann auch schon ziemlich vollständig; halt: die Theaterfotografie soll nicht unterschlagen werden.

Die künstlerische Arbeit folgt also thematisch klaren Konzepten, deren Ideen auch von seiner ursprünglichen Ausbildung her mitinspiriert sind oder zumindest sein könnten: Bernhard Schmitt ist gelernter Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe. Natürlich haben Schmitts Arbeiten keine unmittelbar politischen Aussagen (was der Kunst mindestens schaden oder diese gar verhindern würde), doch sind die inhaltlichen Perspektiven und Fragestellungen offenbar denen des Soziologen nicht unähnlich: bei den Stadtlandschaften spielt das Soziologenthema Urbanisierung natürlich eine Rolle, besonders interessant ist hierbei die multikulturelle Sicht, die daraus entsteht, daß Stadtlandschaften verschiedenster Länder entstehen.

Bangkok, © Bernhard Schmitt, VG Bildkunst Bonn 2020

Wenn Bernhard Schmitt Frauen fotografiert, so handelt es sich – wenn er dies beruflich als freier Fotograf tut – teilweise um Werbefotografie, wie wir sie aus den Medien kennen; hier wird der perfekte Techniker sichtbar. Für den Künstler Bernhard Schmitt gilt eine andere, sehr konzeptionelle Herangehensweise: “Hälfte des Lebens – Frauen um vierzig“ oder “Lebensstufen – Frauen um 20 und 70“ etwa heißen zwei seiner Serien, die auch mehrfach ausgestellt waren und als Kataloge vorliegen.

Wieder ist es der gesellschaftliche Aspekt, der das Ganze besonders interessant macht. Wenn Zeit und Aufträge es zulassen, soll auch diese Arbeit in anderen Ländern und Kulturkreisen fortgesetzt werden.

Hände, 1999 | © Bernhard Schmitt, VG Bildkunst Bonn 2020

Die jeweiligen Berührungspunkte der verschiedenen Kulturen und Gesellschaften zeigen uns die enorme Komplexität des Themas, die jedwede schnelle Bewertung ausschließen und uns zum Nachdenken gemahnen.
Hier kommen wir schon zur Urteilskraftthematik: wenn wir sagen, daß irgend etwas der Fall ist (Beispiel: „dieser Text hier ist sehr gut“), fällen wir damit ja ein Urteil, auch wenn wir reine Fakten zu beschreiben glauben. Genauso scheint ein Foto einfach Fakten zu zeigen: es ist wie es eben ist.
Bernhard Schmitt zeigt uns, daß wir nicht allein etwa durch die Auswahl (Perspektive, Bildausschnitt) und das Licht durchaus schon relevante, letztlich interpretierende Randbedingungen setzen, nein: die Subjektivität hat auch eine ganz klar inhaltliche Dimension. So sind es ganz verschiedene Dinge, ob man Frauen um Vierzig in Indien, im Irak oder in Deutschland fotografiert, so verschieden eben, wie diese Lebenswelten und Gesellschaften verschieden zueinander sind.

Den multikulturellen Vergleich, den Bernhard Schmitt leistet, verstehe ich deshalb als eine systematische Infragestellung der Urteile, die mit den einzelnen Bildern jeweils vorliegen. Erst muß der Gesamtzusammenhang gesehen werden, um dann – (lieber erst mal noch k)ein Urteil zu fällen.

Insofern wäre “Die Entdeckung der Langsamkeit“ auch ein Titel gewesen, den ich für diesen Beitrag hätte klauen können, zumal diese, die Langsamkeit, ein prägendes Merkmal der künstlerischen Fotografien ist – gerade bei denen , die Bewegung thematisieren,etwa indem sie aus einem fahrenden Zug heraus entstanden sind.

Am meisten faszinieren mich die Arbeiten, die malerisch anmuten, die oft erst auf den zweiten bis dritten Blick als Fotografien erkennbar werden. Auch dies prüft unsere Urteilskraft.

X-Train, © Bernhard Schmitt, VG Bildkunst Bonn 2020

Und auch, wenn es stimmt, daß Fotos vor Gericht keine Beweiskraft haben, so zeigen doch die Bilder von Bernhard Schmitt eindeutig: Die Entdeckung der Langsamkeit ist ein wichtiger Erkenntnisfortschritt. Es gibt sie also doch –

Bilder mit Beweiskraft.
Jürgen Linde im Mai 2003