Das Flüstern der Bäume – über Hanna Kagermann

Hanna Kagermann
E-Mail: Hanna.Kagermann@web.de
[alle Fotos und Bilder in diesem Beitrag: © Hanna Kagermann]

Am 06. April 2007 war die Vernissage in der Karlsruher Produzentengalerie Poly – leicht zu merken, der Termin, denn es ist auch der Geburtstag der Künstlerin. Deshalb wohl gibt es sogar ein kleines Buffet und Livemusik zur Eröffnung der Ausstellung von Silvia Brucker und Hanna Kagermann. Die Arbeiten von Hanna sehe ich auf Anhieb als etwas ganz Neues – es geht offenbar um Kunst und Naturwissenschaft, genauer: um Kunst, Natur und Wissenschaft.

Hanna Kagermann: Makrofotografie, Öl in Wasser | © Hanna Kagermann, VG Bildkunst Bonn 2020

Langjährige LeserInnen unserer kunstportal-bw-KünstlerInnenporträts wissen, daß die jeweils eigenständigen Porträts dennoch in einem Zusammenhang stehen. Bei Hanna Kagermann scheinen nun gleich mehrere Themen zusammenzulaufen:
1. Spannungsverhältnis gegenständliche | nicht-gegenständliche Kunst
2. Grenzen und Übergänge zwischen Bildender Kunst und z.B. Sprache.
3. Kunst und Philosophie, speziell Hegels Dialektik
4. die Bildende Kunst als eine Art ”Schule des Sehens”.
5. im letzten Porträt – Joachim Hirling – ging es um ”die Kunst, die Wissen schafft”.

Hanna Kagermann arbeitet gewissermaßen wissenschaftlich, experimentiert mit Flüssigkeiten und anderen Substanzen, sammelt und dokumentiert empirische Erfahrungen. Doch wirken ihre Werke oft eher lyrisch. Wie ist das möglich? Ist es die Natur, die hier vermittelt? Spielen mythologische Aspekte eine Rolle? Entsteht hier eine Neue Romantik?

Hanna Kagermann

Hanna selbst studiert noch, neben der Kunst parallel an der Karlsruher TH auch Mathematik. Sie zeigte aber bei Poly nicht ihre Zeichnungen, sondern ganz andere Arbeiten: die Ausstellung, die sie gemeinsam mit ihrer Freundin und Kollegin Silvia Brucker bestritt, trägt die ominöse Betitelung: Chemische Hochzeit – Königin & König. Der erklärende(?) Untertitel lautet WWW: Wasser, Weiblichkeit und Wissenschaft.

Beginnen wir mit unserer Liste von hinten:
5. [Kunst und Wissenschaft] seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts – Stichworte Zivilisations- , Technik- und Wachstumskritik – sehen viele Menschen Wissenschaft und Technik als Gefahrenquellen: sie gefährden/zerstören unsere Umwelt und entfremden uns von uns selbst und von der Natur sowieso. Wir alle wissen dennoch, daß wir diese Probleme, die wir zweifellos mitverursacht haben durch zu unkritische Forcierung von Technik und Wachstum, ohne Wissenschaft nicht angehen oder gar bewältigen könnten. ”Zurück zur Natur – aber wie?” war schon 1988 ein passender Ausstellungstitel (Städtische Galerie Karlsruhe).

Hanna Kagermann: Makrofotografie: “Wasser mit Schlieren”, Vincentsgraben, der roten Eisenoxidschlamm transportiert | © Hanna Kagermann, VG Bildkunst Bonn 2020

4. [Sehschule] genaues Hinsehen ist auch eine von Hannas Stärken: ihre fotografischen Arbeiten wirken durch die gewählte Perspektive und den richtigen Bildausschnitt. “Die Schönheit liegt im Blick” (Titel einer Fotoausstellung von Karin Kieltsch 2004/05). Darüberhinaus liegt die Schönheit wohl auch im Gegenstand selbst – und Hanna kommt selbigem sehr nahe: mit Hilfe der modernen Technik – der Makrofotografie. So entsteht Naturnähe in einem sehr konkreten Sinn, der auch viele Romantiker brennend interessiert hätte.

3. [Philosophie und Geist] der – alles integrierende – Geist, der auch die Vorstellungen der Romantik prägte, scheint hier zunächst keine Rolle zu spielen.

Auch die klassische Philosophie insgesamt, die wir bisher gerne in Zusammenhang zur Kunst gesetzt haben, wird ja seit der Philosophiediskussion vor wenigen Jahren zunehmend zurückgedrängt von Naturwissenschaften, vor allem von den Hirnforschern aus dem Lager Wolf Singers. Die Gehirnforschung scheint, so die allgemeine aktuelle Mediensuggestion, alles erklären zu können, wenn sie nur weit genug voranschreiten kann und darf.

2. [Grenzüberschreitungen Bildende Kunst /Sprache] Schon länger ist (durch Wärmebildmessungen) bekannt, welche Sinnesreize welche Gehirnregionen aktivieren. Darüber weit hinausgehend, entstehen Techniken, mit denen Sprache und Bilder so (mit chemischen und elektronischen Mitteln) übersetzt werden, daß – zumindest perspektivisch – beispielsweise Blinde wieder (oder gar erstmals) sehen können.

Mancher wird hier reinsten Technikfetischismus wittern. Doch allein die hier aufscheinende Möglichkeit – sagen wir einer rein physikalischen – Metaebene der Kommunikation ist ein philosophisch interessantes Thema. Schon Sigmund Freud war davon ausgegangen, daß all unsere Triebe (und Handlungen/Entscheidungen) wissenschaftich, biochemisch, abbildbar seien – auf der gleichen Schiene fährt die moderne Gehirnforschung.

Hanna Kagermann: Makrofotografie, Material: schwarze Tusche in Wasser | © Hanna Kagermann, VG Bildkunst Bonn 2020

1. [(Un-)Gegenständlichkeit] Das Bild “Baum” wirkt sicher nicht gegenständlich, aber auch nicht abstrakt im Sinne von reduziert, sondern eher abstrakt im Sinne von überkomplex – es enthält mehr als wir erkennen können. Das ist ganz typisch: einzelne Elemente sind zu erkennen – und andere Materialien, die mehr oder weniger konkret chemisch oder symbolisch oder auch mythisch damit zu tun haben, werden collagenhaft ins Gesamtbild eingefügt.

Wir wollten ja dem unerklärlichen Neuen in dieser Kunst auf die Schliche kommen.
Hanna Kagermann erschließt uns über die Wissenschaft wieder die Natur als Gegenstand der Kunst. Das erinnert mich an den irischen Künstler David Nash, der mir einmal sagte: (sinngemäß: unsere Aufgabe sei) “Coming back to nature by consciousness”.(*) Einer seiner Kataloge hat den wegweisenden Titel: “The Return of Art into Nature”.

Hannas Bilder zeigen für mich, daß dieser Denkansatz nicht im Gegensatz steht zur Romantik, sondern eher in deren Geiste wirkt: Identitäts- und Sinnstiftung waren Aufgaben der Kunst auch in der Romantik: heute könnten wir (mit David Nash und Hanna Kagermann) diese Aufgabe so formulieren: “Coming back to nature by consciousness and science”.

Hanna Kagermann: Makrofotografie: “Feuerkäfer”, im Volksmund auch “Soldaten” oder “Franzosen” genannt.
© Hanna Kagermann, VG Bildkunst Bonn 2020

Dieser Prozess könnte beginnen mit folgender Metapher, die Tolkien in seinem “Der Herr der Ringe” zitiert:

“Wir haben vergessen
das Flüstern der Bäume”
Jürgen Linde, im Mai 2007