Was sehe ich, was ich nicht sehe? – über Katrin Freudenberger

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Katrin Freudenberger

Katrin Freudenberger; © Foto: Kprivat

Was sehe ich, was ich nicht sehe?
Der Titel wird manchem bekannt vorkommen: Kurt Wallander, Hauptkommissar bei Henning Mankell, stellt sich diese Frage immer wieder. Die Zusammenhänge, die Strukturen, die Motive – sie sind da, müssen da sein – die Kunst ist, sie zu erkennen.

Uns Kunstbegeisterten geht es oft ähnlich, die Begeisterung ist schon da, die Faszination, und wir suchen nach den Gründen, nach unserer Motivation.

“Ich konnte nie was anderes als malen“ sagt Katrin Freudenberger; nur halb im Scherz: zwar kann sie viel mehr, doch ohne Kunst geht es nicht.
Offen bekennt sich die Künstlerin dazu, daß ihre Arbeit positiv ist, nicht Konflikte und Ängste thematisiert, sondern Lebensbejahung und Kraft.
Und dennoch sind diese Arbeiten alles andere eindimensional.

„rote Häuserflächen“, 50/40, Acryl, Kreiden, 2005
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020

Was sehe ich, was ich nicht sehe?
Schwierig. Landschaften, Eindrücke, Farblandschaften, Klanglandschaften?
Wieder bewegen wir uns in dem Bereich zwischen gegenständlicher und nicht-gegenständlicher Kunst, der mich immer schon fasziniert.
Was also sehe ich in Katrin Freudenbergers Malerei, das ich nicht sehe?

Studiert hat sie Grafik-Design, dann war sie in verschiedenen Werbeagenturen aktiv, bis sie 1985 ihre eigene gründete und erfolgreich führte. Als vor wenigen Jahren das Geschäft der Werbeagenturen insgesamt stark schrumpfte, wurde es auch für Katrin Freudenbergers Agentur schwieriger – so kam es, daß die Kunst, die zuvor “gleichgewichtig nebenher“ lief, inzwischen zur Hauptaufgabe geworden ist für Powerfrau Katrin, die selbst so schnell auf den Punkt kommt, wie ich hier zu schreiben versuche.

„Landschaft für alle Sinne“, 160/80, Acryl, Kreiden auf Leinwand, 2004 | © Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020

1992 schon war die erste ihrer inzwischen sehr zahlreichen Einzelausstellungen; längst gibt sie selbst Kunstunterricht; Malkursreisen etwa in die Toskana organisiert sie regelmäßig (siehe ihre Website).

Die Bilder, meist Acrylfarbe und Kreide, leben von ihrer farblichen Intensität. Dominierend sind Rottöne, die Farbe des Lebens und der positiven Aggressionen.

„Bananenblatt Sinfonie“, 100/700, Acryl, Kreiden, 2006
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020

Hinzu kommt ein neuer Aspekt: viele der Landschaftsbilder sind entstanden auf Sardinien oder La Gomera oder, öfter noch, in der Toskana. Wer hier schon war, erinnert sich wahrscheinlich, daß in dem besonderen Licht dieser Regionen auch die realen Eindrücke an Schärfe verlieren. Dörfer, die – auch farblich – in der Landschaft zu verschwinden scheinen, die vielleicht Teil der Landschaft geworden sind, sind dort zu finden.

Was ist es, was hat diese Region, das uns (vor allem offenbar uns Deutsche) zur romantischen Verklärung bewegt?

Schlagen wir nach bei Goethe, das kann nie schaden:
So schrieb dieser nach seiner ersten Italienreise:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?

„Weißes Fenster in blauer Pinie“, 80/60, Acryl, Kreiden, 2004
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020

Jetzt kommen wir der Sache auf die Schliche:
Denn nach seiner zweiten Italienreise schreibt Goethe:

Deutsche Rechtlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens,
Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht;
Jeder sorgt nur für sich, ist eitel, misstrauet dem andern,
Und die Meister des Staats sorgen nur wieder für sich.
Schön ist das Land! doch ach!

Katrin Freudenberger verbindet auf ungekannte Weise differenzierte und sensible Wahrnehmungen mit der ihr eigenen Energie und Klarheit; im Licht des Südens finden diese Gegenpole – Sensibilität und Kraft – ihre Verbindung. Die ich als poetisch empfinde – Ruhe und Bewegung, Energie – im Sinne von Lebenskraft – und Zärtlichkeit – finden ihre Einheit in der Farbe. Das Leben als Ganzes scheint Katrins Thema; erst im Licht des Südens findet die Poesie ihren Zugang.

„Toskana Felder mit Haus“, 90/40, Acryl auf Leinwand, 2006
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020

Neben dem “sanften Wind vom blauen Himmel“ gehören eben auch ein gewisses Maß an Eigennutz und an (lebensbejahender) Aggressivität zu einem ganzen Leben. Die Kraft der Arbeiten von Katrin Freudenberger widerspiegelt deren Leistung, dies beides integrieren zu können.

Aufgrund des narrativen Charakters dieser Bilder, die uns erzählen und Erinnerungen bewahren, möchte ich abschließend noch einen lebenden Literaten zu Wort kommen lassen:

“Aber ein Leben ohne Poesie wäre doch nur ein halbes – und das ist immer schwerer zu tragen als das ganze.“
(Der Schriftsteller Ralf Rothmann in seiner Dankesrede zur Verleihung des Heinrich-Böll-Preises der Stadt Köln; zit. FAZ vom 21.01.2006, Seite 35)

Jürgen Linde, im Juli 2006