Wer hören will, muss fühlen – über Christine Kallfass

Christine Kallfaß
Internet: www.christinekallfass.de
E-Mail: christine.kallfass@gmx.net


„Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug“.
Das erste Bild, das ich von Christine Kallfaß hatte. Es ist ein Zitat von Hilde Domin und stand am Ende eines Textes über einen Auftritt von Christine Kallfaß. Mut und Leichtigkeit schwingen hier herein. Der Titel des Textes ist „Eine Frau steppt durch den Sitzungssaal“; das zeigt doch, daß da einiges los gewesen sein muß. Inzwischen weiß ich aus eigener Erfahrung, daß Christine Kalfaß tatsächlich Säle und Seelen in Bewegung zu bringen vermag. Stimme oder besser
STIMME!!!

Chrisatine Kallfaß im Kunstportal Baden-Württemberg
Christine Kallfass, © Foto: Künstlerin

Tanz, Piano und Lyrik sind die Werkzeuge, die sie dazu einsetzt.
Gewöhnlich wird sie dabei begleitet von Michael Vollhardt auf seinem Cello, doch dazu später.
Mit inzwischen einer Woche Abstand zu diesem Erlebnis habe ich nun meine innere Ruhe wieder so weit gefunden; deshalb will ich zumindest versuchen, durch chronologische Schilderug des Tathergangs einem sonst nicht hundertprozentig auszuschließenden Eindruck von Chaos in meinem Beitrag hier entgegenzuwirken.

So fing alles an: bei der Vorbereitung der Melanie Richter-Ausstellung (noch bis 19.11.99) in der Galerie SWO kam Melanie auf die sehr gute Idee, zur Vernissage etwas Besonderes zu tun- gemeinsam mit Christine Kallfaß. Beide nämlich kennen sich, seit sie 1997 gleichzeitig Stipendiatinnen der Kunststiftung Baden-Württemberg waren.
Was Melanie dann beschrieben hat, klang nach einer Art Performance; mit Gesang, Piano und Lyrik würde Christine auf Melanies Bilder “reagieren“. Zwischen den dann folgenden Telefonaten und Faxen blieb tatsächlich noch sekundenweise Zeit zum Nachdenken, so daß für die Veranstaltung folgender Titel entstand:
DEN EINDRUCK ZUM AUSDRUCK BRINGEN
Stimme – Körper -Piano – Lyrik
Aufführung von Christine Kallfaß zur Vernissage von Melanie Richter

Christine Kallfass, (in „Sand knirscht“) © Foto: Künstlerin

Ebendies stand dann auch auf dem weißen Einlageblatt in unseren schwarzen Einladungskarten.
Das war schon der chronologische Teil, denn bei der Vernissage, die ein richtiges Fest wurde, konnte ich die eingangs genannten Erfahrungen machen.

Die Ausstellung „Geier und Ganymed“ behandelt ein Motiv aus der griechischen Mythologie: die Götter ließen den überaus schönen Jünglling Ganymed von einem Adler abholen, damit dieser im Olymp dienen sollte. Christine Kallfaß stellte dann Überlegungen an, was bei der Ankunft im Olymp geschehen würde, warum bei Melanie Reichter der Adler durch einen Geier ersetzt wurde; all dies in vielen Facetten und mit mehrfachem Wechsel der Perspektive…
Bruchlos verbindet Christine Kallfaß ihren gewaltigen Auftritt mit durchaus bescheidenem Auftreten als Person. Faszinierend für mich, wie Christine Kallfaß “Widersprüche“ als vermeintliche entlarvt: Ernst und Humor, Leichtigkeit und Schwere macht sie als zusammengehörend erfahrbar – vermittelt durch die nachhaltige Herzlichkeit, die sie ausstrahlt.

Christine Kallfass, (in „Sand knirscht“), © Foto: Künstlerin

Auch in ihrer künstlerischen Arbeit faßt sie mehr zusammen, als wir sonst gewohnt sind. In der Kombination der genannten Werkzeuge Stimme – Körper -Piano – Lyrik hat Christine Kallfaß eine wirklich eigenständige Form geschaffen, die man wahrscheinlich nur deshalb Performance zu nennen geneigt ist, weil es noch keinen eigenen Namen dafür gibt.

Das erspart uns gleichwohl nicht die Auseinandersetzung damit. Vielleicht ist mein eigenes Motiv für diese besondere Veranstaltung zur Vernissage ein geeignter Einstieg: Kunstvermittlung.
Die Idee war, Kunst – in diesem Fall die Malerei von Melanie Richter – den Menschen näher zu bringen, ohne daß lange Reden gehalten werden – mit kunsthistorischem Ballast, der vielen fehlt -und während der man sich die Beine in den Bauch steht, ohne sich Wein nachschenken zu können.

Stattdessen wollte Christine ihren „Eindruck zum Ausdruck bringen“. Sinnlich reagieren auf die Kunst, in eine Kommunikation eintreten ohne Theorie. Genau dies ist ihr auch gelungen und sie hat dabei viele der Besucher mitgenommen – ein Stück näher zu sich selbst und näher zur Kunst.

Denn Christine vermittelt Kunst: nicht nur die fast, aber auch nicht ganz ungegenständliche Malerei von Melanie Richter, sondern auch die Lyrik, die Gedichte, die sie musikalisch in ihrem Programm verarbeitet, werden sinnlich erfassbar.
Christine interpretiert, neben selbst geschriebenen Texten Lyrik von
Belli, Borges, Domin, Eich, Kästner, Rilke, Schwitters und Ciubataro.

Die musikalisch-theatralische Leichtigkeit dieses Vermittlungsweges widerspricht dabei überhaupt nicht dem großen Ernst der Themen in den Inhalten der Gedichte. Wie das dann genau geht, ist kaum zu beschreiben, aber schön zu erleben.

Christine Kallfass, (in „Marlies oder die Zimmerwand“), © Foto: Künstlerin

Um dennoch einen Eindruck zu geben, zitieren wir aus einem Artikel der Aalener Nachrichten über einen Auftritt von Christine Kallfaß und ihrem künstlerischen Partner, Michael Vollhardt im Rathaus Aalen:
„Moments musicaux et lyriques“, Klavier, Cello und Gedichte sind angekündigt, das verspricht einen romantischen Abend. Völlig falsch! Was die beiden Freiburger Künstler Christine Kallfaß und Michael Vollhardt aus Text und Musik, aus Raum und Zeit, aus Lyrik und Prosa entstehen lassen, schlägt sich zwar aufs Gemüt, ist jedoch weit entfernt von einer Stimmungslage, die zuweilen im Begleittext der Sammelwerke „für gewisse Stunden“ angekündigt sind.

„Gggg“ stottert sie und starrt das Motiv des gelbschwarzen Riesenformats an. „Ggg, geigei…!“ Kallfaß stammelt und röchelt, quietscht und brüllt, winselt und fleht, bis endlich die Kontaktaufnahme mit der Zweidimensionalität gelingt und ein klares „Geierbilder“ ihrer Kehle entflieht. Dies nur ein Beispiel des Spektakels, mit dem das Improvisationsduo die kleine Zuschauerzahl fasziniert.
Die Schauspielerin entpuppt sich als energetisches Wunderwerk, das je nach Vorgabe des.Cellisten Michael Vollhardt wirbelt und tobt, stampft und rennt oder aber ganz klein wird und in sich selbstversunken vor sich hinflötet.

Christine Kallfaß am Klavier im Künstlerinnenporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Michael Vollhardt und Christine Kallfass, © Foto: Künstlerin

Dabei bedient sie sich des unglaublichen dynamischen Spektrums ihrer Stimme, daß es einem angst und bange werden könnte, läßt sie nach Belieben anschwellen, umkippen, verebben und wieder aufflackern. „Ich habe mein Organ positiv im Griff“ erklärt sie, und verrät, daß neben einer guten Ausbildung konsequentes Training den Erfolg ausmache.“
(Aalener Nachrichten)

Mit dem Programm „Moments musicaux et lyriques“ treten Christine Kallfaß und Michael Vollhardt in Galerien und Theatern auf. Die beiden Künstler haben Programm und Kunstform gemeinsam entwickelt. Der Cellist Michael Vollhardt ist unter anderm Solo-Cellist beim Philharmoinischen Orchester Freiburg. Hier jedoch improvisiert er “gnadenlos genial“, so Christine Kallfaß, zu Dichtung, Malerei und zu ihrem Repertoire.

Weitere Programme von Christine, die ja hauptsächlich als Schauspielerin arbeitet:
Marlies oder die Wand:
Solo oder Duo zum Thema Wand – Frau vor, hinter und zwischen der Wand.
Sand knirscht – Strandgut revolutionärer Frauen
Christine spielt in ihrem Ein-Frau-Theater-Stück eine Galeristin, die Bilder zum Thema “Frau und Revolution“ aufhängen soll. Unter anderem treten hierbei Amalie Struve und Lotte aus „Groß und Klein“ von Botho Strauß auf; eine wichtige Rolle spielt Emma Herwegh, über die Christine nach eigenen Recherchen ein Porträt entwickelt hat.

Christine Kallfass, (in „Sand knirscht“), © Foto: Künstlerin

“Überhaupt kein Problem‘, meint sie und legt mit der Arbeit los. Doch je mehr sie sich mit den Biografien der historischen und zeitgenössischen Frauen beschäftigt, desto deutlicher bemerkt sie die Aktualität und wie verstrickt die Thesen der Damen miteinander sind. So wird deutlich, wie der ‚Sand knirscht‘…“(aus: Rastatter Tageblatt, 30.11.98)
Regie: Elisabeth Spahr-Marti

Und ganz neu: Diese Männer
Ein Zeitgeist-Boulevard von Mayo Simon wirft einen liebevoll-ironischen Blick auf die Emanzipationsbestrebungen der 80er und 90er Jahre. Das Zwei-Frauen-Theaterstück wird von Edzard Schoppmann am Schloßtheater Rastatt inszeniert.

Christine Kallfass, (in „Sand knirscht“), © Foto: Künstlerin

aus: „Sand knirscht“

Anfangs hatten wir ein Zitat zitiert: „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“
Wer bei Christines Auftritten ganz genau aufpaßt, kann manchmal erkennen, wie sie ein paar Millimeter über dem Boden schwebt, auf dem sie fest steht.
Musik, Theater, Lyrik – drei Künste, die zusammen gehören. ich versuche mal eine Zusammenfassung zu formulieren in Form einer – leicht veränderten deutschen – Erziehungsweisheit:

Wer hören will, muss fühlen.

Jürgen Linde, 1999