Die bewohnte Stille der Häuser – über Jürgen Hochmuth

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“Wer selbst nicht (künstlerisch) arbeitet, kann das auch nicht vermitteln“ sagt Jürgen Hochmuth, der als Bildhauer zwar keinerlei Hochmut ausstrahlt, aber über ein gesundes Selbstbewußtsein zweifelsfrei verfügt.

Jürgen Hochmuth, © Foto: privat

In drei Jahrzehnten als Kunstpädagoge am Gymnasium, hat Hochmuth in vielen Leistungskursen etlichen jungen Leute die Kunst so nahe gebracht (vielleicht müssen wir sagen: die Nähe der Kunst erlebbar gemacht), daß er immer wieder kontaktiert wird von vielen damaligen Schülern, die ihre Tätigkeit im kreativen Bereich (von der Grafik bis zur Kunstgeschichte) auch auf seinen Einfluß zurückführen, und – wen wundert’s – dafür dankbar sind.

Kennengelernt habe ich den Künstler bei der Eröffnungsausstellung der Galerie Seuren in Karlsruhe, wo auch – vom 05. Mai bis zum 03. Juni 2006 eine Einzelausstellung von Jürgen Hochmuth zu sehen sein wird.
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020
(*)die bewohnte Stille der Häuser – ein Zitat von Louis Aragon (1947), das Jürgen Hochmuth als Titel einer seiner Ausstellungen verwendete.

Als ich ihn in seinem Atelier in Rimpar bei Würzburg besuche, treffen wir uns zuvor in Eibelstadt, wo er in der (Geheimtip:) Galerie Schulgasse gerade ausstellte:
“Musterhaus-Reihenhaus“ so der wahrlich seltsam anmutende Titel der Ausstellung.

Jürgen Hochmuth im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Piazza I, 2006 | Eisen, Blei, 8 x 40 x 40 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Haus, Häuser, komplette kleine – sagen wir – “Dorfarrangements“ sind tatsächlich seit einiger Zeit Hauptgegenstand der Arbeit von Jürgen Hochmuth.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: nur scheinbar führt uns der Künstler auf eine falsche Fährte:
“Musterhaus-Reihenhaus“ – wer dächte dabei nicht an das berühmt-berüchtigte (radiogedudelte) Musterhaus-Küchen-Fachgeschäft und an – natürlich spießigst-langweilige Reihenhäuser.

Dialektisch schlau führt uns Hochmuth – der Bildhauer hier als Sprachphilosoph – über die provokative Betitelung zurück zu den Wortbedeutungen: was ist ein Reihenhaus? Eben – eine Aneinanderreihung von Häusern. Diese, jeweils ganz alleine auch existierenden – und auch immer fensterlos völlig verschlossenen – Bauteile reiht er aneinander; fast immer aus Gußeisen und meist unterbrochen von einem Einzelstück aus Holz, dessen Besonderheit noch durch die ergänzte Farbigkeit betont wird. Die ganz eigene Anmutung des Eisens gilt ihm als fertig und wird noch durch farbige Bearbeitung ergänzt – oder in Frage gestellt?

Jürgen Hochmuth im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Reihenhaus 1 -06; 2006 | Eisen,Blei, Holz; 7x10x5 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Klarheit und Konzentration dieser Skulpturen-Arrangements begeistern und werfen die Frage auf, wie dies möglich ist: was hier so faszinierend wirkt, ist mir zunächst mal gar nicht klar. Die Einfachheit der Form scheint damit zu tun zu haben.

Haus, Behausung, Schutz, Sicherheit tauchen als Assoziationen auf – natürlich auch Heimat, bei Ernst Bloch mit dem Tod dialektisch untrennbar verbunden. Die Einfachheit der Hochmuth’schen Häuser hat aber, wer lange genug sieht, erlebt dies, auch ein ganz archaisches grundlegendes Element.

Als Bildhauer beschäftigt sich Hochmuth natürlich mit der menschlichen Figur: vom Kopf über den Helm zum Schädel, gelangt er vor allem in der 90er Jahren zu seinen Schädelhäusern, die sich – bei immer weiter entwickelter Klärung und Reduktion – als Häuser zu erkennen geben.
Das Haus erweist sich als Archetypus (griechisch: Urbild) auch des Schädels und des Kopfes.

Jürgen Hochmuth im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
4 Häuser; 2004 | Bronze, Holz bemalt, 8 x 27 x 22 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Es mag eine Verkürzung sein, aber vielleicht ist das Reihenhaus die Metapher unserer Massengesellschaft (vereinsamter?) Einzelwesen, die (ganz paradigmatisch) aus ihrer Gleichheit ihren in Eisen gegossenen Identitätsglauben beziehen und das Holzhaus ist das Symbol der Individualität, der Vielfalt, der Kunst, die ihren eigenen Kopf hat – und ihre Farbigkeit.

Jürgen Hochmuth im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Affinität; 2005 | Eisen; 94x100x400 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Die Farbe ist hier Protest, Gegengewicht und – Lebens- Zeichen: die Häuser sind semantisch eben nicht identisch mit ihren Bewohnern, und solange es diese gibt und zwischen den Reihenhäusern noch Farbe ist, solange gibt es Hoffnung auf eine geheimnisvoll schwere Kraft:


die bewohnte Stille der Häuser.
Jürgen Linde im April 2006

(*)die bewohnte Stille der Häuser – ein Zitat von Louis Aragon (1947), das Jürgen Hochmuth als Titel einer seiner Ausstellungen verwendete.