Stimmig, spannend, eindimensional – “All das zu verlieren” von Leila Slimani

Buchtipp von Uli Rothfuss

Je länger ich las in diesem Buch, umso weniger konnte ich die hochlobende internationale Kritik an Leila Slimanis Roman nachvollziehen. Ok, ein rasant geschriebenes Buch, und wer auf zum Teil heftige Sexszenen steht, kommt auch auf seine Kosten. Aber insgesamt ist es doch eher eine eindimensionale Geschichte mit überschaubarem Tiefgang; das freilich, könnte gerade seine Leser finden: die Autorin geht unkompliziert an das Thema heran, das letztlich das einer gelangweilten Frau im besten mittdreißiger Alter in Paris ist, aus Zeitvertreib ist sie Journalistin, gutsituiert verheiratet mit einem erfolgreichen Mediziner, der freilich eher ein gestresster Langweiler ist und denkt, er mache alles, damit seine kleine Familie in Glück und Eintracht leben kann. Die Protagonistin bricht aus, sucht das Abenteuer, in ihrem Fall beschränkt sich das auf Sex, sie bricht auf unter allerlei Vorwand, um ihr nächstes Opfer für ein sexuelles, kein erotisches, Abenteuer zu finden. Es geht ihr nur um das eine. Und das immer hart an der Grenze zum Entdecktwerden – bis es tatsächlich soweit kommt, als sie sich über einen Arztkollegen hermacht, dessen Frau dahinterkommt. Das Kartenhaus bricht zusammen, Richard, der Mann aber, kommt nicht los von ihr, sondern entwickelt sich zum Kontrollungeheuer, zieht mit der Familie in ein Landhaus in der Provinz, wo die Möglichkeiten für Sexabenteuer der Frau per se überschaubar sind.

Wenig Tiefgang, nur stellenweise wird Einblick in das Seelenleben der suchtkranken Frau gewährt, wird nach den tiefer liegenden Gründen für ihr Verhalten geforscht in dem Roman, die ihre Ursache sicher auch in den angedeuteten Kindheitserinnerungen mit der fremdgehenden Mutter, in dem verbarrikadierten Leben der nicht miteinander umgehenden Mutter und Vater haben, in dem trostlosen, abgeschiedenen Provinzaufwachsen, dem folgenden Ausbruch in die Stadt, nach Paris, in das Ankommen in einer saturierten Eheverbindung, die Sorglosigkeit verspricht. Eindimensional, es gibt wenig an Rück- und Querblenden im Roman, die Geschichte wird getragen von der Handlungsträgerin, alle anderen bleiben relativ blass. Das nun passt wieder so gut zusammen, dass es stimmig ist und man doch einigermaßen gespannt durch den Roman liest, bis hin zur Auflösung, die einigermaßen offenbleibt und einen ratlos zurücklässt – aber immerhin so, dass man weiterdenkt, sich einen versöhnlichen wie auch katastrophalen Schluss denken kann.

Leila Slimani wird als die große neue Stimme der französischen Literatur gefeiert. Anhand dieses Buches nicht schlüssig nachvollziehbar. Aufgrund von Interviews, die ich von ihr gelesen habe, hätte ich mehr Differenziertheit, mehr Vielschichtigkeit erwartet.

Leseempfehlung: eingeschränkt ja, eine der anderen Art, es geht hier nicht um ästhetischen Genuss, sondern um eine handfeste Geschichte, die stringent entwickelt wird und in der man durchaus sich und seine Mitmenschen in so manchen Charakterzügen wiedererkennen kann.

Leila Slimani: All das zu verlieren. Roman, geb., 220 S., Luchterhand Verlag, München 2019, 22 €

Uli Rothfuss