Aus der Schlangengrube

Gut Ding will Weile haben, weiß der Volksmund. Und dass diese Weisheit auch für eine gestandene englische Lady gelten kann, zeigt Hilary Mantel, mehrfache Booker-Preisträgerin, mit ihrer Fortsetzung (und dritten Folge) der Story um Henry den VIII., Englands Herrscher mit sechs Frauen und auch Verkörperung der äußerst  blutigen Geschichte im Krieg der Tudors gegen die Yorks, der Weißen gegen die Rote Rose. Sieben Jahre hat es gebraucht, die Trilogie zu vollenden. Richtig gut geht die Geschichte nicht aus, höchstens am Ende für Elisabeth I. Die erste Königin eines Weltreiches könnte für die Fortsetzung der Tudor-Trilogie gut zum Thema werden. Stoff gäbe es genug.

Wie die Autorin den Aufstieg und plötzlichen Fall der Hauptfigur Thomas Cromwell, der vom Kind aus einfachen Verhältnissen bis zum Lordsiegelbewahrer des Königs emporstieg, in der Trilogie („Wölfe“ bzw. „Falken“) beschreibt, das ist schon einmalig. Mit ihrem unvergleichbaren Stil wahrt sie nicht nur die nötige Distanz zu ihren Hauptdarstellern, sondern auch zum Leser, der sich ständig herausgefordert fühlt. Unwillkürlich wird er zum Teil der Geschichte, wird in die Abläufe einbezogen, bekommt allerdings dann gelegentlich eine kalte Dusche. Die tut den Lesern natürlich gut, birgt sie doch den Vorteil in sich, wieder die Vernunft walten und das Mitgefühl außen vor zu lassen. Mrs Mantel ent-deckt die frühelisabethanische Schlangengrube und zieht ihre Leserschaft damit unmittelbar in den Bann und lässt sie nicht so leicht wieder los. So gesehen könnte man ihre grandiose Trilogie auch als „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“ für Renaissanceinteressierte bezeichnen. Literarisch und pekuniär steht Frau Mantel der Kollegin Rowland oder Herrn Tolkien wohl kaum nach.

Das Buch schlechthin für ein paar lange, laue Sommernächte.

Hilary Mantel, Spiegel und Licht, Übers.: Werner Löcher-Lawrence, Dumont, 1104 S, 32 Euro