Harald Schwiers im kunstportal-bw
Ach, was waren das für goldene Zeiten, als es noch kein Gendersternchen, kein Binnen-I, kein Suffix zum generischen Maskulinum, keine TV-Moderator*-Innen mit künstlicher Sprechpause und ähnlichen Blödsinn gab. Es gab zwei Geschlechter und – vielleicht – wenn man in der Mythologie nachschaute auch möglicherweise eines dazwischen. Mehr nicht. Und es war gut so.
Dass es Autoren gab, die durchaus mit den Zwischenrollen spielten, weiß man spätestens seit dem Marquis de Sade und anderen erotischen (literarischen) Ergüssen. Mit der Zweigeschlechtlichkeit war es aber bereits in der Renaissance dahin. Niemand fand das irgendwie anstößig. Die gesellschaftlichen Geschlechterrollen waren verteilt; jeder hatte sich damit abgefunden.
So aber nicht Frau Rachilde, die nicht Rachilde hieß, sondern Marie-Marguerite Valette (nach ihrer Heirat mit Monsieur Valette, dem Herausgeber einer Symbolistenzeitschrift in Paris) und die unter diversen Pseudonymen publizierte. Rachilde (1860 bis 1953) war eine der führenden Schreiberinnen des Fin-de-siècle und legte sich gerne mit Herrschenden an. So wurde ihr Roman „Monsieur Venus“ (von 1888) verboten, dann aber mehrfach u.a. in Brüssel neu und teilweise zensiert aufgelegt.
Nach heutigem Verständnis, fragt man sich warum, denn zur Erotica zählt das Buch, das jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt wurde nicht wirklich. Aber es beherbergt enormen gesellschaftlichen Sprengstoff: Eine sehr wohlhabende junge Frau, Raoule de Venérande, hält sich einen jungen, völlig untalentierten Maler, der als einzigen Vorzug hat, ein Adonis zu sein. Sie macht den Ausgehaltenen letztlich durch körperlichen und seelischen Druck zu ihrer Geliebten, dreht also das bis dahin so perfekt funktionierende Modell auf den Kopf. Das kann den Sittenwächtern im ansonsten seinerzeit nicht wirklich kleinlichen Paris nicht gefallen haben. Wo käme man denn da hin?…
„Monsieur Venus“ ist ein imponierendes Zeitzeugnis. Schließlich hat sich die Autorin, die üblicherweise in Männerkleidung an die Öffentlichkeit ging, mit einigen Romanen durchgesetzt. Und auf das blöde Sternchen konnte sie ganz getrost verzichten.
Rachilde, Monsieur Venus, ISBN: 978-3-15-011287-8, Reclam, 7 s/w-Abbildungen, 218 S.,18 €.