Göttinnen ohne Hülle – in Hülle und Fülle

Harald Schwiers im kunstportal-bw

Haralds Streifzüge | Badisches Landesmuseum | bis 19. Juni 2022: Göttinnen ohne Hüllein Hülle und Fülle

Badisches Landesmuseum: Göttinnen des Jugendstils

Das Badisches Landesmuseum verfügt über eine hochkarätige und nicht minder umfangreiche Jugendstil-Sammlung, die auch immer wieder in Ausstellungen gewürdigt wurden. Die guten Stücke findet man sowohl im Haupthaus des Museums, wie im Museum beim Markt mit dem Schwerpunkt angewandte Kunst seit der vorherigen Jahrhundertwende. Weitere wertvolle Exponate lassen sich u.a. auch im Majolika-Museum ausmachen.

Jetzt kann man die Glanzstücke der Karlsruher Sammlungen in ganz neuem Licht betrachten. Mit der Ausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ werden sie nicht nur in den zeitlichen und gesellschaftlichen Rahmen gestellt, sie bekommen auch „künstlerische Konkurrenz“. Denn die Kooperationspartner der Ausstellung, Allard Pierson der Universität Amsterdam und das Braunschweigische Landesmuseum, steuern eine Reihe wertvoller Exponate bei und schaffen so einen europäischen Rahmen für die Präsentation der gut 200 „Göttinnen“. Ergänzt werden die Objekte der Sammlungen durch zahlreiche weitere Museumsstücke und wegweisende Bestände privater Liebhaber des Jugendstils.

Göttinnen war wohl das Stichwort für das Zusammenspiel mit der Zeit der Entstehung und die zahlreichen Querbezüge zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten um 1900, plus – minus. Denn natürlich hat sich das Bild der Frau in den gut 120 Jahren seit der Hochblüte des Jugendstils geändert. Gewaltig. Denn Göttinnen: Das bedeutete für die damaligen Künstler auch vornehmlich Verzicht auf das Gewand. Göttinnen nackt haben und hatten einen ganz anderen Bezug im Vergleich mit gewandeten Göttinnen. Die gibt es in der Ausstellung selbstverständlich auch, zumal sie in den gelegentlich zum Vorbild herangezogenen mythischen und mystischen Figuren gelegentlich angezogen sein sollten. Beispiel: „der/die/das Tod“ bar jeder Hülle ist – selbst ziemlich „unterernährt“ – wohl lange nicht so abschreckend, wie mit Sense, Umhang und Kapuze. Um mal ein Klischee zu bedienen. Oder eben erst recht (aber dann hätte sich wohl kein Käufer gefunden).

Um es klar zu sagen: Die Herren der Schöpfung der Jugendstilgöttinnen – Künstlerinnen gab es zwar, allein sie waren eindeutig in der Minderheit – hatten bei ihren Arbeiten zumindest überwiegend jugendliche Körper vor dem (geistigen?) Auge, die sie in malten, modellierten oder anderweitig nachempfanden. Sie entsprachen wohl damals wie heute dem gesellschaftlichen Idealbild der Frau, auch wenn die Körper da und hie manieristisch „verfremdet“, d.h. in die Länge oder genauer: die Höhe gezogen wurden oder einen androgynen touch, gar homoerotischen Ansatz, bekamen. Hingegen: Man es drehen und wenden wie man will, nackte Frauen bleiben nackte Frauen. Ob in Bronze, Gips oder in Farbe. Aber: Wer an der Augenweide hübscher Körper etwas auszusetzen hat, der kann in der Ausstellung seine Meinung bei einer Umfrage kundtun. Denn schon damals wurde in der Werbung (siehe das berühmte Werbe-Plakat für JOB-Zigarettenpapieren von Alfons Mucha) mit weiblichen Reizen nicht gegeizt, sondern heftig geworben.

Zu entdecken gibt es auch für Kenner der Materie zahlreiche wunderschöne Stücke und sie in diesem Zusammenhang zu sehen, bringt wirklich neue Aspekte in die Zeit und die kurze Blüte der Stilrichtung, die auch in England ganz herrliche Stücke hervorbrachte, wie etwa den Teppich von Edward Burne-Jones und William Morris oder die Büste La Nature, ebenfalls von Mucha (beide Stücke in Karlsruhe beheimatet), der man einst das berühmte Ei aus der Krone stibitzte. Dazu Keramiken von Majolikagründer Hans Thoma (unschön und so gar nicht sein Thema) oder von Karl Kornhas, dem Vater des bekannten Karlsruher Malers und Zeichners. Sehr schön auch eine Plakat-Bierwerbung mit dem einstigen Moninger-Hauptausschank, einer im Original sehr vorzeigbaren Jugendstil-Paradearchitektur. Davon gibt es auch noch eine Menge Beispiele in Karlsruhe zu sehen. Die Ausstellung kann man so auch als Anregung verstehen, den Bauten einmal wieder einen Besuch abzustatten.

Badisches Landesmuseum, Schloss Karlsruhe, bis 19.6., Katalog Museumsausgabe wbg Theiss 25,90 €, www.landesmuseum.de