Dagmar M. Goldin

Beim Durlacher 800Jahr-Feschd habe ich Dagmar kennengelernt: sie hat im GründerInnenzentrum Durlach ausgestellt, leider nur für wenige Tage, aber lange genug, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen: selten haben die Wände hier so leer gewirkt wie nach dem Abhängen von Dagmars Bildern.

Dagmar M. Goldin; © Foto: privat

Der ungewollte und unwillkürliche Versuch, ihre Bilder irgendwo einzuordnen, scheitert. Klar wirkende und doch unbekannte Formen, weder gegenständlich noch ungegenständlich, sprengen jedes Schubladendenken.

Auch Dagmar läßt sich nirgends einordnen: voll in Fahrt erscheint sie meist, energiegeladen und hellwach. Und ist doch keineswegs einfach nur “gut drauf”. Völlig bruchlos kann sie von einem lustigen Thema umschwenken zu sehr ernsten und wichtigen Themen. Dies klingt widersprüchlich – und erschien mir hochinteressant.

Geboren in Westfalen, ist Dagmar ganz schön herumgekommen; sie hat auch schwere Zeiten erlebt und mit ihrem starken Selbstbewusstsein doch letztlich selbst über ihren Weg entschieden.

Und der war bunt: nach Mittlerer Reife und einer medizinischen Fortbildung folgte eine Tätigkeit bei Boehringer (Ingelheim), wo sie “klinische Berichte in Englisch verschlüsselt hat”.

Auch dank ihrer Mutter, die sie als “schöngeistigen Menschen” beschreibt, hatte sie immer den Kontakt zur Kunst, hat sie schon früh Ausstellungen und Konzerte besucht und immer gezeichnet.

Der “Ernst des Lebens” ist ihr genauso vertraut wie die “Lust am Leben”. Beides bringt Dagmar mit ihrer “grundsätzlich positiven Einstellung zum Leben” scheinbar mühelos zusammen. In den mehr als zehn Jahren in der Werbeagentur ihres Mannes, die sich an die Tätigkeit bei Boehringer anschlossen, hat sie die dortige Auseinandersetzung mit Grafik und Design mit Mal- und Zeichenkursen ergänzt.

“Shakespeare and Company”, 2004
100 x 150 cm; © Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2022

Gegen die Schublade “Künstler” wehrt sie sich skeptisch.

Seit 1994 ist sie regelmäßig an der Europäischen Akademie für Bildende Kunst in Trier. Bei diesen Studienaufenthalten arbeitet sie intensiv und holt sich im Austausch mit den jährlich wechselnden DozentInnen neue Impulse.
Von den tagelangen Gruppenseminaren und Diskussionen kommt sie dann mit neuer Kraft zurück: kaum wieder im Lande, hat sie zu ihrem Besuch gestern ein Buch mitgebracht.

Bevor wir uns endlich zum Tee (und Interview) hinsetzen, weiß ich eine Menge von Nicolas de Stael, ihrem Vorbild als Maler und Philosoph. Der in Russland geborene französische Maler hatte sich 1955 (41jährig) umgebracht. In den letzten 6 Monaten seines Lebens hatte er mehr als 350 Bilder gemalt.

Dagmar Goldin: “Seelenvogel”

Dagmars Bildband über ihn ist voller Lesezeichen, das ihr Wichtigste hat sie herausgeschrieben:

“Notwendigkeit des Malens”

Ich kann nicht vorhersehen, was ich morgen machen werde, aber im Augenblick bin ich am

Äußersten der Fläche, an der Grenze der leeren Leinwand, ich will sagen, dass die gemalte Fläche ihre Form erprobt, als ob sie noch leer wäre, tausend Hindernisse stehen auf dem Weg, es ist noch Unform, solange die Form noch nicht anderswo gesehen wurde, und die Anwesenheit von ich weiß nicht was, woran man gewöhnt ist.” (Nicolas de Stael)

Der Respekt vor der Kunst verbietet, so meine ich, jede – mit den Mitteln der Sprache zwangsläufig unzureichende – Interpretation. Weil aber Dagmar de Stael als Vorbild nennt, erlaube ich mir, aus dem Buch ein zweites Zitat, das auch von ihr stammen könnte:

“Alles muss in mir geschehen. Man muss mit der inneren, intimen Notwendigkeit zeichnen, und nur so werde ich, wenn ich kann, gut zeichnen und gut malen”.
Vielschichtigkeit und lebendige Begeisterung erscheinen mir als die herausragenden Eigenschaften der Künstlerin Dagmar M. Goldin. Die Integration aller Seiten des Lebens ist ihre Stärke. Deren Kern wiederum ist der Mut, sich selbst zum Ausgangspunkt zu nehmen. Dazu braucht es gleichermaßen Ernst und Humor. So entsteht ein Leben auf großer Flamme, das – wie eingangs gesagt – widersprüchlich erscheinen mag.

Vielschichtig im Wortsinne ist auch ihre Maltechnik: neben Aquarellen und Gouachen setzt Dagmar heute vorwiegend Acrylmischtechnik ein. Klar ist: Dagmar Goldin will und wird neue Techniken ausprobieren; und auch der inzwischen bereits erprobte “dreidimensionale Bereich” (Skulpturen) wird zukünftig – wenn mal die Zeit zur intensiven Vertiefung bleibt – wieder in den Mitelpunkt rücken.

Denn Stillstand ist Dagmar fremd. Die Suche nach neuen Impulsen und Inspirationen, immer mehr auch in der Literatur, lassen uns erwarten, daß wir von Dagmar noch sehr viel erwarten dürfen.