Mit strenger Form Geschichten erzählen

„Nihilschwimmer“, Sonettenkränze von Max Schatz

Der Titel des Gedichtbandes, „Nihilschwimmer“ verstört erst einmal, man liest ihn wieder, ob man sich vielleicht verlesen habe – nein. Ni-hil. Von Nihilismus? Im Wörterbuch finde ich die Definition: philosophische Anschauung von der Nichtigkeit, Sinnlosigkeit alles Bestehenden, des Seienden; weltanschauliche Haltung, die alle positiven Zielsetzungen, Ideale, Werte ablehnt, völlige Verneinung aller Werte und Normen. Also jemand, der in diesem Nihilismus schwimmt, sich in ihn ergibt, in ihm auflöst? Das macht gespannt. Zumal die Gedichte noch als „sonettenkränze“ bezeichnet werden – eine zunächst einmal etwas altertümliche Gedichtform, die für eine Antiquiertheit stehen mag – ein Zyklus von 14+1 Einzelsonetten, wobei jedes Sonett in der Anfangszeile die Schlusszeile des vorhergehenden aufnimmt, also eine strenge Form eines aus mehreren Sonetten geflochtenen Gedichtzyklus. Der Leser findet schnell hinein in den Rhythmus der Sprache, in die Abfolge der Verse, in die Wiederholung des letzten eines Sonetts durch den nächsten, ersten des neuen – auch wenn der Dichter variiert, die Verse leicht verändert, was die Aufmerksamkeit verstärkt.

Max Schatz hat sich herangewagt an diese Form, dabei geht es ihm darum, in den Langgedichten jeweils eine Geschichte zu erzählen, – im Klapptentext benennt er es: „auf der Suche danach, irgendeine „Wahrheit“ ablehnend, im Dunkel des Lebens am Ariadnefaden entlang … zurück zum Sinn“. Der Dichter ist zweisprachig, russisch und deutsch, lebt in Deutschland, er lebt als Übersetzer, schreibt zweisprachig russisch und deutsch; die Sonette sind auf Deutsch verfasst, aber, so vermute ich, geschult auch an russischsprachiger Dichtung und ihrer Tradition. Das macht mich gespannt, denn, obwohl ich die russische Sprache nicht verstehe, liebe ich ihren tiefen, warmen, geheimnisvoll tragenden Klang.

Der Dichter erzählt in seinen Sonetten Geschichten – er nimmt alltägliches auf, Erfahrungen, Erlebtes, und stellt es in neue Kontexte; er bricht ab und an absichtlich den Rhythmus der Gedichtzeilen, was aufmerken, mitunter nochmals lesen lässt, so die Essenz verdeutlichend. Und immer wieder Verse, die sich einprägen, philosophisch Zugang suchen, prägen: „und Zweifel nagen auf dem ganzen Weg:/ Ist Glück denn alles, was man hätte gerne?“. Manches Mal auch durchaus humorig: „Wenn Angst vorm Wolf, dann geh nicht in den Wald!/ Wenn Angst vorm Alter, werde halt nicht alt!“. Manche Endreime wirken etwas bemüht – das tut der Wirkung aber keinen Abbruch, man liest sich weiter hinein in die Geschichten in den Gedichten, die Wiederholungen der Sonettenendverse in den Anfangsversen wirken zunehmend verdichtend, die Doppelung verstärkend.

Mit im Band die Nachdichtung eines Sonettenkranzes der russlanddeutschen Dichterin Elena Seifert, ein Wermutkranz für Maximilian Woloschin, den russisch-ukrainischen Dichter mit russlanddeutschen Wurzeln der Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert, und die Nachdichtung des Sonettenkranzes Rosarium des 1967 geborenen Dichters und Frontmanns einer Rockgruppe Sergej Kalugin. Zwei dichterische Positionen, die so hereingeholt werden, und die sich einpassen in das gesamte Ensemble der Gedichtfolge, ohne dass es disharmonisch wirken würde.

Es ist schwierig für den heutigen Leser, sich in diese Poesieform hineinzulesen, ungewohnt für den Ungeübten, es heißt, sich bewusst darauf einzulassen, die Form anzunehmen, um sich den Inhalt zu erschließen; verdienstvoll, sich heute schreibend dieser Form zu widmen, ihr neuen Geist einzugeben, indem heutige Themen angepasst, in Sprache gefasst werden. Spannend zu entdecken, wie sich der Leser nähert, wie die strenge Form nicht Korsett ist, sondern eher aus ihr heraus die Freiheit gibt, im Denken weiterzugehen, hinter den Zeilen Sinn, eine Ahnung von Wahrheit zu finden – vielleicht macht es das mehr möglich, als es die freie Form erlaubt. Auf jeden Fall lohnend, sich intensiv mit den Sonetten auseinanderzusetzen, sich auf sie einzulassen.

Max Schatz: Nihilschwimmer. Brosch., 108 S., ostbooks Verlag, Herford 2020, 10 €.