Unschärfe der Wirklichkeit  – über Reiner Packeiser

Reiner Packeiser im Internet:
Website: | https://reiner-packeiser.de/
E-Mail: | Reiner@packeiser.net

Erfahrene kunstportal-bw-Leser kennen längst unsere “Fortsetzungsporträts“, mit denen ich die Künstlerporträts, die ja teilweise 20 Jahre und älter sind, aktualisiere,  um die heutige Arbeit der jeweiligen Künstler wieder aktuell ins Licht zu rücken.

Oft hat sich sich die Arbeit der Künstler stark verändert, oft auch erst auf den zweiten, genaueren Blick, den jede gute Kunst unbedingt verdient.

©  Reiner Pckeiser aus der Serie Spurensuche 1941 bis 1944, Malerei mit Grafit Pulver auf Büttenpapier, 50cm x 70 cm, 2022.
 https://reiner-packeiser.de/spurensuche-1941-bis-1944/

Kunst der Freiheit – oder künstlerische Freiheit – über Reiner Packeiser war das erste kunstportal-bw-Porträt im Jahr 2002. Seither hat Reiner Packeiser seine Arbeit radikal verändert, so dass es uns tatsächlich schwer fällt, die Kontinuität, eine Verbindung,  zu finden.

Die heutigen, farblich extrem reduzierten Arbeiten scheinen auf den ersten Blick von einem anderen Künstler zu sein als von dem Reiner Packeiser, der in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts  mit wahrlich farbgewaltigen Werken schon einigen sehr guten Eindruck gemacht hatte.

Auch wenn die Arbeiten damals nicht laut (im Sinne von farblich aggressiv) waren, so empfinde ich doch die aktuellen Arbeiten als sehr leise – gearbeitet für Betrachter, die sich etwas Zeit nehmen (=gewonnene Zeit), um einzutauchen in diese ganz eigene Welt der Bilder. Packeiser zeigt uns die Welt, die ausserhalb der medialen Bilderflut noch immer existiert.

Packeisers neue Werke schaffen eine ganz eigene, neue Welt; leise und in schwarz-weiß entsteht eine kontemplative Atmosphäre, die, schon aufgrund der Ruhe, die sie ausstrahlen, “kunstgerecht” erscheint und uns Betrachtern gut tut. Wir sehen genauer hin und tauchen ein und verstehen, dass die Wirklichkeit, die im Alltag eher in Vergessenheit gerät, gerade durch die Unschärfe erst wieder richtig bewußt wird.

Und doch, wenn ich nachdenke, was manchmal zu tun gar nicht falsch ist, finde ich einen plausiblen  Zusammenhang:

Seinerzeit hat mir der Künstler erklärt, dass er schon im Studium begonnen hatte, die verschiedenen berühmten Künstler nachzuahmen – einfach, um die zahlreichen Techniken und Stilrichtungen nachzuvollziehen, um also seine eigenen Möglichkeiten, seinen Werkzeugkasten aufzubauen.

© Reiner Packeier: aus der Serie Liliths Garten, Malerei mit Grafit Pulver auf Büttenpapier, 70cm x 100 cm, 2022,
https://reiner-packeiser.de/liliths-garten/

Schon dabei sind jedoch viele Werke entstanden, in denen er einen ganz eigenen Duktus entwickelt hat, der jeder Nachahmung  Hohn spricht – man konnte damals schon Packeiser erkennen, wenn man genau schaute.

Heute arbeitet er fast ausschließlich in schwarz-weiß; sehr reduziert also in der Farbe, noch dazu immer unscharf: diese Unschärfe ist zweifellos gewollt, sie verweist uns auf die Unschärfe unseres eigenen Sehens: wir wollen klar sehen – oder glauben zumindest, klar sehen zu wollen – wir können dies aber letztlich nicht. Packeisers reduzierte Malerei macht uns diese dialektische Wahrheit sichtbar.

Nun ist es heute wahrscheinlich fast zwingend logisch, dass sich der Künstler – angesichts des gut gefüllten Werkzeugkastens – fokussiert auf das wesentliche Element, auf dem jede Bildende Kunst zwingend basiert: Reiner Packeiser fasst es selbst in unserem langen Gespräch zusammen: „Ich male Licht.“

Nehmen Sie sich gerne etwas Zeit, um die Unschärfe unseres Sehens klar zu sehen; diese Kunst ist auch eine kritische Reflektion unserer Zeit.

Ich nenne meinen Text über Reiner Packeiser:
Unschärfe der Wirklichkeit

Jürgen Linde im November 2022