Swanetien. Traumlandschaft am Rand Europas

Uli Rothfuss: | Swanetien. Traumlandschaft am Rand Europas – Ein wunderbarer Text-Bild-Band von Stefan Applis.

Stefan Applis: Swanetien. Tradition und Moderne. Brosch., 160 S., Mitteldeutscher Verlag, Halle 2023

Dieses Swanetien, Traumlandschaft am Rand Europas, und in diesem Bildband so hautnah, so charakteristisch eingefangen durch Stefan Applis, dass man sofort hinreisen möchte. Zuerst einmal: eine grandiose Landschaft, wie sie sich wohl kaum ein zweites Mal findet; höchste Kaukasusberge, weitgehend (noch) unberührte Natur, und die unfassbar einzigartigen, charakteristischen swanetischen Dörfer im georgischen Hochgebirge, mit einem Leben der Menschen, das sich der Kargheit des Gebirges, der Kälte im Winter, der Abgeschiedenheit weit von den Macht- und voguen Gesellschaftszentrent stellt. Von nirgendwo her sonst kennt man die hoch aufragenden, wehrhaften Wohntürme, einst, und oft schon im Mittelalter, als Wehrtürme gebaut, die sich dutzendfach in den Dörfern hinaufziehen, streng in der Architektur, abweisend, und die doch in diese karge, so sehr hochgebirgige Landschaft passen, ja, zu ihr zu gehören scheinen.

Der Fotograf und Pädagoge, Kuturanthropologe, Stefan Applis hat die Gegend bereist, und nicht nur, er hat Zugänge gefunden, zu Bewohnern Swanetiens, zu den Strukturen der Dörfer, hat Verständnis entwickelt für die Geschichte dieser Region, das Widerspiel von Landschaft, Architektur und Mensch.

In Georgien, und damit auch in Swanetien, ist die orthodoxe christliche Religion tief verwurzelt. Das zeigt sich erst einmal an den uralten Kirchengebäuden, die nicht selten tausend Jahre und mehr alt sind, aber es geht viel weiter: die Verwurzelung in der Haltung, im Leben der Menschen, die Beziehung der Menschen zu ihrer Religion, die sich über die Jahrhunderte, Jahrtausende – in Georgien ist die zweitälteste Staatsreligion der Welt das Christentum – behauptet gegen jedwede Vereinnahmung und Bekämpfung durch die umliegenden muslimischen Völker, und das prägt die Haltung der stolzen Georgier und recht der Swaneten bis heute. Sie haben ihre Religion verteidigt, immer wieder, auch als viele Heiligtümer im unzugänglichen Gebirge versteckt wurden, und ihre Sprache – das Georgisch, und das Swanetisch, eine eigene Sprache der Swaneten im Hochgebirge.

Dem, lässt man sich als Besucher darauf ein, zu begegnen, es aufzunehmen, die Traditionen so weit es geht für die Zeit des Besuchs mitzuleben, ist besonderes Erlebnis – als jemand, der oftmals Georgien und seine Regionen besucht hat, Swanetien leider nicht, mit beruflicher Erfahrung, familiärer Bildung und vielen Freundschaften in das kleine Kaukasusland, kann ich das, was Stefan Applis schreibt und fotografiert, vielfach nachvollziehen.

Natürlich zeigt sich erstmal der großartige Fotograf in den Bildern, der die Landschaft, die Architektur und die im Hochgebirge Lebenden in Szene setzt. Aber auch die begleitenden Texte zu lesen bedeutet einzutauchen in die Kultur dieses einzigartigen Landes, sie beleuchten Hintergründe und sind von einer zugeneigten Haltung geprägt, die die Menschen – im Hochgebirge wie die Landschaft eher karg, reserviert, abwartend – sympathisch zeigen, wie die Fotografien, ihnen ein reserviertes Lächeln entlockt.

Aber, liest man erst einmal in die begleitenden Texte hinein, zuerst hier und dort die Bildbeschreibungen, dann in die in Themen gegliederten, essayistischen Annäherungen, dann geht dem Leser eine weitere Dimension dieses wundersamen Landstrichs auf: das Eindringen durch das Wort, das hervorragend die Bilderwelt ergänzt. Stefan Applis schreibt über ein Land im Wandel, insgesamt, Transformation, und bei aller Beständigkeit Anpassung gehörte von je zu den Menschen hier, und im Moment ist die Herausforderung wohl besonders: das Land, konkret die Landschaft, aber auch die Menschen, ihr Charakter, die Traditionen, seit Jahrhunderten hergebracht, drohen ob der massenhaft kommenden Touristen, mit Hotelbauten, Skitourismus, Wanderern, rasch verloren zu gehen. Es gibt Konkurrenz zwischen den Familien um touristische Gäste, darüber gehen gegenseitige Besuche, Trink- und Gesangsabende verloren. Viele Junge wandern ab, sie sehen – außer im Tourismus hier, fernab von modernen Arbeitsmöglichkeiten, auch Bildungsangeboten, keine Chance, weiterzukommen. Zurück bleiben oft die Alten, wenn auch die Jüngeren zu Erntezeiten zurückkommen, um zu helfen, auch finanziell unterstützen. Der Autor beschreibt so eine Welt am Abgrund zum Selbstverlust, wenn auch vieles noch da ist; und kann, auch mit seinen Projekten zum Erhalt von Tradition, Bräuchen, auch von grandioser Architektur und Natur, mit dazu beitragen, dass das Beachtung findet, dass dem Erhalt mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem kurzfristigen und nur scheinbaren Erfolg durch das Herholen von Massen.

Es ist ein Buch, das Lust macht, da hin zu reisen, man verliert sich in den grandiosen Landschaften, in den Ansichten verfallender Häuser. Man, der Leser, und hoffentlich viele Besucher, wünscht sich, dass vieles vom Alten erhalten bleiben möge und der Schritt in die Moderne behutsam getan wird. Vielleicht gelingt dies ein Mal.

Stefan Applis: Swanetien. Tradition und Moderne. Brosch., 160 S., Mitteldeutscher Verlag, Halle 2023, 30 €. Ebenfalls vom Autor: Swanetien entdecken, gl. Verlag 2021, 216 S., 20 €.