Buchtipps von Uli Rothfuss. | Direkt in das Wesentliche – Neue Gedichte von Charlotte Ueckert
Es ist ein überaus schön gemachtes Buch, ästhetisch ansprechend, die Titelgestaltung frisch, in leuchtenden Farben, das Papier angenehm zum Blättern, Schrift und Layout hervorragend, lesbar, eine Augenfreude. Das vorab. Es macht Freude, diesen Gedichtband in die Hand zu nehmen.
Die Gedichte, neue Poesie steht als Untertitel, verfangen, sie sind die Fortsetzung der typischen Gedichte der Lyrikerin, die so konsequent ihren Weg weitergeht: zart im Ton und doch unerbittlich direkt hinein in das Wesentliche, sie umreißt Orte und damit zugleich diejenigen, die sich in diesen befinden, bewegen, in einer Schonungslosigkeit, die im Kontrast steht zu den vorsichtig gesetzten Worten. Damit regt die Autorin an, damit macht sie neugierig, und sie nimmt den Leser, die Leserin mit auf eine zauberhafte, manchmal auch schmerzhafte Entdeckungsreise, denn natürlich gleichen wir als Leser unsere Empfindungen ab mit dem, was da geschrieben ist.
Sie überrascht gerne in ihren Gedichten mit unerwarteten Wendungen, gleich im ersten „Zur Lage“: da ist die Rede von wehenden Apfelblüten, von Wiese im Obstgarten, und schließlich der Einschlag: „Ich habe Angst nichts bleibt mehr/ Nur Abstand …“. Jede und jeder trägt diese Angst mit sich herum, dass auf einmal nichts mehr ist, wie es gewohnt und so lange schien; wir fühlen uns bestätigt in dem, was die Autorin schreibt, und nicht nur das – oft beschleicht uns das Gefühl, dass sie schreibt, was wir denken, manchmal erwarten, manches Mal befürchten. Nur viel besser, als wir es könnten. Der Vers „Mein Geist leuchtet in/ Unbekanntes lässt vergessen“ in einem Folgegedicht scheint mir so sehr typisch für die ganze Gedichtsammlung, der Geist der Autorin und zugleich mein eigener, der leuchtet, hinein in Unbekanntes, und das lässt so vieles vergessen, lässt sich konzentrieren, was da in der Abfolge der Verse, der Gedichte, kommt, welches Abenteuer an Sprache und Inhalt mich mitreißt.
Sie nimmt oft Maß an der Natur, Beispiel, um diese unmittelbar nach innen zu spiegeln, und das oft als Nachdenken über menschliche Beziehung, ja, auch über Liebe. Zum Beispiel wie schwer es ist „Das Richtige zu sagen/ Mit meiner Sprache/ Dich zu erreichen …“, dem dann, zwei Zeilen später, das grandiose „Oh wenn es nur Klang ist“ folgt; ja, oh, wenn es nur Klang ist, „Der dich in zärtlicher/ Tuchfühlung umschließt“ – so ist es, wenn Sprache so ganz in der Lage ist, zu Körperlichkeit zu werden. Die Autorin vermittelt uns das, ehrlich, grandios.
Ist die Autorin in ihren Gedichten auch politisch, bei all den Nuancen der Entsprechungen, die sie entfaltet? Ich meine, ja: „Froh wer ein Dach hat/ Auf dem Gefängnis/ der Wände“ – das ist das Schöne, Spannende, dass man ihre Gedichte oft mehrdimensional lesen kann: so ganz politisch, auch dieses, das Gefühl des Eingeschlossenseins, des nicht mehr heranreichen Könnens, des Machtlosseins gegenüber dem, was sich da draußen ereignet, in der Welt; aber auch ganz individuell, dieses Eingekerkertsein ins eigene Ich, ohne Ausblick wenigstens hinauf in die Wolken, selbst das Stück Freiheit wird einem verwehrt. Und dem gegenüber, in Gedicht „Hineindenken“: „Der Raum in dem ich denke/ hat Fenster zu allen Seiten …“; wie licht, das klingt, wie das den Blick aufmacht, weitet, in die Ferne schweifen lässt, aufnehmen lässt die Formen und Farben. Ja, die Autorin ist eine Meisterin der Kontraste, der verschwimmenden Erinnerungen in den Beziehungen zwischen ihren Gedichten.
Die Autorin hat in ihrer Poesie ihren eigenen Rhythmus, eine Sprache, die auf eigene Art anspricht, anregt, die Pendant ist zu den vielschichtigen Themen, oft aus der Natur gegriffen und ins Persönliche hineinbringend; sie hält dies durch, gekonnt durchkomponiert durch den ganzen Band.
Und: die Aquarelle, die Zeichnungen, den einzelnen Kapiteln vorangestellt, stammen auch von der Autorin, eine ganz neue Seite, die sie hier aufschlägt – sensible, feinfühlige, zart in der Farbgebung, geglückte Einstimmung auf das neue Kapitel. Mit Gedichten die Welt entdecken, wunderbares Erlebnis.
Charlotte Ueckert: Andere Wesen. Neue Poesie. edition karo, Hamburg 2023