Madeleine Dietz: Weg und Ort

28. März bis 31. August 2014: Weg und Ort


Madeleine Dietz im Ulmer Museum

“Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg. Was wir Weg nennen, ist Zögern.” (Franz Kafka)

Wir beginnen unsere Überlegungen zur Ausstellung Weg und Ort von Madeleine Dietz im Ulmer Museum mit einem Zitat, um die künstlerische Strategie, die Madeleine Dietz hier verfolgt, nachzuzeichnen.
Die Ausstellung ist vor Ort entstanden; für jeden Ausstellungssaal wurde ein Konzept entwickelt, in welchem die Künstlerin auf den jeweiligen Raum und das jeweils besondere Licht Bezug nimmt. Vorhandene Formen wie Deckenbögen, teilweise auch vorhandene Kunstwerke wurden in die neue Rauminstallation integriert.

Natürlich finden wir die Elemente wieder, die wir bei Madeleine Dietz seit Jahren kennen: die großen Stahlquader und die “Bruchsteine“ aus Lehm. Der Aufbau der Schau war harte Arbeit: die tonnenschweren Elemente mussten heran- und hereingeschafft werden; es folgte ein jeweils aufwändiger tagelanger Aufbau in jedem einzelnen Raum. Nun ergibt sich aus jeder Perspektive ein stimmiges Bild, auch die “Durchblicke“ zu anderen Räumen erschließen immer neue inhaltliche Bezüge.

“When one door closes another one opens.” (Alexander Graham Bell)

Bild links: Madeleine Dietz: “”Fata Morgana”, 2013, Digitaldruck auf Stoff, 380 x 305 cm, Ulmer Museum
Anmerkung: Das verwendete Motiv ist die Bihlafinger Madonna von Hans Multscher, im Original im 1. Stock des Kiechelhauses im Ulmer Museum zu sehen.

Leben und Tod, Werden und Vergehen sind immer Themen bei Madeleine Dietz, die uns aber nie erlaubt, uns durch eine so einfache Formel diese hochkomplexe Arbeit zu erklären. Ambivalenzen verschiedenster Art, dialektische Widersprüche insgesamt sind es, auf die die Künstlerin eingeht. Oft haben die Installationen einen Baustellencharakter, denn hier wird kein Schlussstrich gezogen, hier wird begonnen:

Die Räume – wir können jeden einzelnen Raum als Kunstwerk betrachten – haben keine Titel; stattdessen sind sie beschriftet mit Zitaten von bedeutenden Literaten (Kafka, Proust, Musil u.a.). So wird klar, dass der bildnerischen Arbeit eine geistige Reflexion vorausgeht, zu der Madeleine Dietz nun umgekehrt die BetrachterInnen wieder einlädt. Ein ewiger Kreislauf. Selten wurde die Hegels Dialektik von Geist und Materie so gut sichtbar gemacht. Und dies nicht etwa belehrend, im Gegenteil: die sinnliche Präsenz dieser Kunst ist so frappierend, so intensiv, dass man gelegentlich wie versteinert stehen bleibt.

“Wir müssen lernen, Sisyphus als einen glücklichen Menschen zu sehen“ (Peter Sloterdijk)
Madeleine Dietz: “was oben war wird unten sein…”
Tiefer Ernst ist eine Qualität jeder guten Kunst. Dennoch: Durch den souveränen Umgang mit Architektur und Licht und durch radikale Reduktion gelingt es Madeleine Dietz, die – tonnenschwere – Kunst wirklich leicht aussehen zu lassen – grandios.

“Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ (Peter Handke)
Madeleine Dietz‘ Stahlcontainer, die sie manchmal auch als Tresor bezeichnet, haben ja oft Einblicke: durch herausgeschnittene Fenster wird die Innenwelt sichtbar, die aus selbst produzierten “Lehmsteinen“ besteht. Die Spannung, die zwischen dem ewig haltbar wirkenden Stahl und der zerbröselnden Vergänglichkeit des Lehms besteht, evoziert sicherlich religiöse und sakrale Betrachtungen. Ergänzt wird diese Thematik hier in Ulm mit Diaprojektionen: Bilder von noch lebenden oder teils schon gestorbenen Menschen werden auf eine lehmig-düstere Leinwand projiziert. Memento Mori.

Nicht enden wollender Applaus“ (Gerhard Stadelmeier, FAZ

Madeleine Dietz. Die in Mannnheim geborene Künstlerin ist eine der wichtigsten lebenden Bildhauerinnen.

Der Künstlerin Madeleine Dietz und der Kuratorin, Museumsdirektorin Gabriele Holthuis, ist ein großer Wurf gelungen: Die Ausstellung ist selbst ein Kunstwerk, das so nur hier in Ulm und nur bis 31. August 2014 erlebt werden kann.
Kommen Sie nach Ulm, SEHEN Sie selbst. Und bitte bringen Sie viel Zeit mit – es ist gewonnene Zeit.

All diese Impressionen und auch die Gedanken, die ich noch gar nicht formulieren konnte, will ich zusammen fassen, indem ich nochmal Franz Kafka bemühe – mit einem seiner kunstvollsten, stärksten Sätze:
“Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben“.

Jürgen Linde im September 2014