Davonkommen – Roman von Fabio Andina

Buchtipps von UliRothbuss | Davonkommen – Roman von Fabio Andina

Es ist die Erzählung einer fortwährenden Auseinandersetzung des Protagonisten mit sich selbst, mit seiner in Trennungsstreitigkeiten verschlungenen Lebenssituation, seinen beruflichen Mühen, seinem Leben zwischen der schroffen Bergwelt, die man von diesem Autor ja schon gut aus seinem früheren Roman, dem viel gelobten „Tage mit Felice“ kennt, und der fortwährenden, von Exfrau und deren Umfeld torpetierten Sorge um den Sohn.

Andina erzählt einerseits atemlos, und in diesen Sog wird auch der Leser mitgenommen, mitgerissen, er erzählt schonungslos und legt die Seele des Handelnden oder getrieben Werdenden, der Hauptperson des Romans, offen, kurze Kapitel scheinen wie Blitzlichter im Ablauf der Tage auf und berichten von dem Leben des Protagonisten, der zwischen vielen Interessen im konkreten Leben und dazu noch von ständig aufflackernden Erinnerungsfetzen herumtaumelt, kaum in der Lage einen geordneten Lebensablauf zu bewerkstelligen. Dem Erzähler gelingt es so sehr gut, eine Entsprechung von Lebensverquerungen in die Literatur hineinzubringen, und jede und jeder, der in Lebensphasen ähnliches erlebt hat, findet sich unmittelbar und sofort wieder, kann nachempfinden, nicht nur die beschriebenen Situationen, sondern gerade auch die damit verbundenen Emotionen, die Freude, die Wut, die Sorge über das eigene Fortbestehen.

Eindrücklich wieder einmal die Bergwelt, ihre Kargheit mit der Entsprechung in den beschriebenen Menschen, in der Welt der Zusammenkünfte in der abgeschiedenen Bergbar, im Zuhause des Erzählers, dem kargen, chaotischen Häuschen an Rand der bewohnten Welt. Ruhe kommt in die Erzählung nur, wenn der Erzähler Zeit mit seinem Sohn verbringt, wenn er die zugestandenen Zeiten mit ihm in Anspruch nimmt, die Zuwendung, die Sorge, die warme Nähe zwischen Vater und Sohn geradezu spürbar wird.

Fabio Andina versteht es, variantenreich in dem Roman Tempi zu gestalten, fortlaufend Erzählstränge miteinander zu verquicken, ein Erzählstil, mit dem man erst lernen muss, zurechtzukommen, dann aber mit viel Gewinn die Bezüge herstellt und bald sich in seiner Welt, seinen Perspektiven auf die Welt zurechtfindet, nicht nur das, gewissermaßen heimisch wird in seinen Refugien, seinen sie privat und abgeschieden auf dem Berg, seien es die verschiedenen beruflichen Beschäftigungen als Sicherheitsmann, sei es im Austausch mit der Anwältin.

Es ist kein Roman mit richtigem Anfang und Ende, mit einem klaren Spannungsbogen, Plot, keines dieser mainstream geglätteten Literaturerzeugnisse – nein, es ist ein Hineinspringen in das nach Ordnung suchende Chaos eines Menschen, eines Mannes, auf den von allen Seiten Zwänge einstürmen, die er zu beherrschen versucht – und sei es mit Alkohol; was natürlich kein echte Lösung bietet. Wir finden eine klare, impulsive, mitunter laute, vor den Kopf stoßende Sprache, demgegenüber leise, fast zärtliche Töne z.B. dem Sohn gegenüber, erzählerisch eine herausragende Leistung, das so gekonnt zusammen zu bringen.

Auch mit diesem Buch überzeugt Andina auf der ganzen Linie des wunderbaren Erzählwerks, – und das eben ganz anders als im früheren, das eher ein Buch der Ruhe, der Reflektion, des Hineintauchens in das Leben am Berg war, hier das Tempo des Getriebenen, der nach dieser Ruhe sucht und aus der Hektik, aus den ihn einschließenden Zwängen ausbrechen möchte. Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Fabio Andina: Davonkommen. Roman. Geb., 248 S., Rotpunktverlag, Zürich 2023, 26