Buchtipps von Uli Rothfuss | Karin Peschka: Dschomba.
Ein Roman über Heimat, Heimatgefühl, über Fremdsein, über Abschottung, und über Erinnerung, genaue Bobachtung von Details, die sich zusammenfügen zu einem Erinnerungsbild, das prägend ist für den jungen Menschen, ihn für das ganze Leben aufstellt.
Die Autorin erzählt aus eigener Erfahrung, aus der Perspektive des jungen Mädchens, das staunend am Leben teilhat, wobei sie die Zeit des Romans etwas weiter zurücklegt, in die Nachkriegszeit, als die Schrecken kaum verhüllt sind, immer wieder durchscheinen, und es sind hauptsächlich die Schrecken des Lagers aus dem ersten Weltkrieg, als Kriegsgefangene zu Tausenden hier interniert waren, aus Serbien vor allem, aus anderen östlichen Ländern, aus Italien, ein Lager, das im zweiten Krieg dann wieder“belebt“ wurde, zu neuer Schrecklichkeit aufstand. Und da gibt es einen „Serbenfriedhof“, und ganz hinten den italienischen, in dem die im Lager umgekommen Häftlinge, auch zu Tausenden, begraben sind.
Und dann taucht ein mittelalter Serbe auf, etwas abgerissen, mit, das scheint immer wieder durch, ihn quälenden Erinnerungen an den Verlust der Familie, des Bruders, er kommt in die Kleinstadt, weil, das erschließt sich auch langsam in der Handlung, wohl der Bruder hier interniert war und umgekommen ist.
Er bricht ein in das Gefüge der oberflächlichen Anständigkeit des Städtchens, rüttelt die Wohlanständigkeit, die so gar keine ist, auf, stört einfach das Weiterso, die Beschaulichkeit, wird von manchen gelitten, von manchen geduldet und von einigen bekämpft, offen oder hinterhältig fies. Es ist ein Buch über das Fremdsein in einer ach so wohlanständigen Umgebung, und über die Abschottung gegenüber dem Fremden – und damit ist dieses Buch höchst aktuell, gerade in einer Zeit, in der es bald zum guten Ton gehört, über das Fremde die Nase zu rümpfen und „die Fremden“ am liebsten zurückzuschicken – auch dieser Ton wird hier laut: Soll er doch hin, wo er herkommt .. Die Charaktere sind differenziert, vielschichtig, und doch kantig gezeichnet, der Dechant, der die Offenheit verkörpert, eine Anleihe an das christliche Ideal: Liebe den Nächsten wie dich selbst .. andere, die für Ablehnung, für Bekämpfung stehen, und sich dennoch als die Urchristen fühlen, Jungen, die man mit Aktivität wie Boxen mitnehmen kann. Die Landschaft spielt eine Rolle, sie spiegelt sich in den Charakteren, die Stadt, der Friedhof, der etwas außerhalb liegt, und als ständige Mahnung dient.
Die Autorin Karin Peschka erzählt mit Tempo, die Einsprengsel österreichischen Dialekts, die Verwendung von Austrizismen, grundieren die Erzählung, machen sie bodenhaftend, im Roman arbeitet sie mit Rück- und Vorblenden, insgesamt nutzt sie die Möglichkeiten einer gekonnten Erzählerin virtuos und geschickt. Der Leser ist mitgenommen, mitten hinein in die Geschichte, die einen auch in Lesepausen nicht loslässt. Es ist letztlich ein herausragend erzähltes Geschichtsbuch, ein Buch, aus dem man mehr über Krieg und bleibendes Leid aus diesem nehmen kann als aus all den dokumentarischen Werken, die Zeitgeschichte vermitteln; weil die Geschichte eben an Einzelschicksalen, an den Verwerfungen der Zeit, an dem, was auch unter der Decke weitergärt, wohl versteckt und doch virulent, nacherlebt wird.
Die Autorin hat sich hervorragend eingearbeitet in diese Zeit nach dem letzten Krieg, und sie vermittelt ihre Erkenntnisse manchmal drastisch, immer aber auch so sympathisch, dass man den Erzähllinien gerne folgt, bis zum Ende, bis man aufatmet nach einer streckenweise atemlos erlebten Lektüre.
Es ist wieder einmal ein grandios erzähltes Buch, das da uns, den Leserinnen und Lesern, angeboten wird. Absolut lesenswert!
Karin Peschka: Dschomba. Roman. Geb., 376 S., Otto Müller Verlag, Salzburg 2023, 28 €.