Out of the Box: Traces of Interest

ifa-Galerie Stuttgart | 14.03. – 19.06.2024 | ifa Kunstbestand

Traces of Interest ist der dritte Teil der künstlerisch-kuratorischen Auseinandersetzung mit den Schichten und Geschichten der umfangreichen ifa-Kunstsammlung. Die Ausstellung verknüpft Ideen und Werke aus einem Arbeits­prozess, der im Herbst 2021 mit den Künstler:innen Isaac Chong Wai, Lizza May David, Wilhelm Klotzek, Ofri Lapid, Adrien Missika und Gitte Villesen begann. In dem vorausgegangenem zweiteiligen Ausstellungsprojekt Spheres und Chains of Interest reflektierten und kontextualisierten die Künstler:innen die Sammlungs- sowie Ausstellungspraxis des ifa und ermöglichten so auch neue Auseinander setzungen mit dem deutsch-deutschen Kunstbestand.

Bild links: Isaac Chong Wai: Die Mütter, Videostill, 2022
© Foto: Victoria Tomaschko, ifa-Kunstbestand

1992 erarbeitete Günther Uecker unter dem Eindruck der rechtsradikalen Angriffe in Rostock-Lichtenhagen den Werkkomplex “Der geschundene Mensch” für seine ifa-Tourneeausstellung, in der es um die “Verletzung des Menschen durch den Menschen” geht. Er entnahm Wörter wie “würgen”, “schreien”, “weinen”, “nageln”, “klatschen”, “spotten” dem Alten Testament und ließ jedes für sich zum Bild werden. Ueckers Stellungnahme hat nie an Aktualität verloren und eröffnet die Ausstellung in Stuttgart.

Bild oben: Ausstellungsansicht, Traces of Interest; ifa-Galerie Stuttgart, 2024
© ifa, Foto: Team bildhübsche Fotografie

Traces of Interest bringt kritische wie humorvolle Fragestellungen und Perspektiven zusammen. Sie berühren drängende Momente unserer Gegenwart und stellen kollektive Erinnerungen wie neue Handlungsmomente heraus. Die Figur der Liegenden ist ein klassisches bildhauerisches Motiv. In der Ausstellung treffen drei “Liegende” aufeinander: eine Plastik von Heinrich Apel aus dem Bestand des ZfK (Zentrum für Kunstausstellungen der DDR), die nach über 30 Jahren zum ersten Mal wieder gezeigt wird, eine Holzfigur des Autodidakten Erich Bödeker aus der Ausstellung “Naive Kunst” sowie eine Liegende, die genüsslich eine Zigarette raucht, von Wilhelm Klotzek.

Die Blicke der drei Figuren richten sich auf das Video von Lizza May David, deren Performance von indigenen Gesängen und Mythen beiderseits des Pazifiks in Mexiko und den Philippinen inspiriert ist. Ihre klangvollen “mmmms” weiten sich aus und überziehen auch Davids Malerei, die wiederum in Dialog mit den Text-Bildarbeiten der chinesisch-philippinischen Künstlerin Elisa Tan tritt. Ausgehend von der unbefüllten “Asien”-Grafikschublade im ifa-Depot in Stuttgart entschied sich David, diese Leerstelle symbolisch zu überbrücken.

Ofri Lapid initiierte eine komplexe Übersetzungskette, die auf Joseph Kosuths lexikalischer Arbeit “Titled (Kunst als Idee als Idee)” basiert und den Tourneestationen der im Jahr 2000 entstandenen Ausstellung “Kunstraum Deutschland” folgt. Daraus entwickelte sie die gleich namige polyphone Performance mit über 30 Sprecher:innen. Lapids Verfahren der “stillen Post”, in dem sie entsprechend zur Tourneeroute Kosuths Begriffe von einer Sprache in die nächste übersetzen ließ, führt zur Dekonstruktion der eigentlichen Definition von “meaningless”, “purple” und “volume”. Die entstehen den Verfremdungseffekte schaffen eine kritische Distanz zu Kosuths schwarz-weiß Sprachbildern, während sich zugleich die Sprachräume der über 30 Ausstellungsorte akustisch nachempfinden lassen.

Gitte Villesens Film “Strings and Berries” ist eine Hommage an Hannah Höch. Ausgehend von der Collage “Seidenschwanz” folgt Villesen dem Vogel in verschiedene Gärten und Zeiten. Gleichzeitig verbindet sie Rollenverständnisse und Bezüge der beiden feministischen afro-amerikanischen Autorinnen Octavia Butler und Bell Hooks miteinander. Dabei spielt auch das Gartenhaus von Hannah Höch in Berlin-Heiligensee, in das sie zwei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gezogen war, eine wichtige Rolle. Höch nutzte den abgeschiedenen Ort, um Dokumente und Kunstwerke ihrer Freund:innen vor den Nationalsozialisten zu verstecken.

Wilhelm Klotzeks “ZfK-Blende”, ursprünglich für die Außenfassade der ifa-Galerie in Berlin entstanden, bringt Kleinplastiken aus dem Bestand des ZfK ans Licht der Öffentlichkeit. Künstlerisch verbindet ihn eine Nähe zu Carlfriedrich Claus, der in der DDR Teil der kritischen Avantgarde war. Anfang der 1990er Jahre stellte das ifa die Tourneeausstellung Denklandschaften zusammen, die sein Werk international bekannt machte.

Ausgehend von dem Konzept der Tourneeausstellung, gründete Adrien Missika mit MOTUS einen mobilen zweirädrigen Kunstraum, der CO2-neutral im öffentlichen Raum agiert. Für das Projekt hat er Werke aus der Fluxus-Ausstellung aktiviert. Die Schachspiele von Takako Saito gehen eine Liaison mit Endre Tóts Fotografien ein, der in der ersten Zeit nach seiner Übersiedlung von Budapest nach Köln primär Schach spielte. Dick Higgins’ Komposition ließ Missika in Berlin interpretieren und das verschmutzte Rheinwasser von Joseph Beuys, und Nicolás García Uriburu regte ihn zu einer Pop-up Ausstellung auf einem Netto-Parkplatz an.

Isaac Chong Wais Nähe zu der Arbeit von Käthe Kollwitz führte ihn zu dem Werk “Die Mütter (1922/23)”, der Darstellung eines von Kriegserfahrungen gezeichneten kollektiven Körpers. Der plastisch wirkende Holz schnitt ließ ihn 2022 die gleichnamige Performance entwickeln. In Trauergesängen führen die Performer:innen in einer Berliner Klosterruine Kollwitz’ Bild des Widerstands und Schutzes auf und erweitern es zu einem Raum der Heilung.

Kuratiert von Inka Gressel und Susanne Weiß in Zusammenarbeit mit Wilhelm Klotzek.