Alles immer – das Gewicht der Linie – über Kalin Lindena

Künstlerporträts im kunstportal-bw | Dezember 2024
Doppel-Porträt über Kalin Lindena:

zur Ausstellung: Städtische Galerie Karlsruhe | 01.12.2024 – 27.04.2025 | Kalin Lindena: Schatten von Wind:

Bild oben: Kalin Lindena arbeitet an „Schatten von Wind“
© Foto: Udo Meinel

Dr. Susanne M.I. Kaufmann; wisenschaftliche Mitarbeiterin Staatsgalerie Stuttgart :
Im Hier und Jetzt der Bühne – „Raumbehexte Wesen“ im Werk von Kalin Lindena und Oskar Schlemmer

Geste und Linie – Prof. Fabian Goppelsröder zur Ausstellung von Kalin Lindena

Jürgen Linde: „Alles immer – das Gewicht der Linie

Bild oben: Kalin Lindena arbeitet an ihrem Ausstellungsraum im Kunstverein Reutlingen; Foto: privat, 2014

Statisten – so nennt Kalin Lindena ihre Stahlskulpturen,die mich faszinieren, seit ich sie erstmals (2015 oder 2016 „entdeckt“ hatte – leider nicht live in einer Ausstellung, aber in einem hochinteressanten Katalog des Kunstvereins Reutlingen, wo die Künstlerin von Dezember 2014 bis Februar 2015 eine Ausstellung hatte.

Frappierend der Gegensatz zwischen der Wirkung der Skulptur – leicht wie eine gezeichnete Linie – und anderseits dem schweren Material Stahl. Eine Gegensätztlichkeit, die wir ja oft in der Bildhauerei erleben – vielleicht mit ein Grund dafür, dass sehr viele Bildhauer auch zeichnen oder mit der Zeichnung ihre künstlerische Arbeit begonnen haben.
Besonders deutlich ist dies in Kalin Lindenas Arbeiten vielleicht dadurch, dass ihre Skulpturen gleichzeitig auch noch sehr bewegt, fast tänzerisch anmuten.

Tatsächlich setzt Kalin ihre Statisten – dann gerne auch be-/verkleidet – ein als menschliche Figuren, die dann im Ausstellungsraum Teil werden eines ganz neuen, von der Künstlerin geschaffenen Gesamtbildes. Lindenas Wandarbeiten und ihre Figuren im Raum werden Teil eines Bühnenbildes. Tatsächlich bildet das Theater einen wichtigen Bezugspunkt vieler Werke der Künstlerin:

Bild rechts: Kalin Lindena: Die paar Unentwegten – Teil II; hier im Reutlinger Kunstverein, 2009. Inzwischen sind die Unentwegten Teil der Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart

In ihrem Katalog-Beitrag zur oben erwähnten Ausstellung in Reutlingen befasst sich die Kunsthistorkerin Dr. Susanne M. Kaufmann mit diesen und weiteren Fragen; insgesamt gibt sie uns hier einen zusammenfassenden Überblick über das bisherige Schaffen von Kalin Lindena. Der besondere Bezug der Künstlerin zur künstlerischen Arbeit Oskar Schlemmers erweist sich dabei als hilfreich.

Sehr stark assoziieren viele ihrer Ausstellungen Theater und Bühne; in einem Interview sagte Kalin einmal: “Mein Allerherzens-Wunsch wäre es, mal ein Bühnenbild zu machen – Besteck, Möbel, Spielfilm, Reisebegleitung, Häuser entwerfen, siebentorige Altlasten spiegeln, das kommt ja alles aus dem Leben und gehört da auch wieder rein.“ (Quelle: Interview des Kunstbüros der Kunststiftung-BW; 2017)
Dieses riesige Spektrum – von der Leichtigkeit und Klarheit einer einer einfachen Linie bis hin zum fulminanten, von Eindrücken überbordenden Bühnenraum, stellt uns viele Fragen: wie können wir dies verbinden: (wie) kommen wir von der Linie zum Theater oder umgekehrt: können wir das überkomplexe Bühnenbild reduzieren, auf den Punkt bringen, in einer einfachen Linie?

Ganz herzlich danken wir Susanne Kaufmann dafür, hier ihren erhellendes Essay (2014) erneut veröffentlichen zu dürfen:
Susanne Kaufmann: Im Hier und Jetzt der Bühne

Sehr interessant zum Thema “Schlemmer-Rezeption bei Kalin Lindena“ ist auch ihre Performance von 2015; hier im Video: „Moved by Schlemmer

In unserem eigenen Textbeitrag wollen wir die aktuellen – auch in der Ausstellung der Städtischen Galerie Karlsruhe zu erlebenden Werke der Künstlerin in den Fokus zu rücken:

Schatten vom Wind
Recht genau einen Monat vor Beginn dieser Ausstellung habe ich Gelegenheit, Kalin Lindena, die seit über 10 Jahren Professorin (inzwischen auch Pro-Rektorin) an der Kunstakademie Karlsruhe ist, ebendort in ihrem Atelier zu besuchen.
Im Hinblick auf ihre Ausstellung in der SGK (01.12.2024 – 06.04.2025) mailte sie mir zuvor einige Bilder – Werke, die derzeit noch in Arbeit sind und dort im Forum präsentiert werden sollen.
Um dem besonderen Raum des Forums in der SGK – zwei Säulen dominieren den großen rechteckigen Saal – gerecht zu werden, hat sich die Künstlerin entschlossen, dort ausschließlich Wandarbeiten zu zeigen.

Um so größer ist ihre selbstgestellte künstlerischedie Aufgabe, den Raum dennoch (oder erst recht) als eben ihren eigenen Raum zu inszenieren.

Sehr bewegt, sehr malerisch wirken auch die Wandarbeiten der Künstlerin: herkommend von der Graffity-Kunst hat sich Kalin Lindena nie auf die klassische Präsentation der Bilder in rechteckigem oder quadratischen Formaten beschränkt; die ganze Wand ist der Malraum.

Spontan fasziniert mich die Arbeit „Türkis. Dunkel“: eine hochinteressante Arbeit (ein Wandobjekt aus Metall, oder ein gemaltes Bild?), das sehr stark, sehr assoziierend auf mich wirkt.

Von landschaftlichen Impressionen bis hin zu tiefenspychologischen Reflexionen etwa über das „Vor-Bewußte“ wandern meine Assoziationen. Nun ja, seit der Ausstellung über Sigmund Freud und die Kunst in der Kunsthalle Tübingen (Oktober 2023 – März 2024) „entdecke“ ich ständig vermeintliche oder tatsächliche Bezüge zu diesem Themenfeld.
Zuvor schon hatte ich mir natürlich etliche Arbeiten und Austellungsansichten dieser Künstlerin im Netz angesehen.
Eine der letzten Ausstellungen von Kalin Lindena war zu erleben im Forum Kunst Rottweil: 23.03.- 28.04.2024 | Kalin Lindena – AiPRiLiNG.
Auch hier war intensiv zu erleben,wie Kalin Lindena den ja riesigen Raum komplett neu als eigene Welt inszeniert.
Auch in dieser Schau spiel(t)en die Wandarbeiten eine starke – nicht zu ersetzende – Rolle.

Ganz unabhängig von der aktuellen Fokussierung auf Wandarbeiten in Karlsruhe, wird die Künstlerin weiterhin aus dem Vollen schöpfen – ihr gesamtes Repertoire entfalten/nutzen.

Insofern frage ich Kalin Lindena nach dem Kern ihrer Arbeit oder auch nach ihrem weiteren Weg – wo sie eigentlich „hin will“:
Alles aus dem Leben“ (siehe Interview-Zitat oben) erscheint mir tatsächlich das Thema der Künstlerin zu sein.

Es geht offenbar darum, die ganze Welt mit allen Sinnen wahrzunehmen – dies gelingt ihr auch auf Spaziergängen, die sie gerne macht: und dabei die Umwelt sehr intensiv wahrnimmt. Wie ein Flaneur bei Flaubert?: Flanieren können wir verstehen als eigene Kunstform. Die Wahrnehmung der ganzen Umwelt mit allen Sinnen. Etwa der Künstler / Philosoph Walter Benjamin wird gerne zu den Flaneuren gezählt; auch Peter Handke (“Das Gewicht der Welt“) nimmt Bezug auf diese romantische Art der Weltbetrachtung und Wahrnehmung.

Und dann geht es darum, auch alles Wahrgenommene in der Kunst wieder zu geben? Ja.

Manchmal nachts, wenn alle Tagesarbeit erledigt ist (alle Termine, vorbei; die To-Do-List komplett abgehakt), findet sie in ihrem Kopf die Freiheit und die Klarheit, die dann die klaren, einfachen Formen ermöglichen, die dann alles enthalten – und doch so leicht wirken. Ein Orientierungspunk am Fermament – Wegweiser der Reduktion – ist dabei ist schlicht (und nicht einfach) Schönheit.
Ebendies vermag nur die Kunst: umfangreiche (oft auch gegensätzliche) Wahrnehmungen aller Sinne zusammenzufassen, zu reduzieren auf dann manchmal ganz einfach erscheinende Bilder, Formen, die dann widerum in uns Betrachtern Assoziationen evozieren, die eben auch „Alles immer“ beinhalten können – individuell für jeden Kunstbetrachter.

Leichtigkeit ist ja explizit auch Kalin Lindenas aktuelles Thema: “Schatten von Wind“ ist der wunderbar lyrische Titel der Ausstellung. Wie wir gesehen haben beinhaltet gerade die größte Leichtigkeit (des Seins?) dialektischer Weise eben auch die ganze Schwere (des Erlebten?, der Welt?)

Dies gilt für die aktuell zu sehenden Wandarbeiten der Künstlerin wie schon für die eingangs thematisierten Statisten aus Stahl. Jede dieser Stahlskulpturen bewegt insofern

Bild oben: Kalin Lindena: Türkis.dunkel, 2024

Alles immer – das Gewicht der Linie
Jürgen Linde im November 2024