Hausbesuche | Jürgen Linde zur aktuellen Ausstellung der
Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen | 25.01. – 27.04.2025:
Studioausstellung: »Alexis Bust Stephens – Urban Artist aus Sucy-en-Brie«

Gerade wenn man – wie ich dies nun darf – über eine Ausstellung schreibt, die einen begeistert, weil sie einfach „sehr gut gemacht“ ist und vor allem, weil die Arbeit des vorgestellten Künstlers mir als wirklich neu, erfrischend und mitreissend erscheint, neigt man dazu, Klischees zu bemühen, schlicht, um das Neue dem Bekannten gegenüberzustellen, zu imaginieren. Ein Klischee, das einfach wahr ist, zuerst: wer sich von dieser Ausstellung, von dieser neuen Kunst, ein Bild machen will, sollte sie selbst vor Ort besuchen.

Bild links: (Plakatmotiv): Alexis Bust Stephens, Homomotus,
FE 26 #4, Acryl, Ölkreide auf Leinwand, 2020, im Besitz des Künstlers; © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Bekannt ist Alexis Bust Stephens bisher vor allem als Rapper, Tänzer und Graffiti-Künstler – wir könnten ihn also in die Schublade „Streetart“ zu packen versuchen. Da passt er aber nicht rein – viel zu lebendig, zu vielfältig und zu mitreissend sind seine künstlerischen Werke.

In 2024 hatte der Künstler, der nahe Paris lebt, den Auftrag (zur Olympiade in Paris), die vier neuen Olympiasportarten – Breaking, Skateboarding, Sportklettern, Surfen – bildnerisch darzustellen – offenbar eher eine Aufwärmübung für den Künstler, der dies schnell und doch virtuos in einem einzigen Bild realisiert – wir erleben, wie nahe diese 4 Disziplinen einander sind – sie bilden eine Lebenswelt – für Alexis Bust Stephens wohl seine Lebenswelt.

Um all dies zu veranschaulichen, haben die Kuratorinnen der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen auch Videopräsentationen in die Ausstellung integriert; doch zuerst und vor allem erleben wir hier Alexis Bust Stephens als bildenden Künstler.

Bild rechts: Alexis Bust Stephens: Homomotus #6, 2021, Acryl, Ölkreide auf Leinwand, im Besitz des Künstlers
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Ist Alexis Bust Stephens also heute vor allem Maler? Nein, so einfach ist das auch nicht: Schon wieder fliegt uns eine Schublade um die Ohren (der Wind ist stürmisch in dieser Ausstellung): Wir erleben diese Kunst in doppeltem Sinne: wir sehen seine Werke als Wandgemälde und, wer am Eröffnungswochenende SA/SO Nachmittag in die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen (jeweils 15 – 18 Uhr) kommen kann, kann den Künstler beim Live-Painting zusehen und mit ihm ins Gespräch kommen.

Während die Romantik die Einheit, das Verbindende aller Sinneswahrnehmungen sichtbar macht, ins Bild bringen wollte, sehen wir bei Alexis Bust Stephens eher das Gegenteil – das Auseinanderfliegen, das Explodieren des Bestehenden – klar geglaubte Konturen explodieren zu Punkten und Pixeln.

Das Forum Kunst Rottweil zeigt ab 26.01.(bis 09.03.2025) eine Ausstellung mit dem Titel Neoromantik. Der Künstler und Mitkurator Simon Strauß beschreibt in seinem Pressetext zur Ausstellung unsere als die vielleicht letzte Generation, die von sinnlicher Empfindung und ganzheitlicher Wahrnehmung zumindest noch eine Vorstellung hatte.

Wahrnehmung III. Begonnen hatten wir unsere eher soziologischen Überlegungen zur Wahrnehmung der Wirklichkeit – gefiltert durch verschiedene Perspektiven, die wir auch Wahrnehmungsblasen nennen können, vor zwei Wochen: Mit dem heutigen Teil 3 wollen wir dieses Thema vorerst abschliessen; sonst wächst die Gefahr, dass wir beim gemeinsamen Nachdenken über Bubbles irgendwann eine eigene Bubble bilden… Die

Die Medienkünstlerin Hito Steyerl hat uns gezeigt (HInkelstein 21), wie das Internet die Entstehung solcher Wahrnehmungsblasen befördert, weil sich gerade hier die Verschwörungstheorien finden (, die sich online auch optimal verbreiten lassen,) die dann ganz Gruppen von Followern miteinander verbinden – so entstehen Gruppen, die ein Weltbild miteinander teilen, Gruppen, die mit anderen Gruppen/Weltbildern nicht kommunizieren können oder wollen. Als sehr politische Künstlerin verbindet Steyerl intelligent die medienkritisch untermauerte Theorie der Blasenbildung im Internet mit den Entwicklungen in der globalen und hiesigen Politik.

Aus aktuellem Anlass kommen wir heute ein letztes Mal auf dieses Thema zurück Im Feuilleton der SZ vom 20.01.25 – Seite 9: „Kulturkampf? Eher ein Kampf der Unkulture“ beschreibt Joachim Käppner (ohne selbst den Begriff „Blase“ zu verwenden), wie sich die Weltbilder verschiedener sozialer Gruppen so auseinander entwickelt haben, dass keine Kommunikation oder gar Verständigung mehr möglich scheint.

Noch bis in die 80er Jahre hinein war die Welt der Politik und der Soziologen noch einfach: es galt weithin die Klassentheorie: auf der einen Seite die Arbeiterklasse, charakterisiert durch kleinere Einkommen und weniger schöne Wohnviertel, bildeten die Arbeiter eine sich als zusammengehörig fühlende Gruppe, organisiert in mehr oder weniger kämpferischen Gewerkschaften sie demonstrierten sie gegebenenfalls gemeinsam gegen die Arbeitgeber, das Kapital, und wählten sozialdemokratisch oder ganz links. In den besseren Wohnvierteln (die mit den Villen) lebten die besser verdienenden, die größere Autos fuhren, das bürgerliche Lage; diese wählten – liberal -CDU oder – politisch korrekt – die Grünen (dann mit E-Auto als Zweitwagen vor dam Haus, Mercedes-Benziner sicher versteckt in der Garage) . Doch alle konnten noch miteinander reden, und sogar, wenn nach Wahlen die Mehrheitsverhältnisse es erzwangen[ mein Gott! was solls? ] miteinander koalieren. Heute ist die Welt komplexer: die Art des Einkommens („Sehrgutverdiener/Erben“ oder Arbeiter/Sozialhilfeempfänger haben als Zugehörigkeitskritierien zu politischen Lagern – soziologisch: auch Konfliktlinien – längst ausgedient.

Wissenschaftlich betrachtet ist die Situation streng unübersichtlich.

Ich möchte versuchen, einen Zwischenstand dieser dynamischen Entwicklung zu formulieren: anstelle der Lebenswelten (Jürgen Habermas‘ stark modernisierte Variante der Klassentheorie) leben wir in Wahrnehmungswelten (Bubbles).

Diskussion in der Bubbleworld oft unmöglich geworden Stattdessen grenzt man sich entschiedener ab gegeneinander: die AFD etwa – für viele einfach allesamt Faschisten. In den USA gelten die Demokraten (früher hierzulande oft als analoge Kraft zur deutschen Sozialdemokratie begriffen, was so noch nie ganz gestimmt hat, gelten spätestens seit Bill Clintos Regentschaft vielen als Interessenvertetung des Finanzkapitals; die „poltisch liberale“ Wallstreet in New York ist eine Hochburg der Demokraten. Die von Trump geführte republikanische Partei gilt vielen als rechts, Trump, den viele als Diktator sehen (wollen), wird dennoch oft auch von „den einfachen Leuten“ gewählt oder gar bewundert. Led Zeppelins (seltsamer Gedankensprung? Ja.) Communication Breakdown ist heute politischer Alltag: Im o.g. SZ-Artikel analysiert Käppner, wie jedes Thema, wie „jeder Lösungsversuch zum Sprengsatz gegen das andere Lager benutzt wird“. Die letzte Documenta hat erschreckend gezeigt, wie sehr diese politische Entwicklung auch die Kunst tangiert.

Bild links: Alexis Bust Stephens: Homomotus, Better in the wood, 2020, Acryl, Ölkreide auf Leinwand, im Besitz des Künstlers, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

So beschrieb ja auch Hito Steyerl die politische Sicht nach ihren Reise-Erfahrugen in Serbien und Bosnien dahingehend, dass sie mindestens 5 Wahrnehmungswelten erleben konnte. Der Konflikt, der Krieg im Gazastreifen gilt vielen (neuen?) deutschen Linken als ein Krieg Israels (als einer der Führungsmächte des postkolonialen Kapitlallimus …).

Wir in der Kunst sollten alles dafür tun, die Kommunikationsfähigkeit (ohne den die Kunst leben kann) aufrecht zu erhalten – vielleicht hilft uns ja der konkrete Poet Ernst Jandl, der so treffend formulierte:

Wel sagt, dass man
Rings und Lechts nicht verwechsern kann, del rügt.

ABS scheint einen Schritt weiter zu sein: er zeigt uns das Auseinanderfliegen aller bislang klar geglaubten Konturen, eine hektische und unruhige Welt in immer schnellerer Bewegung.

Und doch entdecken wir, wenn wir uns eben doch – oder jetzt erst recht! – etwas Zeit nehmen, in den bildnerischen Werken von Alexis Bust Stephens immer auch ruhige Elemente – kleine Skizzen von Landschaften etwa. Erinnerungen vielleicht an das was gerade auseinander fliegt, was verloren zu gehen scheint.

Wieder erleben wir hier die Kunst als eine dialektische Form der Kommunikation: aus der Hektik erwächst Ruhe, die explosive Gewalt der stürmischen Bewegung evoziert Langsamkeit, gar Zartheit vielleicht. Eine romantische Sehnsucht nach dem bereits Verlorenen?

Bild oben: Alexis Bust Stephens: Saut de l’Être #12, 2022, Acryl, Ölkreide auf Leinwand, im Besitz des Künstlers; © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Da ja die Neo-Romantik heute in aller Munde ist:Ich empfinde die bildnerische Arbeit von Alexis Bust-Stephens als
Nagelneue Neoromantik.

[*]lesen Sie zum Thema Wahrnehmungsblasen auch die Beiträge im kunstportal-bw- Newsletter-Hinkelstein)
Hinkelstein 22, 19.01.2025: Nachdenken über Wahrnehmung II.
Hinkelstein 21, 12.01.2025: Stillstand und Bewegung – Nachdenken über Wahrnehmung.

Jürgen Linde für das kunstportal-bw, 24.01.2025

Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen
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