im Internet: Mimi Kohler
Gastbeitrag von Patrick Alan Banfield über Mimi Kohler
dazu: Jürgen Linde im Juni 2025: | Störungen – über Mimi Kohler | kunstportal baden-württemberg-Porträts: | im Juni 2025
Die Arbeiten von Mimi Kohler entspringen ihrer Begeisterung für Naturmaterialien und einer ländlichen, ja weiblichen Tradition des Sammelns und handwerklichen Verarbeitens großer Mengen gleicher Naturmaterialien zu geometrischen, raumgreifenden Formen. Nähern sich die Besucher* innen den Skulpturen, so können sie entdecken, dass die von der Natur geformten Objekte wie Tannenzapfen, Disteln oder Karden nie perfekt, sondern immer Unikate sind. Das weckt eine fast kindliche Freude, die Skulpturen berühren zu wollen.
Ihre Arbeiten sind thematisch im Spannungsfeld zwischen Natur und Mensch angesiedelt. Naturlandschaften sind dem Klimawandel, dem Rückgang der Artenvielfalt und den Eingriffen des Menschen ausgesetzt. In einem ständigen Prozess wird Natur bearbeitet, zerstört, erweitert oder domestiziert. Zwischen den domestizierten Pflanzen, die als Statussymbole in menschlichen Lebensräumen dienen, und den natürlichen Ökosystemen, in denen sie ursprünglich beheimatet waren, entsteht ein Spannungsfeld und Potenzial.

Bild links: Mobiliar für ein Arbeitsgericht
Installation, 2022.
(210 cm x 90 cm x 100 cm)
© Mimi Kohler
So wie der Mensch der Natur Ressourcen entnimmt und sie für seine Zwecke umformt, entnimmt Kohler der Natur Materialien und verwendet sie in ihrer Kunst. Dies beginnt mit dem Sammeln, oft in den ländlichen Kulturräumen des Schwarzwaldes um Rottweil, wo Kohler aufwuchs. Sie sammelt gemeinsam mit ihrer Mutter und anderen Frauen, zum Beispiel bei der Kardenernte im Herbst. Freunde schicken ihr dann Schnappschüsse von entdeckten, erntereifen Brachflächen voller Karden oder Kohler sammelt Seegras an der toskanischen Küste. Kohler bringt diese Materialien in ihr Atelier, macht sie durch Trocknen nutzbar und fügt sie in einem ersten Schritt in großen Mengen zu eindimensionalen Flächen zusammen – wie genähte Moosteppiche oder Tannenzapfenböden.
Diese Flächen formt sie dann nach mathematisch-geometrischen Prinzipien zu dreidimensionalen Strukturen. So entstehen raumgreifende Skulpturen wie der von der Decke hängende Distelkegel Cirsium arvense (2021), die in den Raum kriechenden Heuschlangen – Heumorphismen (2023) – oder das mit Tausenden von Karden überzogene Sofa „Dipsacus fullonum“ (2022), das sein ursprüngliches Bequemlichkeitskonzept in Frage stellt und zum reinen, unbenutzbaren Anschauungsobjekt wird.

Bild rechts: Buttplugs (zusammen mit Patrick Alan Banfield), 2023; Ceramic Sculpture
Buttplug 1 (Tannenbaum / Christmas Tree)
Buttplug 2 (Narrenkappe / Fool’s Cap)
Buttplug 3 (Der Heiße / The Hot One)
(1) 30cm x 20cm x 20cm
(2) 27cm x 24cm x 24cm
(3) 50cm x 33cm x 14cm
clay, oil stain glaze, bronze gold,
metal black matt finish
© Mimi Kohler
Benutzbar oder nicht benutzbar? Diese Frage stellt sich auch bei der neuen Serie „Buttplug“ (2023), die in Zusammenarbeit mit Patrick Alan Banfield entstanden ist: großen Skulpturen aus Ton, die an Buttplugs erinnern. Die glatte, erotische Form wird durch einen entscheidenden Eingriff subversiv verfremdet: aufgetragene Dornen und Stacheln. Fast jeder Mensch hat sich im Laufe seines Lebens an einem Dorn gestochen – eine basale, universelle Erfahrung von Schmerz. Banfield und Kohler greifen diesen Schmerz auf und übertragen ihn metaphorisch auf eine andere Ebene ihrer Kunst, die das Dilemma zwischen sexueller Lust und potentiellem Schmerz oder gar
Tod intensiviert. Der potentielle Gebrauch der Buttplugs wäre, wenn überhaupt, nur einmal möglich
und dann mit lebensbedrohlichen Konsequenzen verbunden. So vor die Wahl gestellt, offenbart
sich den Nutzerinnen und Besucherinnen das inhärente Dilemma der Freiheit.
Kohlers Arbeit „Du masch en Zirkus!“ (2022) kann als Metapher für das Chaos und die Unvorhersehbarkeit des künstlerischen Prozesses gesehen werden. Die Installation besteht aus 93 rotweißen Zirkuszelten, die wie hingeworfen auf einem hügeligen Untergrund aus Moos und Karden liegen. Die Arbeit thematisiert die Spannungen zwischen Kohlers eigenem künstlerischen Verständnis und den Erwartungen ihrer Familie, insbesondere ihres Großvaters. Dessen Unverständnis für ihre Berufswahl und die Kunst im Allgemeinen spiegelt sich in dem titelgebenden Kommentar „Du machsch en Zirkus!“ wider.

Bild links: Heumorhismen
Room installation, 2023.
(variable)
Hay and bird nests, coat racks, light stands, aluminium bar table, fan, mop pole, serving trolley, bicycle stand and various other metal objects.
© Mimi Kohler
In ihren Arbeiten hinterfragt Kohler den menschlichen Umgang mit der Natur und das Spannungsfeld zwischen domestizierter Schönheit und wildem Ökosystem. Ihre Werke fungieren als kraftvolle Metaphern für unser (soziales) Verhältnis zur Umwelt – ein Verhältnis, das von Bewunderung, Nutzung und oft auch Missbrauch geprägt ist. In diesem komplexen Dialog erinnert uns Mimi Kohler immer wieder daran, dass wir, ebenso wie die Materialien in ihren Installationen, untrennbar mit der Natur verbunden sind. Sie regt uns an, darüber nachzudenken, wie wir uns in dieser Beziehung positionieren wollen.
Patrick Alan Banfield
Internet: | Patrick Alan Banfield
Die nächsten Ausstellungsprojekte von Mimi Kohler:
20.06. – 22.06.2025: | „Attacke der Retroavantgarde“, Basel (Switzerland)
11.07. – 13.07.2025: | „Rundgang“, ABK Stuttgart (Germany)
23.08. – 22.11.2025: | „ECHOPRAXIA“, Kunstverein Kiss, Untergröningen (Germany)