Hinkelstein 50 | 03.08.2025 | Wege durch das Digi-Tal?

Bild oben: Doris Graf: Autostadt, 2012; CityX – Signs of Stuttgart 2015

Hinkelstein, der wöchentliche Newsletter des kunstportals baden-württemberg:
Jeden Sonntag frisch auf den Screen

ordnungsgemäß an den letzten Hinkelstein anzuknüpfen, fällt diesmal leichter als sonst: Mit dem Titel Die Selbstentblößung der Seele – sind wir Menschen überflüssig? hatte ich ja gewissermaßen meine dystopische Weltsicht auf die Spitze getrieben. Und an der Spitze ist es ja irgendwie ähnlich wie am Nordpol: ist man direkt am Nordpol, geht es in allen Richtungen („runter“) nach Süden – und umgekehrt auch, oder …?.

Ergo: wenn man ganz an der Spitze ist, kann es eigentlich nur bergab gehen? Nun denn: Hauptsache egal. Auch Sisyphus hat sich ja seinerzeit daran gewöhnt, dass es immer wieder mal bergab geht. Wieder Gelegenheit, Peter Sloterdijk zu zitieren: „Wir müssen lernen, uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorzustellen“ hat dieser schön formuliert. Und auch jeder Bergsteiger weiß ja, dass der Abstieg (gefährlich und) furchtbar wichtig ist: man will ja noch die Gipfelfotos herumzeigen und bewundert werden – via Cloud genügt das halt nicht.

Also im Ernst: die Selbstentblößung der Seele war ja ein Zitat von Doris Graf, der Stuttgarter Künstlerin, über die wir derzeit unser August-Künstlerinnen-Porträt texten. Und Doris Graf ist nicht nur bekannt und gerade bestens präsent und aktiv in der städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen (15.05. – 28.09.2025:) Studioausstellung: »Doris Graf – XPlacesToBe«, sondern setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit seit einigen Jahren ntensiv auseinander mit den Themen Digitalisierung und Internet. Aufgrund ihrer dabei erarbeiteten Digitalkompetenz und ihrer einzigartigen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Web wurde sie 2014 gar berufen in den in den eher elitären, und tendenziell durch Nerds- /IT-Leute, besetzten Kreis der Digital-Heads Of Germany“.

Ähnlich wie ich eigentlich auch, vertritt sie dabei eine ambivalente Haltung: sie sieht die Nachteile des Netzes genau: Gefahren wie Freiheitsverlust und Totalitarismus sind ihr bewußt, aber genauso klar sieht sie auch die positiven Seiten. Doch, auch ich sehe diese glasklar: Eine Welt ohne Internet – das wäre, zuende gedacht, eine Welt ohne das kunstportal baden-württemberg ! Und das kann nicht nur niemand wollen, nein, das ist absolut unvorstellbar.

In den Gesprächen mit der Künstlerin wurde mir deutlich, dass ich womöglich die Vorteile des Webs zu vernachlässigen begonnen hatte. So schrieb sie mir:
… „Das Web hat uns auch viele positiven Errungenschaften ermöglicht: Weltweiter Austausch Kunst, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, digitale Bibliotheken; CityX übrigens wäre ohne Internet nicht möglich.

Solcherart nachdenklich gemacht, erkenne ich: Mit fortschreitendem Altersstarrsinn wird die Nachdenklichkeit weniger zugunsten der Rechthaberei und bevor diese überhand nimmt, wodurch ja der Hinkelstein langweilig würde, möchte ich eine Denkpause einlegen und an die bewegte Geschichte unseres Internets erinnern:

Das Internet war für die Künstlerin anfangs, ähnlich wie für mich selbst, zuerst als neues, offenes Medium der Kommunikation erschienen, als ein Forum des Austauschs unter Gleichen und, so dachte ich (wie damals viele andere naive Euphoriker), als Katalysator für die dringend nötige Erneuerung und Auffrischung unserer Zivilgesellschaft. Ich erinnere mich noch, wie mir Peter Weibel (in 2002 oder 2003?) sogar ein kleines Buch geschenkt hat mit dem Titel „Seid NET zueinander“ – geschrieben (den Autor weiß ich nicht mehr) genau in diesem Geiste der damaligen Euphorie, die uns glauben ließ, an der Wiedergeburt oder Erneuerung oder mindestens der Neuerfindung der freiheitlichen Demokratie teilhaben zu dürfen. Freiheit und Demokratie (beide heute in frage gestellt und gefährdet durch die gesellschaftliche Entwicklung auch hier und die internationale politische Tendenz zu autokratischen Herrschaftssystemen) schienen vor einem neuen, jetzt globalen Gipfelsturm zu stehen.
OK, We’re On the Road again

Wir Internet-Leute waren damals also an der Spitze, wir fühlten uns wie auf dem Gipfel – leider aber auf dem Gipfel einer naiven Erwartungshaltung: Und wie wir oben gelernt haben, geht es vom Gipfel aus immer bergab)
Aus recht großer Höhe also, angstfrei und naiv errungen, stürzten wir dann ab, als sich die Freiheit der Daten als Inbesitznahme derselben entpuppte.
Es folgen nach dem Browserkrieg in den 90er Jahren alsbald die allumfassende und nerven – wie auch kreativitätstötende Kommerzialisierung des Netzes. Verbunden und verstärkt dann noch durch die sogenannten Social Media.
Vom umfassenden Absturz seither – sowohl die Internetwelt als auch Gesellschaft und Politik insgesamt betreffend – erhalten wir starke visuelle Eindrücke in diesem Video zu Deep Purple – Child in Time.

Heute wollten wir ja innehalten, um der – wahrscheinlich wieder irrationalen – Hoffnung Raum zu geben. Schon vor geraumer Zeit hatte sich hier ein Hoffnungsschimmer eingeschlichen: Hinkelstein 45 | 29.06.2025 | Erinnerung an die Zukunft.
Die Rede war damals vom Day after Tomorrow; von einer Zeit nach dem Totalitarismus, nach der totalen Kommerzialisierung. Ja, ist denkbar. Aber kann es eine Zeit nach der Digitalisierung geben, oder wenigstens eine Epoche des vernünftigen menschengrechten Einsatzes der digitalen Möglichkeiten – oder anders gefragt; nachdem wir oben ja schon beim Abstieg waren:

Gibt es Wege durch das Digi-Tal?

Manche wollen ja schnell durch das Digi-Tal; was aber eher schwierig ist (siehe Bild oben).
Auch dann gilt die alte Weisheit: Wenn Du es eilig hast, mache einen Umweg.

Als Wegweiser für den Umweg empfehlen wir unsere

guten Nachrichten aus der Kunst am Sonntag, dem 03.08.2025:

Neu am 03. August 2025: | Künstler | 07.10.2025 – 22.02.2026 | Mischa KuballBoris Petrovsky u.a.: | Kunstmuseum Celle: | Kometen. 25 Jahre Kunstmuseum Celle
Neu am 03. August 2025: | Galerie im Prediger Schwäbisch-Gmünd | bis 21.09.2025 | Justyna Koeke. Spinnen: | Neu: Weitere Bilder der Ausstellung
Neu am 03. August 2025: | ZKM Karlsruhe | 29.03. (verlängert bis) 07.09.2025 | Ein Projekt im Rahmen von Fellow Travellers | Lichthof 8 + 9, 1. OG: | Khanda Hameed & Nabaz Samad. The Voice of Women Is the Voice of Freedom
Neu am 03. August 2025: | Kunsthalle Baden-Baden | Mi, 13.08. und Do, 14.08.2025; jeweils 10 – 12 und 14-16 Uhr: | Vier Workshops mit der Künstlerin Mehtap Baydu: | Kunst erleben – kreativ werden! | [ Kunsthalle Baden-Baden | bis 14.09.2025: | Mehtap Baydu: Lass deinen Regen regnen ]
Neu am 03. August 2025: | Museum Ritter Waldenbuch | Sa, 06. September, 11-18 Uhr: | Jubiläumsfest: 20 Jahre Museum Ritter
Neu am 03. August 2025: | Newsletter  Hinkelstein: | Sonntag früh frisch auf den Screen: | Hinkelstein 50 vom 03. August 2025: | Wege durch das Digi-Tal?

Wir wünschen Ihnen einen wirklich schönen Sonntag, der ganz allen Anforderungen, die wir legitimerweise an den ersten August-Sonntag dieses Jahres stellen dürfen, vollendet gerecht wird.Vielleicht einen Wandertag? Durch das Tal?

Jürgen Linde und Obelixa, Sonntag, 03.08.2025