über Justyna Koeke
Justyna Koeke im Internet: | Justyna Koeke | https://www.justynakoeke.com
Mail: justynakoeke@yahoo.de

Bild oben: Justyna Koeke, Lagerfeuer-Netz, 2025 (Detail). Galerie im Prediger.
© Justyna Koeke. Foto: Rochus Bindner.
Über die Künstlerin Justyna Koeke zu schreiben, erschien mir, zuerst, recht einfach:
Von ihrer Ausstellung “Spinnen“ in der Galerie im Prediger Schwäbisch Gmünd (20.07. – 21.09.2025 )“ hatten wir vorab, wie gewohnt und „wie es sich gehört“, schon einige Bilder im kunstportal-baben-wuerttemberg:

Foto: Ausstellungsansicht Justyna Koeke: Spinnen, Galerie im Prediger,
© Justyna Koeke. Foto: Friedemann Gerster-Streit
Ausstellungsansichten – im Zentrum offenbar eine Rauminstallation mit vielen Seilen; in der Mitte ein Lagerfeuer? Bilder sehr eigener Art, die mich auf Anhieb begeisterten. Eine spannend erscheinende und besondere Atmosphäre, eine eigene, mit vielen Seilen und Schnüren auch märchenhafte und (modern, aber oft treffend:) immersive Welt.
Entsprechend bestens gelaunt und mit einiger Vorfreude fuhr ich dann Anfang September 2025 nach Schwäbisch-Gmünd, um die Künstlerin bei einer persönlichen Ausstellungs-Führung kennenzulernen.
Die Galerie im Prediger schrieb in ihrem Pressetext zur Austellung:
Mit einer vor Ort neu entwickelten Installation nimmt die Stuttgarter Künstlerin Justyna Koeke den Raum der Galerie im Prediger ein und spinnt darin ihr Netz. Begrüßt werden die Besucherinnen und Besucher von einer großformatigen Fotografie rechts neben dem Eingang. Es handelt sich um die Aufnahme einer von Koekes „Highheels-Skulpturen“, bei denen die Protagonistinnen von einem kaum fassbaren Sammelsurium an Objekten überladen scheinen und doch Stärke beweisen, die Last aufrecht tragen. Kleinformatigere Abzüge dieser und anderer Serien, z. B. ihrer „Wüstenblumen“, „Wegweiser“, „Überlebensstrategien im Patriarchat“ oder „Frauen im Wald“ lassen sich noch häufiger im Raum entdecken. Und Entdecken oder gar aktiv Erforschen ist genau das, wozu die Ausstellung einlädt.
(Linnea Streit, Kuratorin der Ausstellung )
Vorab wusste ich natürlich schon, dass Justyna Koeke gelernte Bildhauerin ist, aber auch aus der Theaterwelt viele künstlerische Erfahrungen mitbringt. Auch hatte ich gelesen, dass sie bei ihrer Arbeit als Dozentin an der Kunsthochschule Stuttgart eigentlich allen Kunstformen den Raum gibt, die das jeweilige Projekt erfordert. Als Mitarbeiterin und Dozentin in der Medienwerkstatt im Studiengang Freie Kunst hat sie ja Zugriff auf einfach alles – von den Materialien und Werkzeugen für „konventionelle“ Formen (Zeichnung, Malerei, Bildhauerei, Keramik) bishin zu Video, Film, digitalen Techniken; auch komplette Kunstkampagnen in den „Social Media“ hat sie bereits erfolgreich durchgeführt.

Bild oben:
Alf Setzer, Frontmann der Akademischen Betriebs Kapelle, und Justyna Koeke (Bass und Kostüme)
Die Künstlerin kennt keinerlei Berührungsängste; auch nicht zur digitalen Welt hin. Sie nutzt „Social Media“, um die Öffentlichkeit für ihre Arbeit zu erweitern. Und dort, wo die manchmal hermetische Kunstwelt an die „normale“ Alltagswirklichkeit stößt, inszeniert sie lustvoll Grenzüberschreitungen. Unter anderem mit Alf Setzer, dem Bildhauer und früheren Leiter der Bildhauerwerkstatt an der Stuttgarter Kunstakademie (ABK; Akademie der Bildenden Künste), spielt sie, selbst am E-Bass, gemeinsam in der (auch: ABK; hier für:) Akademischen Betriebs-Kapelle, für die sie die erfrischend schrillen Auftrittskostüme gestaltet und schneidert. Alf Setzer, als Frontmann, singt dazu 1A-Punk (viele Texte sind von Birgit Brenner).
Zweifellos ist diese radikale formale Offenheit der Form ein Ausdruck der Freiheit, den Justyna Koeke in der Kunst sucht und findet, was sie schon oft überzeugend bewiesen hat – mit vielen Kunst-Projekten, deren angemessene Darstellung unser Format des Künstlerinnenporträts bei weitem überschreiten würde, die auf der Website der Künstlerin kennen zu lernen, wir aber sehr empfehlen: Projekte, Arbeiten
Dort finden Sie auch einen sehr guten Text von Justyna Koeke selbst über ihre Arbeit: Vita
War es mir anfangs (s.o.) einfach erschienen, über Justyna Koeke zu schreiben, so wurde dies immer schwieriger, je tiefer ich eintauchte in diese überbordende Vielfalt und gewaltige Kreativkraft. Schwierig, einen Zugang zu finden zur vielfältigen Arbeit dieser Künstlerin, deren quicklebendiges Werk auch ständig weiter in Bewegung, in Entwicklung ist:
Sehr bald etwa, so erzählt sie mir, wird sie eine Weile in Chile zubringen, wo sie in der Atacama Wüste, der t die trockensten Wüste der Welt, wieder einmal Extreme erleben will, die als neue Erfahrungen dann inspirierend einfließen werden in ihr künstlerisches Schaffen.
Bleiben wir hier aber zunächst weiter bei der Ausstellung im Prediger Schwäbisch-Gmünd, welche die ja durchaus schon hohen Erwartungen durch einige wirklich verblüffende Überraschungen noch übertrifft.
Vorort erwies sich dann diese märchenhafte Installation nicht alleine als Traumwelt, die der Imagination Vorschub leistet, sondern auch als eine Art Trimm-Pfad, wie es sie in den 70er Jahren fast überall gab (schnauf, ächz, röchel).

Bild oben: J. Linde: ÖPNV- Bahnhofsimpression Dombühl, 04.10.2025; 07:02 Uhr
Los geht es mit einer Seilkonstruktion, bei der man sich an Ringen festhaltend, vorwärts hangeln soll oder darf. Durchaus eher anstrengend – nach gut 4 Stunden ermüdender Anreise im – einmal mehr pünktlichen – Nahverkehr. Auf den Versuch, am Ende des Parcours auf einem Seil zu balancieren verzichtete ich dann lieber, obwohl die beiden Halteseile in Hüfthöhe einen Erfolg fast als denkbar erscheinen lassen.
Mit dem Ausstellungstitel “Spinnen“ evoziert die Künstlerin nicht zufällig den Gedanken an das Internet, das (World Wide) Web: Das Internet, wo wir alles Gute und (erst recht?) alles Schlechte unserer realen Welt finden. So erscheinen auch in dem Seil-Netz, das die Künstlerin ganz real im Gmünder Prediger spinnt, zahlreiche Erinnerungen oder besser: Verweise (Fotos,Objekte) auf einige ihrer früheren Projekte und immer wieder auf eines der Haupthemen ihrer künstlerischen Arbeit: die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Auch entdecken wir mehrfach Hinweise auf ihr bislang vielleicht erfolgreichstes und spektakulärstes Projekt: – Prinzessinnen und Heilige – Märchenwelten?

Oder müssen wir mediengesellschaftlich modern von Fantasy sprechen – als der kommerzialisierten Form von Märchen: Fantasy finden wir auch im Internet, in Filmen und in (einem laut ZKM neuen Leitmedium!:) Videospielen; und sogar in harrypotterähnlichen (?) papiernen Büchern, deren Auflagen entgegen dem Buchmarkttrend insgesamt seit ein paar Jahren steigen!
Tatsächlich glaube ich hier, auf diesem Pfad, einen Ausweg zu finden aus dem anstrengenden Parcours – und einen roten Faden für unser Künstlerinnenporträt: Denn die Künstlerin gibt mir ein Katalogbuch aus dem Jahr 2016 mit auf den Weg: Thema ist das schon genannte Kunstprojekt: „Prinzessinnen und Heilige“:
Hier hat die Künstlerin, die in einer Künstlerfamilie im polnischen Krakau aufgewachsen ist, alte bunte und sehr phantasievolle Zeichnungen aus ihrer Kindheit zu neuem Leben erweckt, indem sie diese – ein wenig grotesk und doch immer geschmackvoll – als opulente umwerfend farbgewaltige Theaterkostüme geschneidert, inszeniert und vielfach präsentiert hat: Unter anderem auf der Berlin Alternative Fashion-Week in 2026, zu der es einen Film auf Youtube gibt, der hierzu einen guten Einblick liefert:
Berlin Alternative Fashion Week MARCH 2016 – JUSTYNA KOEKE [OFFICIAL]

Die Idee, die ungebremste Phantasie und Kreativität der eigenen Kindheit zu neuem Leben zu erwecken, erscheint mir als paradigmatisch für Justyna Koekes künstlerische Strategie.
Weit deutlicher noch als im Trimmpfad-Kunst-Parcour in Schwäbisch-Gmünd unterläuft sie sartirisch-provokativ unsere Sehgewohnheiten in ihren Modeschauen mit Märchenkostümen nach Zeichnungen aus ihrer Kindheit: Statt perfekt gestylter superschlanker Models, deren Magersucht uns in Angstzustände versetzt, treten bei Justyna Koeke ganz normale Frauen als Models auf – und haben ihre Freude am ironisch-provokativen Spiel.

Doch drängt sich uns natürlich die Frage auf: Ist es überhaupt möglich, die Phantasie und Kreativität unserer Kindheit (sofern wir diese damals haben er- und ausleben können) zu reaktiveren, wiederzubeleben – oder sind diese Quellen längst versiegt, verdrängt und zugeschüttet von den unendlich vielen Bildern unserer Medienwelt?
Mancher wird sich erinnern an das berühmte Zitat von Picasso: “Ich konnte schon früh zeichnen wie Raphael, aber ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein Kind.“
Ja, unvoreingenommen in/auf die Welt zu blicken und, der eigenen Phantasie folgend, selbst kreativ zu werden – ist dies heute überhaupt noch möglich; für uns?
Wenigstens für die Kinder?
Wer meine medien- (und v.a.) internetkritischen Texte aus unserer Hinkelstein:-Reihe kennt, weiß, dass ich daran sehr zweifle, was ich auch im letzten Hinkelstein (Nr. 61 vom 23.11.2025: Gleichschaltung der Phantasie?) erneut sehr deutlich zu begründet habe.
Doch Justyna Koeke erzählt uns mit ihrer künstlerischen Arbeit eine andere, viel bessere Geschichte:
Ihre Präsentationen, gerade auch „Prinzesssinnen und Heilige“ erscheinen gewollt auch märchenhaft, doch erzählt uns die Künstlerin keine Märchen: Stattdessen adressiert, so erscheint es mir, diese Kunst unser Unterbewußtsein:
Hier ist unsere kindliche Phantasie noch zu finden: ein Teil vielleicht des Unzerstörbaren in uns Menschen, das Franz Kafka immer wieder erwähnte und das er wohl als als konstitutive Existenzgrundlage unsere Menschseins betrachtete. Gläubige Christen denken hierbei vielleicht an die Gewissheit Gottes, dass er existiert und immer, in jedem Moment bei uns ist. Agnostiker denken dabei womöglich an unsere Seele, die wir ja auch als unzerstörbar denken.
Die kindliche Phantasie ist bestimmt Teil dieses Unzerstörbaren und die Kunst kann diese finden und reaktivieren:
So wie der Leser der Unendlichen Geschichte (jeder von uns kann dieser Leser sein) entdeckt, dass Phantasien sich zwar in akuter Gefahr (bedroht vom Nichts – ein wunderbares Bild von Michael Ende) befindet, aber noch existiert und gerettet werden kann, wenn wir sehen und verstehen und last, but not least, selbst aktiv werden.
Ebendies veranschaulicht auch Justyna Koeke: nicht zuletzt mit ihrem Kunst (Trimm Dich fit)-Parcours, der gleichzeitig auch wieder die Körperlichkeit ins Spiel bringt, die gerade für Bildhauer ja ein zentrales Thema ist, und in unserer modernen körperlosen Digitalwelt fast verschwunden scheint.

Justynas Koekes Kunst wirkt so provokativ erfrischend, dass sich mir trotz der in meinen Texten ja üblichen dystopischen Denkerei ein positiver Abschluss geradezu aufdrängt:
Wir erinnern uns an einen genialen Text von Franz Kafka – eine Parabel, die aus nur 2 Sätzen besteht. Auf der Galerie sitzt ein Beobachter und schaut einer Artistin zu, einer wunderschönen Kunstreiterin, die in faszinierender Perfektion und mit scheinbarer Leichtigkeit die schwierigsten (fast unglaublichen) Übungen präsentiert.
Begeistert und noch immer staunend aber stellt sich dann der Gedanke ein an die furchtbaren Anstrengungen und Qualen, an die Zumutungen des Zirkusdirektors, der sie zu diesen Höchstleistungen angetrieben und die sie erduldet hat.
(Franz Kafka, 1919: Auf der Galerie- im Band: Der Landarzt.)
Und so ist es auch in unserer Wirklichkeit: wir sehen die strahlend glänzenden Glücksversprechen der digitalen Konsumwelt und blicken gleichzeitig in einen tiefen Abgrund, der uns Angst macht.
Auch hier liegt nach meinem Empfinden die Leistung der Kunst, die diese Ambivalenz sichtbar macht. Justyna Koeke zeigt uns in ihren märchenhaften Theaterwelten und in ihren Rauminstallationen, vielleicht in all ihren Exponaten und Präsentationen, dass die kindliche Kreativität nicht gleichgeschaltet werden kann, dass sie unzerstörbar ist und auch (wieder-)belebt werden kann:
Sie macht t für uns an einen fast vergessenen Teil unserer Wirklichkeit (wie Phantasien in Michael Endes „Unendlicher Geschíchte“) sichtbar. Als politische Künstlerin nimmt sie uns mit: Wir sollen sehen, aufstehen und handeln – Justyna Koeke lädt uns ein. Nehmt Platz:
Auf der Galerie.
(Text in: Franz Kafka, 1919: Auf der Galerie- im Band: Der Landarzt.
Jürgen Linde im Dezember 2025