Füssen, Bad Tölz und der Chiemsee – Eine frühlingshafte Kulturreise durch das Voralpenland

3. Unsere dritte Station: Chiemgau

Marc Peschke unterwegs mit alpiner Perspektive

  1. Wir starten in Füssen
  2. Unsere zweite Station: Tölzer Land
  3. Unsere dritte Station: Chiemgau

Unsere dritte Station: Chiemgau

Wir kommen am Rande des kleinen See-Orts Seebruck auf dem Moier-Hof Lex unter – ein Landhof mitten im Grünen mit mehreren Ferienwohnungen und Zimmern. Auch hier ist die Alpenkette ganz nah – wir haben einen schönen Blick darauf von unserer Terrasse, doch uns zieht es diesmal nicht in die Berge, sondern in Museen und Galerien.

Schon gleich in Seebruck kann man damit beginnen, nämlich in der 2024 frisch eröffneten Heinrich Kirchner Galerie (https://www.seeon-seebruck.de/heinrich-kirchner-skulpturen), die Plastiken, Porträt-Büsten, Kleinmodelle, Zeichnungen und Grafiken des 1984 im nahen Pavolding verstorbenen Künstlers, documenta II-Teilnehmers und Münchener Akademieprofessors zeigt. Das Werk des in Erlangen geborenen Künstlers, vor allem seine Bronzeplastiken, ist an verschiedenen Standorten in der Gemeinde Seeon-Seebruck zu finden – sie berühren uns in ihrem archaischen Gestus. Seine Vorbilder sind in der frühmittelalterlichen Kunst zu suchen, im Schaffen fremder Kulturen der Welt und des Expressionismus. Es sind freundliche, meist überlebensgroße Wesen, die er uns zeigt, dickbäuchig und mit dünnen Armen und Beinen. Im Wunderhorn-Verlag ist noch ein schönes Buch über den Künstler erhältlich: https://www.wunderhorn.de/?buecher=heinrich-kirchner

Zeit für eine Stärkung! Auf dem Weg zwischen Seebruck und Gstadt – wunderbar am Fahrradweg rund um den Chiemsee gelegen – empfehlen wir am Strandbad von Gollenshausen das Café Seehäusl. Hier sitzt man sonnig, direkt am Wasser – mit einem einzigartigen Blick über den Chiemsee auf die Alpenkette. Perfekt für ein nachmittägliches Helles! (https://www.chiemsee-alpenland.de/entdecken/essen-trinken/gastronomie/cafe-seehaeusl-be34821354). Und Ende Mai ist es nun auch endlich warm genug, um im See zu baden!

Ein Höhepunkt jeder Chiemgau-Reise ist das wunderbar an einem kleinen See gelegene, 994 gegründete Kloster Seeon mit seinen kulturellen Veranstaltungen und Ausstellungen. In Seeon speist man zudem sehr gut: Im historischen Gasthaus „Zum alten Wirt“ probiert man bitte unbedingt das Rehragout mit Serviettenknödel (www.zum-alten-wirt-seeon.de) und im Tagescafé „Waltenbergstüberl“ die Kaspressknödelsuppe (www.waltenbergstueberl-seeon.de).

Unbedingt sehenswert ist die Salinenstadt Rosenheim ganz in der Nähe: Die Gewinnung und der Transport von Salz beeinflussten seit dem Mittelalter die Entwicklung der Chiemgauer Kulturlandschaft. Rosenheim mit seinem prächtigen Max-Josefs-Platz, dem historischen Marktplatz mit seinen Bürgerhäusern im in der ganzen Region typischen Inn-Salzach-Stil mit Arkadengängen, Schein-Fassaden und Erkern zieht mit seiner Städtischen Galerie auch viele Kunstliebhaber an (https://galerie.rosenheim.de/). Bis zum 22. Juni zeigt der Kunstverein Rosenheim hier wie jedes Jahr seine jurierte Jahresausstellung unter dem Titel „KUNST AKTUELL“. 125 Arbeiten von 78 Künstlern und Künstlerinnen sind zu sehen – medienübergreifend. Die Ausstellung lohnt in ihrer Gegenwärtigkeit und Vielfalt, aber auch der Blick auf die Architektur des renommierten südbayerischen Kunsthauses ist spannend: 1935 errichtet, ist der Entwurf des von Hitler überaus geschätzten nationalsozialistischen Architekten, Hochschullehrers und SS-Mitglieds German Bestelmeyer ein klassisches Beispiel des NS-Neoklassizismus – der Bau ist etwa zeitgleich mit dem Haus der Kunst in München entstanden.

Heute ist das Haus unter der Leitung von Monika Hauser-Mair vielfältig aktiv und pochendes Herz der Rosenheimer Kunstszene. Man kuratiert hier hervorragende Themenausstellungen und stellt immer wieder auch Flächen für Streetart bereit. Vom 4. bis 13. Juli veranstaltet die Städtische Galerie so auch die große Streetart-Show „*transit art“ mit vielen Wandgemälden im Stadtraum. Ein „Art Walk“ lädt ein, die Kreationen der Urban Art-Künstler kennenzulernen: https://www.chiemsee-alpenland.de/entdecken/tourenportal/transit-art-walk-rosenheim-3910c049bc

Das 1988 eröffnete Ausstellungszentrum Lokschuppen Rosenheim zeigt derzeit die Schau „TITANIC. Ihre Zeit. Ihr Schicksal. Ihr Mythos“ – eine immersive Multimedia-Installation mit Originalartefakten, in der man tief eintauchen kann in die Geschichte des mythischen Schiffes (https://www.lokschuppen.de/titanic).

Am nächsten Tag geht es nach Wasserburg mit seiner großen historischen Altstadt, die heimelig von einer Schleife des Inns umschlossen ist. Wasserburg gilt als eines der schönsten Städtchen der ganzen Region. Es ist eine Kulturstadt, in der der Verein AK68 (Arbeitskreis 68 – Künstlergemeinschaft Wasserburg am Inn) seit den turbulenten Tagen der Studentenbewegung ein vitales Forum für zeitgenössische Kunst bietet (https://www.ak68.org/).

Bild links: Wasserburg am Inn; © Foto: Marc Peschke

Aktuell zeigt der Verein (sonst seit 1975 in der eigenen Galerie im „Ganserhaus“ beheimatet, das allerdings gerade renoviert wird) in der ehemaligen Polizeiinspektion am Kaspar-Aiblinger-Platz eine Ausstellung des Münchner Fotografen Ingolf Hatz: „what´s cookin´?“. Seit Jahren besucht Hatz die Künstlerinnen und Künstler des Vereins mit seiner Kamera in ihren Ateliers. Die Polizeiinspektion ist ein schräger, aber stimmiger Ort für Kunst – auch Werke der Porträtierten und Videodokumentationen über ihre Arbeit sind zu sehen.

Ab dem 27. Juli bis zum 24. August wird hier und an einigen anderen Orten der Stadt dann die „Große Kunstausstellung“ des Vereins präsentiert. 200 Künstler und Künstlerinnen, die ganz große Kunst-Sause im kleinen Städtchen. Wir finden auch hier in Wasserburg die so typische Inn-Salzach-Bauweise der Bürgerhäuser mit ihren Schein-Fassaden vor dem von vorne unsichtbaren Dach wieder. Die ganze Inn-Region bis nach Österreich ist geprägt von diesen eindrucksvollen Häusern, die mit hellen, freundlichen Farben verputzt sind.

Viel Kunst und Kultur gibt es in der ganzen Gegend zu entdecken, wie etwa auch die Fraueninsel mit der Inselgalerie und der Torhalle sowie die Herreninsel mit dem weltberühmten Landschaftspark, dem Alten Schloss und dem Neuen Schloss Herrenchiemsee (erreichbar ganzjährig mit der Chiemsee-Schifffahrt), das – wieder einmal begegnen wir ihm – Ludwig II dort ab 1878 erbauen ließ und das wegen seines Todes 1886 unvollendet blieb, wie so viele seiner Pläne (www.herrenchiemsee.de). Mehr als 300.000 Gäste aus aller Welt besuchen das Prunkschloss und den weitläufigen Schlosspark jährlich. Und das zu Recht: Das Schloss vor der Kulisse der Chiemgauer Alpen an einem sonnigen Frühlingstag – das ist einer der schönsten Landschaftseindrücke, die man in Deutschland haben kann.

Und immer wieder zieht auch die Gegenwartskunst hier ein. Die von der Münchener Pinakothek der Moderne initiierte Ausstellungsreihe „Königsklasse IV. Gegenwartskunst in Schloss Herrenchiemsee“ beschäftigt sich noch bis zum 12. Oktober mit dem Thema „Kunst und Demokratie“ und zitiert im Titel den Deichkind-Song „Könnt Ihr noch?“: https://www.pinakothek.de/de/kunst-und-demokratie. Fragile Arbeiten wie Inge Mahns „Balancierende Türme“ aus dem Jahr 1989, aber auch Werke und Installationen von Pablo Picasso, Max Beckmann, Francis Bacon, Joseph Beuys, Gerhard Richter, Rosemarie Trockel, Sheila Hicks und Thomas Schütte machen in den unvollendeten Rohbauräumen im Nordflügel mächtig Eindruck.

Oft und manchmal übertrieben wird von einem besonderen Dialog zwischen Raum und Kunst gesprochen, doch hier ist es wirklich so. Ausgestellt sind 50 Hauptwerke der Sammlung Moderne Kunst der Pinakothek, die daran erinnern, dass genau hier, auf Herrenchiemsee, im August 1948 die Grundlage für die deutsche Verfassung erschaffen wurde. Es sind ganz ikonische Arbeiten in der Schau, wie etwa die „Rose für direkte Demokratie“ von Joseph Beuys.