Tales of Mystery and Imagination – über Sergei Moser

Doppelporträt zur Kunst von Sergei Moser:

Dr. Isabell Schenk-Weininger: | Sich im Rückspiegel neu erfinden – Zur aktuellen Linolschnitt-Serie von Sergei Moser

Jürgen Linde: Tales of Mystery and Imagination

Sergei Moser ist derzeit besonders prominent hier in der Region vertreten: als 1. Preisträger der aktuell noch laufenden 13. Linolschnitt-Triennale ist sein Name in aller Munde; auch ziert eines seiner typischen Werke das Plakat der Ausstellung, bei der Künstler schon zum fünften Mal teilnimmt:

Bild oben: Sergei Moser, © „1976“, 2024; Farblinolschnitt, Mischtechnik auf Leinwand (Wandkarte), 116,1 x 193,2 cm; Unikat; © Foto: Sabine und Tom Bloch
bis 26.10.2025: | »Linolschnitt heute – XIII Grafikpreis der Stadt Bietigheim-Bissingen«

Bild links: „Spiegelturm IV“, 2018
Linoldruck, Mischtechnk, 170 x 130 cm­

Während Sergei Moser virtuos in den verschiedensten Mal-, Druck- und Zeichentechniken unterwegs ist, ist es eine einzigartige Besonderheit (ein “absolutes Alleinstellungsmerkmal”) dieser Ausstellungsreihe der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen, dass ausschließlich Linoldrucke eingereicht werden dürfen, was diesmal knapp 500 Bewerber aus 33 Ländern getan haben!

Beschränkt oder viel besser: fokussiert auf den Linoldruck, entdecken und entwickeln die Künstler immer neue Möglichkeiten, das Ausdrucksspektrum dieser eigentlich einfachen Technik zu erweitern und dabei Grenzen zu überschreiten, von denen wir, wenn im Kunstunterricht in der Schule ”Linoldruck machen mußten”, noch gar keine Vorstellung haben konnten.

Seit 2007 immer im Wettbewerb dabei, hat Sergei Moser in 2016 als erster sogar einen Film eingereicht. Über die bisherige und v.a. auch über die neueste Linolschnitt-Serie von Sergei Moser schreibt die Erfinderin der Linolschnitt-Wettbewerbsreihe, die Leiterin der städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen, Dr. Isabell Schenk-Weininger ihren kenntnisreichen Katalogbeitrag: “Sich im Rückspiegel neu erfinden …”. Wir danken ihr dafür, diesen Text hier veröffentlichen zu dürfen.

Bild rechts: „Der Späher“; 2018; (Funkdienst) V – 2018 – 170 x 105 cm

Mein eigener Weg zu Sergei Mosers Arbeit führte nicht über seine besondere Meisterschaft, was den Linolschnitt betrifft, stattdessen war und ist es Mosers ganz eigene Bildwelt, die mich interessierte und heute mehr denn je begeistert.

Die Zeichnungen und Drucke von Sergei Moser evozieren für mich eine Atmosphäre der Düsternis, Dunkelheit; vielleicht der Bedrohung. Auf jeden Fall sehr geheimnisvoll. Bei dieser Dunkelheit wiederum denke ich an ein altes Musik-Album (1976) von Alan Parsons Project: Tales of Mystery and Imagination – Edgar Allen Poe. Über den Link ist auf Youtube das ganze Album zu hören; vielleicht direkt beim Weiterlesen?

Immer wieder schreibe ich hier über die Bildwelt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Sergei Mosers Arbeiten berühren mich an einem weiteren Schwerpunkt meines eigenen Zugangs zur Kunst: während der Künstler ganz frei, virtuos und ganz selbstverständlich gegenständliche Elemente (menschliche Figuren, Gesichter) überall einsetzt, wo es ihm passt, verblüffen immer wieder eher fremde, technoide, vielleicht halborganische Wesen oder Elemente, die mich erinnern an Bilder (Bilder, die ich gesehen habe oder die ich mir beim Lesen vorgestellt habe; genau unterscheiden können wir das ja rückblickend oft gar nicht ) aus der Welt der Science-Fiction: ganz konkret sind es Assoziationen zu dystopischen Zukunfts-Visdionen, zu totalitären Systemen, sicher eher bedrohlich als angenehm oder vertrauenerweckend.

Als Künstler äußert sich Sergei Moser nicht explizit zur Politik, gibt keine Statements oder Bewertungen ab. Und doch handelt seine Arbeit fast ständig von Politik: von Anfang an wecken Mosers Werke bei mir Assoziationen zu George Orwells 1984; der Späher etwa erinnert fast explizit an Big Brother; viele weitere Zeichnungen wirken auf ähnliche Weise bedrohlich, manchmal klaustrophobisch.

Unvermeidlich wohl komme ich hier auf unsere Thematik, die wir (im kunstportal-bw) seit einem Jahr in der Hinkelstein-Serie fokussieren: die Gefahr totalitärer Herrschaftssysteme, zu denen ein globaler Trend kaum bestreitbar erscheint.
Unsere Themen dort, der globale Trend zu autoritären Machtsystemen und die besondere Gefahr eines technologischen Totalitarismus, sind nach meinem Empfinden auch die Themen des Künstlers Sergei Moser.

Bild links: „Kein Ende in Sicht I“, 2019; 130 x 130 cm

Hinzu kommen dann architektonische Bildwelten, die auch eher gewaltig im Sinne von bedrohlich wirken: Kafka ist nicht weit weg; noch näher sind beängstigende Menschmaschinen wie etwa das Titelmotiv Tarkus auf dem gleichnamigen Album von Emerson,Lake & Palmer (schon 1971) : hier das Cover-Bild und dann die Musik auf Youtube:
Emerson, Lake & Palmer – Tarkus (Live At The Royal Albert Hall (1992)

Auch das Stichwort Menschmaschine kennen viele nicht nur von Kraftwerk (und deren gleichnamigen Album von 1978), sondern etwa auch unserem Künstlerinnen-Porträt im Mai 2025: | Imagination – über Tanja Pohl . Eine Künstlerin, die ebenfalls diese Themen bearbeitet und auch schon eine Ausstellung mit dem Titel Menschmaschine gezeigt hat.
Erneut also schreibe ich hier über Dystopie und Utopie, vielleicht, weil im Alter die Zukunft immer weniger und die Vergangenheit immer mehr wird? Dies versuche ich seit Jahren, ganz gelassen zu sehen:
Tag für Tag wird die Vergangenheit mehr.
Hat sie doch keine andere Wahl.
(Jürgen Linde, 2021)

Bild rechts: „Unter der Glocke IV „- 2017 – 170 x 130 cm

Imagination jedenfalls, die mir vielleicht gerade deshalb immer wichtiger wird, war auch Thema in unserem letzten Künstlerinnenpoträt – über Johanna Jakowlev: Himmel voller Möglichkeiten.
(Unendlich?) viele Möglichkeiten? Natürlich sind die besonderen Möglichkeiten des ja sehr aufwändigen Linoldruckverfahrens auch Thema beim Gespräch mit Sergei Moser. Der Künstler, der gerade bei seinen großen Arbeiten oft Wert legt auf eine malerische Wirkung, erklärt mir die kreativen Möglichkeiten, die ihm nur der Linoldruck bietet: Ist die Form erst mal fertig, kann er beim Drucken dann vielerlei Varianten gestalten; Feinheiten, die Oberflächenstruktur betreffend oder auch einfach ganz verschiedene Farbkombinationen.

Wenn Johanna Jakowlevs wunderbare Malerei den vorhandenen Himmel voller Möglichkeiten für uns sichtbar und damit bewusst macht, so weist uns Sergei Moser vielleicht ausgleichenderweise, vielleicht auch warnend, darauf hin, dass es unsere Aufgabe (als Künstler und als Menschen) ist, neben den positiven Möglichkeiten auch die Gefahren zu sehen. Zur Imagination gehört ja in der Kunst immer auch die Kontingenz:
Womöglich weisen Mosers Arbeiten hin auf einen drohenden Sieg der dunklen Seite der Macht – vielleicht warnt er uns vor einer dystopischen Zukunft?

In diesem Sinne adaptiere ich einfach den Titel von Alan Parsons Project:
Auch Sergei Moser berichtet, erzählt uns in seinen Werken:

Tales of Mystery and Imagination
Jürgen Linde, Oktober 2025