Künstlerporträts im kunstportal-bw | Mai 2025
Doppel-Porträt über Tanja Pohl:

Der Künstler und künstlerische Leiter der Kunsthalle Vogtland Frank Lorenz [im Katalog der Kunsthalle Vogtland zur Ausstellung]: HINTERlassen
Imagination – Jürgen Linde über Tanja Pohl
Ausstellungen und Projekte von Tanja Pohl

30.01. – 31.05.2025: | FLORA – Pflanzendrucke und Malerei
Volksbank eG Gera • Jena • Rudolstadt; Leipziger Str. 41, 07545 Gera
08.04. – 28.05.2025: | Tanja Pohl: Der Mensch – Druckgrafik und Malerei
Lauda Dr. R. Wobser GmbH & CO. KG | Laudaplatz 1, 97922 Lauda-Königshofen
11.04. – 06.06.2025: | Wegweisend – 13. Kunstfest Bad Elster
Kunstwandelhalle; 08645 Bad Elster
12.06. – 17.08.2025: | Nachland – Ausstellung zum Landesstipendium 2024
Vernissage: 12. Juni / 18 Uhr | Kunsthalle Erfurt
17.07. – 17.10.2025: | 12. Höhlerbiennale
Installationskunst in den Höhlern Geras | hoehlerbiennale.de

Tanja Pohl im Internet: www.tanja-pohl.com
 E-Mail:   tp@tanja-pohl.com

Bild links: Tanja Pohl;  © Foto: Tanja Pohl

Aufmerksame kunstportal-bw-Leser erinnern sich, den Namen Tanja Pohl schon mehrfach im kunstportal gesehen zu haben: gerade hat sie eine Ausstellung im Osten des Ländles; in Lauda-Königshofen:
[ LAUDA FabrikGalerie | bis 28.05.2025: | Tanja Pohl: Der Mensch ] , neben zwei weiteren Ausstellungen. Derzeit bereitet sie schon die nächste Ausstellung (die Abschlussausstellung des Landes-Stipendiums) in der Kunsthalle Erfurt vor: Nachland – Ausstellung zum Landesstipendium 2024 .
Die Künstlerin Tanja Pohl ist also mehr als reichlich beschäftigt, was daran liegt, dass sie nicht nur sehr gute Arbeit liefert und fleissig ist, sondern sicher auch daran, dass ihre Kunst besonders zeitgemäß ist.

Bild rechts: Plattform, 2010
Öl auf Leinwand, 120 x 160 cm; © Tanja Pohl

Gleich nach meinem Atelierbesuch bei der Künstlerin in Greiz im Vogtland war Tanja Pohls Arbeit Thema in unserem Hinkelstein (Nr. 35 vom So, 20.04.2025: Desintegration).

Das Thüringer Landesstipendium war Tanja Pohl eine wichtige Auszeichnung. Eine weitere Station im künstlerischen Werdegang der Malerin und Grafikerin, die auch bildhauerisch arbeitet. Sogar Musik- und Tanzperformances im Rahmen von eher freejazzigen Konzerten, zu denen sie einlädt in ihr großes Atelier in einem ehemaligen Fabrikgebäude, zählen zu ihrem Kunst-Repertoire.

Bild links: „DAS FELD“ / Projekt zum Landesstipendium Thüringen 2024;
© Tanja Pohl

Eine Station, soviel vorweg, die wohl eine Zwischenstation sein wird, kein Wendepunkt. Vielleicht Gelegenheit zum Umstieg in einen schnelleren Zug: vom IRE in den ICE? Schon lange ist die vielbeschäftige Künstlerin auf einem Weg, auf dem “Das Feld“ einen Moment der Ruhe, des Innehaltens und Nachdenkens sein könnte.

Seit sie künstlerisch arbeitet beschäftigst sich Tanja Pohl mit Themen wie Arbeit, Mensch, Maschine und Produktion.

Bild rechts: Absetzer (Mosquito), 2012, Unikat, 595 x 785 cm; Guache, Öl auf Tiefdruck, (3 Platten) auf Bütten; © Tanja Pohl


Mit ganz eigenen künstlerischen Blick verbindet sie diese Themen, zeigt deren Verwobenheit ineinander in Werken, zu denen wir dann oft das klassische Thema „Landschaft“ assoziieren.
Durchaus überraschend für mich, der ich als Politiologe und Soziologe die Themen Arbeit und (Industrie-) Produktion zuerst aus anderer Perspektive sehe: aus Sicht der Soziologen handeln diese Werke von der Geschichte der Arbeit (allein schon ein bibliothekenfüllendes Thema). Aus Sicht der Politikwissenschaft und der Philosophie (damals mein erstes Nebenfach) geht es hier um die politische Philosophie, ein fast alles umgreifendes, noch größeres Thema.

Bild links: Frachthafen, 2017, Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm; © Tanja Pohl

Alles schwierig, hochinteressant und für mich dann zu umfassend. Zeit für mich, mich den Geisteswissenschaften ab und der Kunst zuzuwenden. Hier, in der Kunst, entdeckte ich all diese Themen neu – und nach meinem Empfinden auf einer höheren, integrativen und vor allem in sinnlichem Erleben vermittelbaren und vermittelten Ebene.
Wieder einmal sehen wir, wie die eigenen Erfahrungen / Welt-Wahrnehmungen/Blickwinkel in Verbindung stehen zu dem, was Kunst für uns ist oder sein kann.

Tanja Pohls Werke begeistern mich auch durch die vielfältige Weise, wie sie Kopf und Maschine, Mensch und Produktion ineinander, in Verbindung setzt.

Viele denken nun womöglich jetzt an Charlie Chaplins Film Moderne Zeiten (1936) und das unvergessliche Bild mit Charlie Chaplin auf dem Zahnrad ….. Während Chaplin diese Themen noch als (vermeintliche) Satire präsenierte, handelt Tanja Pohl ihre Betrachtungen sehr ernst ab: das Verlorengehen des Menschen, der Verlust des Menchseins in einer Existenz, in der wir nach und nach Teil einer großen Gesamtmaschinerie werden könnten; scheinen hier unweigerlich auf.

Verschiedene Dystopien, von denen hier nur die wichtigste und bekannteste – George Orwells 1984 – genannt werden soll – beschreiben ja totalitäre Gesellschaften, in denen Technik die Gesellschaft steuert, Technik zur Herrschaftsform und zum Selbstzweck wurde. Übrigens spielt Orwells Novelle auf einer Erde, die aufgeteilt ist in drei Machtblöcke, die sich ständig (in wechseldnen Konstellationen), im Krieg miteinander befinden …

Näher als jede Satire erscheinen uns deshalb hier Bilder aus Kafkas Universum – etwa die Foltermschine aus der “Strafkolonie“ oder für mich auch „Das Schloss“: unsere Welt, die Kafka (befremdlich wirkend und doch so eminent wahr) beschreibt, ist ja wahrscheinlich in ihrem administrativ-bürokratischen Bereich ein Teil der Gesamtmaschine Gesellschaft. Tanja Pohls Werke, insbesondere ihre „Köpfe“ und Kafkas Texte verbindet für mich eine subjektive Perspektive, jeweils aus der Rolle heraus, die die Gesellschaft dem (verschwindenden?) Individum zuweist.

Die Menschen sind hier nurmehr funktionierende Zahnräder; Orwells Gedankenkontrolle garantiert für deren reibungsloses Funktionieren. Wie nahe dem die heute Realität schon ist, erleben wir in aktuellen autokratischen Systemen: Trump versucht, den (Namen) Golf von Mexiko zu verbieten (zukünftig der Golf von Amerika?); Putin versucht den Namen Nawalny zu „löschen“ – etwa so, wie die alten Sowjetrussen unliebsam gewordene Zeitgenossen aus den alten Fotodokumenten herausretouschierten – ein schwieriges Handwerk, das man heute bestimmt schon einer guten Qualitäts-KI übertragen könnte.

Apopos KI: Viele halten halten ja Orwells 1984 für “längst überholt“: die oligopolistisch organisierten Tech-Giganten wissen wohl schon heute mehr über uns als wir selbst. Die Transhumanisten, präsentieren den positiv-fortschrittlichen(?) Traum einer Kombination von Mensch und Maschine als (ganz unironisch) schöne neue Welt.
Orwells angenommene politische Aufteilung der Welt in drei Machtblöcke könnte sich durchaus bald als Vorhersehung erweisen

Bild rechts: Rosamunde, 2013
700 x700 cm, Öl auf Leinwand; © Tanja Pohl

Das war jetzt ein Überflug; und doch: all dies erscheint uns längst vorstellbar. Auch, dass wir, wie etwa Elon Musk annimmt, zukünftig einen Chip im Kopf haben, der unsere Effizienz steigert: Immer vernetzt haben wir dann Google Maps sofort bei Bedarf vor Augen und verstehen alle Sprachen, sofern wir Sprache überhaupt noch benötigen, automatisch …
Die Gedankenkontrolle erledigt so ein Computer-Chip im Kopf zweifellos nebenher: falsches Denken wird gar nicht mehr möglich sein.

Jetzt rufen die IT-Kenner unter uns Stop!: Das kann und wird nicht funktionieren: Programmierfehler sind unvermeidlich; (Sh)it happens; Zufälle/Pech sind unvermeidlich. Man könnte sagen: Winston Smith (das ist der Protagonist in 1984) lebt!

Und dann wären da ja auch noch der Mensch – und die Kunst – die dieser vermeintlich unvermeidlichen Zukunft im Wege stehen.
Wenn wir uns Tanja Pohls Werke genauer anschauen, erleben wir sie – zweifellos als kritisch, als sehr zutreffend, als wahr – und doch durchweg nie als bruchlos dystopisch:

Überall in Tanja Polhs Bildern (mal in kleinen; auch mal in sehr großen roten Bildelementen) scheint der Mensch auf als lebendig, als widerständig, als Störung? Immer stärker treten auch in Ihrer Malerei die Themen Mensch und (als das für sie wesentlichste Körperelement des Menschen) Köpfe in den Vordergrund. Gleichzeitig kommt ja Tanja Pohl aktuell von der “Industrieproduktion“ zurück (?) auf das Thema “Feld“ (und Industriebrachen):

Erbmasse, 2014; öl auf Leinwand, dreiteilig, 200 x 480 cm; © Tanja Pohl

So schreibt Marc Peschke zur aktuellen Ausstellung der Künstlerin in Fulda:
Ihre Herangehensweise an die Landschaftsdarstellungen, die sich mit der Transformation von Natur- und Industrieräumen auseinandersetzen, beschreibt Tanja Pohl wie folgt:
»Die Industriebrache trägt beides in sich – Industrie und die Rückeroberung der Natur. In der Brache sehe ich einen gewissen Nullpunkt, ähnlich dem embryonalen Zustand.«

Nein; hier versteckt sich keine (geheime?) Botschaft (Rückkehr zur Agrargesellschaft?) der Künstlerin, die sich selbst in ihrer Kunst nirgends explizit (oder bewertend) politisch äußert.

Von guter Kunst erwarten wir keine Ratschläge oder gar Lösungsmodelle. Doch erwarten wir Wahrheit. Mehr als jeder andere hat Peter Weibel immer wieder verdeutlicht, wie eng Wissenschaft und Kunst hier verbunden sind: Zusammenführen von Kunst und Wissenschaft – über Peter Weibel († 2023) – KUNSTPORTAL BADEN-WÜRTTEMBERG
Auch Tanja Pohl arbeitet in diesem Sinne wissenschaftlich: Als Beobachterin der Wirklichkeit erarbeitet sie, künstlerisch-forschend, implizit auch ein Bild der (für mich ein Wesenselement der Kunst:) Kontingenz: Es ist, wie es ist, immer aber: Es könnte auch anders sein. Besser oder schlechter …

Auch wenn die Kunst dies so wenig weiß wie jeder von uns und daher keinen Weg weist: Kunst macht eben doch sichtbar: in unserer Zeit multipler globaler Krisen ist Kunst wichtiger denn je: wir brauchen das Bewußtsein der Kontingenz und dazu etwas, was alleine die Kunst ermöglicht:

Imagination
Jürgen Linde im April 2025