Kunstausflüge mit Sigrid Balke | Edwin Scharff Museum
06.12.2025 – 03.05.2026: | Tanze dein Leben – Tanze Dich selbst“
Tanz wird Kunst, 1918 bis 1933. Teil 2: Höhepunkte
Denken, Handeln, gesellschaftliche Prozesse. Mit diesen Worten definierte Joseph Beuys den Begriff Kunst, und so versteht sich auch das Kunstportal. In diesem Sinn erweitert der Kunstausflug ins Neu-Ulmer Edwin Scharff Museum einmal mehr die Wahrnehmung von Kunst. Mit dieser interdisziplinären Sichtweise entstehen Analogien, sind spannende Vergleiche und Gegenüberstellungen möglich, das Entdecken von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen.

Bild oben: Hans Robertson: Rudolf von Laban, Die grünen Clowns; um 1928; © Foto Bodo Niemann
Wunderbar zu erleben in der derzeitigen Ausstellung Tanz wird Kunst, im ESM. Bis zum 03.Mai 2026 zeigt die Ausstellung die Entwicklung des Tanzes und stellt sie in einen Kontext mit Inkunabeln Bildender Kunst. Eingebettet in ein avantgardistisches Netzwerk aus Künstlern, Intellektuellen und einer politisch engagierten Arbeiterbewegung setzen die Tänzerinnen und Tänzer Individualität, Spiritualität und Gesellschaftskritik in Bewegung um.
Es geht um den Zeitraum von 1918 bis 1933– vom Ende des 1.Weltkrieg bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Urbanisierung, individuelle Freiheiten, Sport und Bewegung, Kreativität in Kunst, Literatur und Architektur, eine ausgeprägte Vergnügungskultur mit Jazzlokalen, Kino und Radio waren Ausdruck von Lebenshunger und dem Wunsch den Krieg zu vergessen. Neue Frauenbilder ermöglichten Selbstbestimmung und Präsenz im öffentlichen Leben. Die Frauen legten ihr einengendes Korsett und Konventionen ab und manchmal auch ihren Namen. Es war eine Anregung von Emil Nolde, weshalb sich die bürgerlich aufgewachsene Marie Wiegemann für den Künstlernamen Mary Wigmam und für eine Tanzkarriere als unkonventionellen Lebensentwurf entschied. Begleitet von Rhythmusinstrumenten tanzte sie was die Expressionisten malten und wurde zur Wegbereiterin des individuellen Ausdruckstanzes. Mathematisch choreografiert war der Tanz voller Pathos, emotional und expressiv. Mary Wigman wurde zur Ikone moderner Tanzkonzepte, ihre Akademie zum Ausgangspunkt für ein Netzwerk weiterer Tanzschulen. Tanz und Musik bildeten ein Gesamtkunstwerk, und über die Theaterbühnen, Tanzveranstaltungen und die Plakate an den Litfaßsäulen gelangte es in das Bewusstsein der Gesellschaft. Mit Choreografien wie Hexentanz, Totenmal, Totentanz wird versucht Kriegstraumata zu bewältigen, aber bereits 1920 wird die Seelenschwere und Pathetik durch unterschiedliche Arten moderner Tanzkonzepte abgelöst. Abstrakter, emotionsloser Tanz, die Bewegungen athletischer und raumgreifend, und anstelle eines Individuums tanzte eine durch Masken anonymisierte Gruppe. Andere Tänzerinnen und Tänzer setzten tagesaktuelle politische Themen tänzerisch um, Tanz wurde ein Mittel der Satire, oder verband die Spiritualität verschiedener Religionen.

Bild links: Lavinia Schulz: Maskenfigur Toboggan; Frau_um 1921 | Museum für Kunst und Gewerbe_Hamburg;
© Foto Maria Thrun
Das Ende der Entwicklung war nicht – wie ursprünglich gedacht – das Ende, sondern die Erneuerung des klassischen Balletts. Ausdruckstanz verschmolz mit dem klassischen Ballett und berühmte Tänzer wie Harald Kreutzberg schufen eine neue Bühnenkunst für klassische Opernhäuser und städtische Bühnen. Mit einer, vom Bauhaus geprägten, streng formalen Herangehensweise, entwickelte Oskar Schlemmer die Figurinen für sein Triadisches Ballett. Ein absoluter Gegensatz zum ursprünglichen Ausdruckstanz und dem Leitspruch von Mary Wigman: Tanze Dein Leben-Tanze Dich selbst. Hier geht es nicht mehr um die individuelle Freiheit, die Tänzerinnen und Tänzer werden zur Kunstfigur, zum „Mechanismus der die Kostüme bewegt“. Nachvollziehbar wird die Entwicklung in der Ausstellung durch Fotografien, Bilder von Kirchner, Moholy-Nagy und anderen Expressionisten, durch Skulpturen, Filme, Plakate, Masken, Kostüme und Originaldokumente. Berühmte Tänzerinnen und Tänzer jener Zeit stehen exemplarisch für die verschiedenen Tanzkonzepte, die bildende Kunst für die Analogien und den Dialog zwischen den Disziplinen.
Besonders faszinierend war für mich die radikal moderne Formensprache im Tanz und in der Bildenden Kunst sowie der intensive, sich gegenseitig befruchtende Dialog. (Kuratorin Dr. Ina Ewers-Schultz)
Ausstellungsdauer bis 03.Mai 2026
www.edwinscharffmuseum.de
© Text: Sigrid Balke