home away from home – oder: “weil jeder Tag zählt…“ – über Bettina Baur

Bild oben: Sankt Andrea 2014 Strichätzung/Zuckertusche/Aquatinta/Chinacollage

Bettina Baur ist eine Künstlerin, deren Arbeit – im Schwerpunkt Zeichnungen und Radierungen – mich durch ihre eigenwillige, lyrisch anmutende Ruhe ansprechen, seit ich sie vor einigen Jahren kennenlernte.

Gleichzeitig ist mir Bettina Baur bekannt als Kunstvermittlerin: 2007 haben sie und ihr Ehepartner Frederick Bunsen, der selbst auch Künstler (und schon längst im kunstportal-bw “aktenkundig“) ist, in ihrem Wohnhaus in Ammerbuch nahe Tübingen eine Kunstschule – die Art-Road Way-Kunstschule – die sie seither gemeinsam betreiben, in der sie Kunstkurse in den verschiedensten Mal – und Drucktechniken anbieten. Ganz zu Das Kursangebot ist reichhaltig und wird auch sehr gut angenommen. Viele Teilnehmer kommen immer wieder. Neben dem großen Bildungs- und Kursangebot gibt es hier auch ein lebendiges Veranstaltungsprogramm: Künstler werden vorgestellt, es gibt Musikveranstaltungen und Lesungen. Längst ist die Art-Road Way-Kunstschule über die Region auch bekannt und anerkannt als Kulturzentrum – alles selbst organisiert und finanziert ohne jede öffentliche Unterstützung.

Zuerst war mein Gedanke, hier Bettina Baur vorzustellen in einem „Doppelporträt“: sowohl als Künstlerin als auch (sie ist Leiterin der Kunstschule) als Kunstvermittlerin.

Doch hat mich die künstlerische Arbeit von Bettina Baur zu sehr in ihren Bann gezogen, so dass ich klar die Künstlerin in den Fokus rücken möchte.

Wer sich, was ich sehr empfehle, ein wenig auf der Website der Kulturzentrums einliest in das Selbstverständnis der beiden Gründer, versteht, dass die beiden Künstler mit ihre „Kulturzentrumsarbeit“ eine eine offene und zwanglose (ohne Mitgliedsbeiträge) Gemeinschaft schaffen, in denen Kursteilnehmer und Veranstaltungsbesucher immer wieder kommen, sich über die Kunst austauschen, sich selbst finden können: Hinter dem Art-Road Way steht eine Philosophie: „Kunst ist wie eine Straße, die den Weg erst zeigt, wenn man sich entschieden hat“. Im gleichen Geiste sprechen beide Künstler über einen “Dritten Ort“ (Ray Oldenburg) oder beschreiben das Zentrum als “Home away from Home“ Bitte lesen Sie selbst.

All dies wäre ja schon Arbeitsprogramm genug(?) Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Künstlerin zur Mehrheit der Künstler zählt, die mit ihrer Arbeit erfolgreich sind, aber keineswegs steinreich geworden sind. Halbtags geht sie deshalb noch einem Brotjob nach.

Womit wir schon wieder bei der eingangs erwähnten, für mich inzwischen durchaus geheimnisvoll wirkenden Ruhe wären, deren Geheimnis zu finden ja meine Absicht war.

Bevor wir es, dies möchte ich schon jetzt verraten, nachher gemeinsam lüften, erlaube ich mir einen Verweis (hier im Netz ganz konkret: einen Link auf der Website der Künstlerin zu einem Text, in dem sie sich und ihr eigenes Kunstverständnis schreibt:
Ich über mich.

Bild links:“SooderSo III“, 9/2018; Radierung

Wie Sie sehen, befinden wir uns hier in einer Art Parallel-Handlung: so wie Bettina Baur ein Buch erste mal “anliest“ und Eindrücke gewinnt, haben Sie als Leser dieses Porträts sicher zuerst Bettina Baurs Bilder oben gesehen und lesen hier nur deshalb weiter, weil Sie diese Bilder ansprechend finden, weil diese Werke Ihr Interesse geweckt haben.

Abgesehen von dem Fakt, dass die Künstlerin in ihrem eigenen Text auch darauf hinweist (was ich selbst oben vergessen hatte), dass sie Fortbildungen nicht nur anbietet / veranstaltet, sondern auch selbst immer wieder Fortbildungen besucht, was das Phänomen ihres Zeitmanagements sogar noch verstärkt, gibt sie uns auch einen ersten Hinweis zum Thema Ruhe:

Reisen spielen oft eine wichtige Rolle: ist man erst mal endlich (nach dem ganzen Reisevorbereitungsstress) unterwegs, so hat man sich ja selbst die Chance zur Ruhe, vielleicht gar zur Entdeckung der Langsamkeit verschafft oder erzwungen.

Immerhin ein Ansatzpunkt, unser Geheimnis betreffend. Nachdem ich aber erfahre, das die künstlerischen Werke selbst zum großen Teil nicht während der Reise, sondern meist im Nachhinein entstehen, kann können wir diesen Ansatzpunkt nicht als „Lüftung des Geheimnisses“ durchgehen lassen.

Hier kommt die Philosophie des Art-Road-Way Kunstzentrums ins Spiel: Bettina Baur ist, so vermute ich nun, unterwegs Home away from Home und auch zuhause auf einem Art-Road-Way – der Übergang ist fliessend und beides ist eng verbunden.

Bild rechts: Toskana 2; 2006, Zeichnung

So möchte ich sagen: die Reisen, die Arbeit zuhause und die Kunst selbst sind für Bettina Baur Heimat – oder eben ein
home away from Home

Bei einem ersten abendlichen Glas Rotwein schließlich greife ich zu einem alten, aber vielfach bewährten journalistischem Mittel und frage die Künstlerin ganz einfach direkt, ob dies so gut, treffend formuliert ist. Im Gespräch erfahre ich dann, dass es für sie ein innerliches Bedürfnis ist, einmal täglich ihre Alltagsarbeit zu unterbrechen, um künstlerisch zu arbeiten. So entsteht ein neues Blatt – an jedem einzelnen Tag.

Bild links: Rumänien, 2008; Pastellkreide

So fällt mir auch ein (Unter- oder-) Zweit-Titel ein für dieses Porträt über Bettina Baur: Ein Filmzitat, an das sich bestimmt viele spontan erinnern: es ist von Jack Dawson, dem fiktiven Helden aus James Camerons hervorragender Titanic-Verfilmung, gespielt von Leonardo di Caprio, der hier daran erinnert, dass er trotz seines immensen Reichtums, der ihn in Hollywood vielleicht zum Pop-Star gemacht hat, wahrscheinlich noch immer ein Künstler ist.

Bettina Baur – “Home away from Home, oder „…weil jeder Tag zählt …“.

Jürgen Linde im Januar 2025.