Objektiv betrachtet – über Eva Maria Lopez

Eva Maria Lopez im Internet: | Website: www.evalopez.net
E-Mail: landart@lopez-2000.de

War irgend etwas jemals wirklich geschehen?“ (Bernward Vesper, Die Reise, 1977.)
Gibt es dieses Bild wirklich, ist es nur die Frage der Perspektive, des richtigen Sehens? [Der Autor, angesichts der (Schwimmbad-) Fotos von Eva Maria Lopez im Katalog „Top-MeisterschülerInnen“ der Karlsruher Akademie.]

Hochwald II, 2000 | © Eva-Maria Lopez, VG Bildkunst Bonn, 2020

Objektiv betrachtet – über Eva Maria Lopez | Sehe ich wirklich, was ich sehe, oder glaube ich dies nur? Und: ist das eine sinnvolle Frage?
Klar immerhin scheint zu sein: Irritation weckt Interesse – und jetzt wollen wir wissen, warum Eva Maria Lopez‘ Bilder uns irritieren – und anziehen.

landart@lopez-2000.de – ist die email-Adresse der Künstlerin. Wenn man den Lebenslauf von Eva-Maria Lopez liest, liegt scheinbar die Verbindung nahe zum agrarwissenschaftlichen Studium der Künstlerin. Doch Lopez hat 2001 als Meisterschülerin bei Hiromi Akiyama ihr Kunststudium in Karlsruhe abgeschlossen.

In ihrer Kunst findet man den richtigen Bezugspunkt: Landkarten, Reliefs und Formationen in den Zeichnungen und künstlerischen Objekte von Eva-Maria Lopez. Sie reist immer wieder in andere Länder, um dort zu arbeiten. Die Landlinien und geographische Strukturen der Länder sind wichtige Impressionen – und Gegenstand der künstlerischen Arbeit:

Landlinien – Äquator, 1999: Kunstakademie Karlsruhe
© Eva-Maria Lopez, VG Bildkunst Bonn, 2020

In der Ausstellung “Landlinien“ – in der Kunstakademie Karlsruhe 1999 – wird man in den Mittelpunkt der Erde versetzt, an den Wänden als Wandmalerei der Äquator im Maßstab 1:1,9 Mio. Wir betrachten die Oberfläche des Äquators aus dem Inneren. Das Photo zeigt den Äquator in Südamerika. Am Boden eine Installation aus Ton, eine Küstenlinie am Äquator in Westafrika. Im Detail ist die Amazonasmündung zu sehen.

Wer sich beim Rundgang auf dem Globus Längengrad um Längengrad vorarbeitet, entdeckt neue Aspekte der geographischen Dimensionen. Die ästhetisch spannende Vorgehensweise verfolgt nicht nur geographische Zielrichtungen.
Die besondere Interpretation an Landkarten hat auch ironische Aspekte: z.B: Orient-Teppich, 2000 – Landlinien der Türkei aus einem Teppich herausgeschnitten.

Die Irritation ist verblüffend: sehe ich eine Landkarte oder einen Teppich; die gewohnten Begriffe sind in Frage gestellt – naheliegend, gleich meine ganze Wahrnehmung zu hinterfragen: begrenzt womöglich die Sprache unsere Wahrnehmung?

Äquator, Detail: Amazonasdelta
© Eva-Maria Lopez, VG Bildkunst Bonn, 2020

Mit dieser Frage erscheinen auch andere Fragen zusammenzuhängen, mit denen die Philosophie kämpft: Objektivität und Subjektivität, das Verhältnis zwischen Ich und Welt und Identität:

Die Aneignung der Vergangenheit und der Gegenwart – persönlich wie gattungsgeschichtlich – erscheint uns heute geradezu als die ureigenste Aufgabe der Kunst: Identitätsfindung – oder -Rekonstruktion.

Von der äußersten Form, von geographischen und geologischen Tatsachen kommend, gelangt Eva-Maria Lopez zur Fragestellung nach Wahrheit und Relevanz der äußeren Wirklichkeit.
Erfrischend, wie Eva-Maria mit ganz neuen Herangehensweisen an den Gegenstand diesen neu erschließt:
Eva-Maria Lopez zu ihrem Projekt Schnittmusterbogen Europa, 2001:
Die Besucher wählten die Konturenlinie- und farbe eines Landes aus. Die Länder Europas wurden während der Installation auf das Transparentpapier übertragen. Das Konzept: durch eingetragene Längen- und Breitengrade ist es möglich, die Länder, bzw. Europa wieder zusammenzufügen – auch ohne geographische oder politische Kenntnisse.

Havanna City Colours – Yara, 2001 | © Eva-Maria Lopez, VG Bildkunst Bonn, 2020

Lopez bleibt nicht bei diesen äußeren Formen der Atlanten und Reliefs im Bereich der Installationen und Radierungen. Mit dem Medium der Fotografie geht sie von der äußeren Form nach innen: während sich die Umrisse eines Landes der Fotografie dieser Technik weitgehend entziehen, gelangen mit Farbe und mit Perspektiven aus dem Inneren des Landes oder der Stadt ganz neue Qualitäten in den Blickpunkt: Stimmungen, persönliche Eindrücke werden wahrnehmbar.

Während gemeinhin der Fotografie eher objektivierende Eigenschaften zugeschrieben werden,sehen wir hier das Gegenteil: auf dem Stadtplan Havannas wählt Eva-Maria Lopez Punkte, auf welche sie Perspektiven und Farben ihrer Wahrnehmung reproduziert.
Das Spannungsfeld zwischen Objektivität und Subjektivität, für die Philosophie ein meist recht theoretisches Diskussionsfeld, wird hier künstlerisch sichtbar gemacht. Dies geschieht nicht zufällig in der Fotografie, denn genau in diesem Spannungsfeld arbeitet selbige; ein medial angelegter Drahtseilakt.

Die Reise von den Skulpturen, Radierung und Installationen bis zur Fotografie hat eine Kontinuität: Landkarten, geographische Strukturen bis zur Architekturfotografie: Eva-Maria Lopez fotografiert die Städte und Stimmungen der Städte, wie sie nicht im Reiseführer stehen, auf eigene künstlerische Weise.
So entstehen auch keine Fotoreportagen, keine Photos, die uns Neutralität suggerieren, sondern eigene, mich immer wieder irritierende Sichtweisen.

Mir scheint, dass die Fotografie in ihrer scheinbaren Zweidimensionalität ganzen Fächer von Dimensionen auszubreiten vermag. Die Vielzahl der Perspektivenwahl des Fotografen und des Betrachters bedingt eine Fülle an Varianten des „einen Bildes“.

E68, Deva – Romania, 2001
© Eva-Maria Lopez, VG Bildkunst Bonn, 2020

Ein Bild ist keine objektive Tatsache, weil es letztlich erst durch den Betrachter entsteht, und damit beeinflusst ist von dessen Stimmung und seinen Vorurteilen und seiner selektiven Wahrnehmung. Kein Bild wird von zwei Betrachtern identisch gesehen.
Fotografie verdoppelt die subjektive Sicht auf die Welt: der Fotograf wählt selbst seine Perspektive – ein Bild entsteht, welches wiederum aus der jeweiligen Perspektive der Betrachter verschieden gesehen wird.

Der „Ort des Bildes“ (Hans Belting) ist eben der Kopf des Betrachters. Daß die Unterscheidung von Innen- und Außenansicht keine eindeutige Angelegenheit ist, zeigt Eva-Maria Lopez in der Installation Landlinien – Äquator: die Außenansicht unserer Erde aus der Perspektive vom Inneren der Erde.
Die Welt als vom Äquator umschlossene Einheit. Es erinnert an den Astronauten, der aus dem All die Schönheit des blauen Planeten erkennt und treffend bemerkt, daß er von da oben keine Grenzen erkennen könne.

Eine Sichtweise, welche sehr großen Abstand braucht.
Wie etwa der Blick dessen, der eine Reise plant, auf einen Globus.

Nun will ich aber der eingangs gestellten Frage nicht ausweichen:
Sehe ich wirklich, was ich sehe, oder glaube ich dies nur?
Die Antwort lautet: ja. Und: ist das eine sinnvolle Frage? Unbedingt.

„Objektiv“ in der künstlerischen Fotografie ist einzig der Name eben dieses Bauteils.
Und Wirklichkeit bedeutet: die Reise geht weiter.

Jürgen Linde, 2002