Pictures in your Eyes – über Gerhard Sauter († 2023)

Gerhard Sauter im Internet:
Website: http://www.sauter-art.de/
E-Mail: sauter@sauter-art.de

Mit sehr vielen Bildern im Kopf verlasse ich das Atelier von Gerhard Sauter. Nicht die Zahl der Bilder an den Atelierwänden meine ich, die wäre ja fast noch überschaubar. Die überwältigende Vielfalt, die ich hier mitnehme,entsteht vielmehr aus der Vielschichtigkeit der einzelnen Bilder selbst – ganz konkret entstehen Sauters Arbeiten fast immer in mehreren Schichten, die sich teilweise noch einzeln identifizieren lassen. Permanent ist man in Versuchung, mehrere Bilder zu unterscheiden, bis es einem gelingt, das Ganze zu sehen und die Teile als Teile des (einen) Ganzen zu begreifen.

o.T., 2000, Acryl, Graphit auf Karton, 33 x 42 cm
© Gerhard Sauter, VG Bildkunst Bonn 2020

Gerhard Sauter fordert seine Betrachter. Das Sehen, das wir längst als einen Prozess zu erleben gelernt haben, wird hier richtiggehend zur Arbeit, Arbeit jedoch, die sehr gut entlohnt wird.

Direkter und eindeutiger als ich dies bisher erlebt habe, wecken Gerhard Sauters Bilder nun Assoziationen zur Lyrik, mehr noch, dazu später, zur Musik.
Natürlich arbeiten wir weiter an unseren Überlegungen zu den Zusammenhängen der verschiedenen Künste, denen wir von Porträt zu Porträt näher kommen.

In ihrer Eröffnungsrede zu Gerhard Sauters aktueller Ausstellung verortet die Kunsthistorikerin Dr. Ursula Merkel die Arbeit Sauters im Umfeld es Abstrakten Expressionismus und der gestisch informellen Kunst der Nachkriegszeit: „In diesen Stilrichtungen erlangten der freie Malprozess und die intuitive, persönliche Geste als unmittelbarer Selbstausdruck zum ersten Mal einen völlig neuen Stellenwert.“

o.T., 2005, Acryl auf Leinwand, 80 x 100 cm
© Gerhard Sauter, VG Bildkunst Bonn 2020

De facto ungegenständlich, evoziert diese Malerei dennoch Gedanken an Landschaften, an Landschaftsmalerei, die, hier sehr verinnerlicht, schnell in psychologische Bild- und Ideen-Welten weiterführt. Nicht zufällig gelangen wir bald zur Musik, zu der diese Bilder einen Zugang zu bieten scheinen: Denn dies ist eine Verbindung, die auch dem Künstler selbst sehr nahe ist:

“Hommage an Skrjabin“ ist der Titel der nächsten Ausstellung von Gerhard Sauter, die in der Konstanzer Galerie Wesner Anfang Mai 2010 eröffnet werden wird. Alexander Nikolajewitsch Skrjabin war ein russischer Komponist und Pianist; er lebte von 1871 bis 1915.

Indem Gerhard Sauter, als ich ihn in seinem Atelier besuche, bald von sich aus seine malerische Arbeit in Bezug setzt zur Musik, und unter bestimmten Aspekten, speziell zu dieser Musik, die er liebt und die ihn inspiriert, öffnet er Türen , die wir also nicht mehr einzurennen brauchen.

o.T., 2009, Acryl auf Papier, 48 x 62 cm
© Gerhard Sauter, VG Bildkunst Bonn 2020

Im letzten Porträt hatten wir den modernen Begriff der Ganzheitlichkeit in Beziehung gesetzt zu den Ideen der Romantik, die ja gewissermaßen die für unsere Suche nach den Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Künsten sinnstiftenden Fragen bereits gestellt hat. Auch die Antworten finden wir hier in der Romantik; selbstverständlich haben diese Antworten nicht den Charakter zusammenfassender Erkenntnisse, sondern sie spielen die Karte zurück an uns: etwa bei Novalis, der uns dunkel mitteilt: “Nach innen geht der geheimnisvolle Weg“.

Wer diese Antwort nicht als ausreichend akzeptieren kann (und wer hätte dies nicht schon mal als nicht-ausreichend empfunden?), hat womöglich die Frage noch nicht verstanden, die es nicht zu formulieren, die es dennoch zu finden gilt.

Sauters Malerei kann am Bildschirm nur ungenügend wiedergegeben werden; sie muß im Original erlebt werden: Mit im einzelnen eher zurückhaltenden Farbtönen schafft Sauter farbgewaltige Kompositionen. So entstehen geheimnisvoll anziehende, in sich hineinziehende Räume, die gleichzeitig auch zunächst mal als beängstigend empfunden werden können.

o.T., 2008, Acryl auf Leinwand, 100 x 160 cm
© Gerhard Sauter, VG Bildkunst Bonn 2020

Leben und Tod, Bewegung und Stillstand, Sauter macht diese widersprüchlichen Bedeutungen gleichermassen sichtbar wie deren dialektische Zusammengehörigkeit.
Mit unserer Frage nach den Zusammenhängen und Verbindungen zwischen Bildender Kunst und Musik und Sprache/Lyrik sind wir ja noch ganz bescheiden gegenüber der Romantik, die, immer implizit, oft genug explizit, einen umfassenden Gesamtzusammenhang vermutet, oder besser: unterstellt.

Neben den Künsten spielt hier die Naturschönheit eine ebenso wichtige Rolle; die Romantik will alles umfassen, das Innere wie das Äußere des Menschen, gleichsam die gesamte Schöpfung. Nirgendwo, glaube ich, ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Religion (über den wir bei Hegel viel lernen können) klarer als im romantischen Denken.

o.T., 2007, Acryl auf Leinwand, 100 x 150 cm
© Gerhard Sauter, VG Bildkunst Bonn 2020

Gelegentlich wurde diese Weltsicht selbst als Religion betrachtet, der dann, wohl ebenfalls zutreffend, der Begriff eines christlichen Pantheismus zugeordnet wurde.

Nachdem im Zusammenhang zur Romantik in früheren Porträts oftmals Dichter (wie eben Novalis) zu Wort kamen, haben wir diesmal einige Zitate von Caspar David Friedrich zusammengestellt, die das romantische Denken wohl noch besser in Beziehung setzen zur Bildenden Kunst:
„Jedes echte Kunstwerk wird in geweihter Stunde empfangen und in glücklicher geboren, oft dem Künstler unbewußt aus innerem Drang des Herzens.“ ( Caspar David Friedrich)

„Heilig sollst du halten jede fromme Regung deines Gemütes, heilig achten jede fromme Ahndung; denn sie ist Kunst in uns! In begeisternder Stunde wird sie zur anschaulichen Form; und diese Form ist dein Bild!“ ( Caspar David Friedrich)
Der Maler Gerhard Sauter nun kennt all diese Theorien und Überlegungen weit besser als ich und wir wollen hier nicht alles Gesagte nochmals neu herleiten, weil dies unsere treuen LeserInnen langweilen könnte.
(Neue LeserInnen laden wir herzlichst ein ,sich mithilfe der Übersicht der letzten 10 Porträts hier – hoffentlich unterhaltsam und anregend – “chronologisch einzuarbeiten“.)

Stattdessen wollen wir mit diesen Überlegungen hier nur einen Hinweis geben, motivieren hoffentlich zum genauen Hinschauen und Sehen – nach außen und nach innen:
“Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke oder gar Tote erwartet.“ ( Caspar David Friedrich).

o.T., 2006, Acryl, Graphit, Collage auf Papier, 34 x 44 cm
© Gerhard Sauter, VG Bildkunst Bonn 2020

Zweifelsfrei kommen Sauters Bilder aus ihm selbst; äußere Anschauungen mögen impulsgebende Wirkungen haben. Die besondere Arbeitsweise, in der er seine vielschichtigen Werke schafft, hat etwas kämpferisches: die verschiedenen (Be-)deutungselemente einerseits kämpfen um die Vorherrschaft im entstehenden Bild, der Maler selbst kämpft darum, die Einheit im Ganzen herauszuarbeiten, dabei gewissermassen „gerecht“ zu sein, sichtbar zu machen.

Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich die improvisierte Musik von Wolfram Pelzer (piano, keyboard, vocals) und Marco Jantke (Kontrabass) – Double Invention heißt das Duo. In freier Kommunikation entwickeln die beiden Künstler ihre Stücke. Und nicht zufällig habe ich diese CD eingelegt.

Genauso wie diese beiden Künstler untereinander, so steht für mich auch die Bildende Kunst in einem Kommunikationsprozess – zuerst zwischen dem Maler und seinen inneren und äußeren Gegenständen, zwischen dem Maler und seinen Werkzeugen, dann aber auch, in einem zweiten, unverzichtbaren Schritt: der Auseinandersetzung zwischen dem Kunstwerk und dessen Betrachter.

Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen – inhaltlichen und formalen – Ebenen des Kunstwerkes – (ich hatte dies als Kampf empfunden/beschrieben) dient dem Betrachter: hier entstehen dem, der sich dieser Arbeit unterzieht, zahlreiche „Einstiegsmöglichkeiten“.

In diesem Sinne ist der noch immer laufende Titel von Double Invention auch genau der richtige Titel für dieses Porträt über Gerhard Sauters Kunst:

Pictures in your eyes
Jürgen Linde im Februar 2010