Das Was bedenke, mehr bedenke, wie – über Peter Herrmann

Internet: www.peter-herrmann.de
E-Mail: Pmherrmann@aol.com
Saisonbeginn am Samstag, 17. September im Karlsruher Sandkorn-Theater. Peter Herrmann hatte ich schon privat kennen und schätzen gelernt, sein Kunst – die Pantomime, hatte ich bis dahin noch nie live erlebt.

Peter Herrmann, © Foto: Künstler

Gewohnt, über Bildende Kunst (und KünstlerInnen) zu schreiben, war mir unklar, was ich schreiben könnte und würde über einen Pantomimen; fast hatte ich Lampenfieber. Jetzt weiß ich, dass diese besondere Form der Darstellenden Kunst gar nicht so weit weg ist von der Bildenden Kunst, unserem gewohnten Thema.
Das Programm beginnt mit einer Szene, in der der Künstler mit einer imaginären (Glas-?) Wand zu tun hat, durch die er nicht durch – und an der er nicht vorbeikommt.

Das läßt sich natürlich vielfältig deuten: zum einen gibt es ja Hindernisse, Widerstände auf unseren Lebenswegen, die wir uns nur einbilden und die gar nicht da sind. Zum anderen gibt es Widerstände, Hemmschwellen, die wir nicht sehen, die aber da sind und gesehen werden sollten; die zu ignorieren zu heftigen Beulen führen kann.

Peter Herrmann im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Peter Herrmann, © Foto: Künstler

Klar wird schon in der ersten Szene: dem Künstler, der auch als Zauberer arbeitet und der sogar Mitglied ist im renommierten Magischen Zirkel Deutschland, geht es heute um etwas anderes: um Poesie.
Schwebend, tänzerisch und scheinbar schwerelos agiert Peter Herrmann auf der Bühne. Seit 1971 schon macht er diesen anstrengenden Job. Man ahnt, wie schwierig es ist, alles so leicht aussehen zu lassen.

Und er ist schnell: schlagartig kann er mimisch von einem Typus umschalten zum anderen; etwa vom gelangweilten Spießer zum neugierigen Kind. Jeder Gesichtsausdruck sitzt und alle Typen, die er darstellt, glaubt man auch persönlich zu kennen oder schon mal erlebt zu haben. Man ahnt, daß unglaublich viel Arbeit und Übung nötig ist, bis dies so perfekt gelingt.

Peter Herrmann im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Peter Herrmann, © Foto: Künstler

Peter Herrmann erläutert mir später: die – wichtige – Mimik ist längst nicht alles: es braucht den ganzen Körper, um einen bestimmten Typus oder eine bestimmte Stimmung exakt zu erfassen: “Von der Fußspitze bis zur Haarspitze.“
Die Zeit vergeht im Nu, und als Peter Hermann nach einer Dreiviertelstunde eine Pause ankündigt, schaue nicht nur ich verwundert auf die Uhr.

Natürlich schafft er auch die Ansage der Pause ohne Worte; er macht körpersprachlich sehr deutlich, daß in 10 Minuten alle wieder hierzusein haben und zählt, zur Verstärkung seiner Bestimmtheit, das Publikum durch: man sieht, er wird nach der Pause kontrollieren, ob auch alle wieder auf ihren Plätzen sind.

Im persönlichen Gespräch hochsensibel, gibt er den autoritären Typen glaubwürdig und echt. Wie die besten SchauspielerInnen ist er in seiner Rolle, nur, daß er diese schlagartig zu wechseln vermag. Wie ist das möglich?

Peter Herrmann im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Peter Herrmann, © Foto: Künstler

Peter Herrmann berichtet, wie schwer es ihm manchmal fällt, nach einem langen Arbeitstag in seinem “Vollzeit-Brotjob“ abends noch auf die Bühne zu gehen. Doch wenn er dann beginnt, sich zu schminken, beginnt, Pantomime zu sein, dann beginnt die Entspannung: er “geht aus sich heraus“ und ist „ein anderer“: Hierin liegt eine Art von Freiheit, die vielleicht auch erlaubt, in diesem anderen Selbst, im Alter Ego, eben spielerisch Dinge zu tun, wirklich anders zu sein.
“Was ich tue, liebe ich mehr als mich selbst“ sagt mir Peter Herrmann.
In dieser hochinteressanten, sehr dialektischen Formulierung vermute ich das Geheimnis vielleicht auch der großen SchauspielerInnen: aus sich herausgehen und, außerhalb seiner selbst bleiben, um im alter ego wirklich ein ganz anderer zu sein, komplett in seiner Rolle.

Titel seiner Präsentation ist übrigens “Seifenblasen“, womit auch das für mich schönste seiner Bilder benannt ist: in Kopfhöhe installiert, bläst eine Seifenblasenmaschine Seifenblasen in Richtung des Künstlers, der diese aufzufangen und in die Tasche zu stecken versucht.
Bilder? Genau. Als Pantomime verzichtet Peter Herrmann konsequent auf den Einsatz sprachlicher Mittel. Nur die Titel der einzelnen Szenen präsentiert er als Schrift auf Tüchern, die er dem Publikum zeigt (wie früher in den Stummfilmen).

Peter Herrmann im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Peter Herrmann, © Foto: Künstler

Den Verzicht auf Sprache sehe ich als einen Schritt vom Schauspiel hin zur Bildenden Kunst, weil die bildhafte Darstellung in den Vordergrund rückt. Hinzu kommt, daß der Pantomime (“der alles Nachahmende”) anders als etwa ein Kabarettist gerade nicht überzeichnet, sondern etwas – einen Typus, eine Stimmung, etc. – genau nachzeichnet und auf den Punkt bringt.
Wie in der Bildenden Kunst ist die Reduktion hier sehr wichtig und ein zentrales Arbeitsprinzip.
Im Gegensatz zur oft denunzierenden Satire hat der Pantomime ein eher philanthropisches Verhältnis zu den Menschen, die er spielt.

Wir haben mehrfach gesehen, daß Bildende Kunst sich als Schule des Sehens begreift oder begreifen kann. Und dieses Schule hat Peter Herrmann durchlaufen und mit Auszeichnung bestanden. Nur ein Menschenkenner, der ganz genau sieht, kann diese Reduktion leisten.

Peter Herrmann im Künstlerporträt im Kunstportal Baden-Württemberg
Peter Herrmann, © Foto: Künstler

Der Verzicht auf sprachliche Mittel bedeutet dabei, auch auf die mit den Begriffen verbundenen Festlegungen und Assoziationen verzichten zu müssen. Die Eindeutigkeit des Dargestellten entsteht aus der Exaktheit jeder Bewegung.
Was der große Schauspiellehrer Lee Strasberg über das Schauspielen gesagt hat, gilt noch stärker für die Pantomime: “Von einem rein handwerklichen Standpunkt aus ist Schauspielen die Fähigkeit, auf imaginäre Reize zu reagieren”.

Schließen wir mit einem Zitat von Goethe (J.W. v. Goethe, Faust II, 2. Akt), der hier der Pantomime die programmatische Aufgabe zu formulieren scheint::
“Das Was bedenke, mehr bedenke wie.”

Jürgen Linde, 1999