Christiane Grimm: Lichtspiel (Ausschnitt)
© Christiane Grimm und VG Bild Kunst, Bonn
Christiane Grimm im Internet: Website: www.christianegrimm.de/
E-Mail: christianegrimm@t-online.de
Aktuelle Austellungen und Projekte von Christiane Grimm
- Lichtspiele – La vie secrète des couleursFinissage 23.06. ab 15 Uhr: Christiane Grimm | 05.05 – 23.06.2024 | Galerie Corona Unger, Bremen
- Christiane Grimm u.a. | Fokus Farbe Finissage mit Kunstcafe und Künstlergespräch am 24.03. von 14- 18 Uhr | Christiane Grimm u.a. | 24.02. – 24.03.2024 | Kunstverein Germersheim
- Winter WondersChristiane Grimm u.a. | 18.11.23 – 28.02.2024 | Bluerider Art Gallery, London/Shanghai/Taipei; Groupexhibition
- Winterreise IIChristiane Grimm u.a. | 17.12.2023 – 18.02.2024 | Galerie Corona Unger. Bremen Gruppenausstellung
- Lichtspiel und FarbleuchtenEröffnung: 04.02.24; 15 Uhr Christiane Grimm u.a. | 04.02. – 28.04.2024 | Kunststation Kleinsassen
Poesie des Lichts war 1999 der Titel unseres ersten Porträts über die Heidelberger Künstlerin Christiane Grimm.
Mit dem Titel dieses Fortsetzungsporträts „Licht und Erkenntnis“ versuche ich, meine Überlegungen nach einem Atelierbesuch bei der Künstlerin im Dezember 2023 auf einen Punkt zu bringen.
Wohlgemerkt auf einen Punkt, nicht auf den Punkt.
Bild links: Die Künstlerin Christiane Grimm in ihrem Heidelberger Atelier, © Foto: Dorothea Burkhardt
Denn ein Vierteljahrhundert – und über 200 in diesem Zeitraum getextete Künstlerporträts – später erscheint mir ein Gedanke, der Ihnen als Lesern / Begleitern dieser Porträtreihe schon vertraut ist, klarer denn je: Den einen Punkt, die eine Wahrheit gibt es nicht.
Die Wirklichkeit ist komplexer, sie ist schwierig und vielfältig. Was wir sehen, ist nicht einfach und klar, im Gegenteil: was wir sehen (?) – das eigentlich ist die Frage!
Mit wenigen wichtigen Fragen charakterisierte ja Immanuel Kant seinerzeit das Programm seiner Philosophie der Aufklärung: Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun?“. Scheinbar einfach und doch überkomplex formuliert er hier die Agenda von der Erkenntnistheorie bis hin zur Ethik. Oder mit Kants Worten: von der reinen bis zur praktischen Vernunft.
“Ich glaube nur, was ich sehe“ – jeder hat dies schon mal gehört, meist von Menschen, die sich als “Realisten” betrachten, als Menschen, denen man “nichts erzählen kann“, die nichts glauben, nur das, “was sie sehen“. Kant zeigte uns, dass hier nicht die Antwort liegt, sondern die Aufgabe, die Frage – und dieselbe Frage stellt uns immer wieder die Kunst: was sehe ich? Die Philosophen fragen: was ist der Fall?
Ganz konkret stellt sich diese Frage angesichts der Arbeiten von Christiane Grimm ständig: Schon die einfachen Bildobjekte, die wir zuerst als „normale“ Bilder wahrnehmen. Doch mit aufgelegten Scheiben aus geriffeltem Plexiglas auf den Oberflächen schafft die Künstlerin eine flirrende Unschärfe und die Räumlichkeit der “Riffelung“ bewirkt darüber hinaus, dass wir bei jeder Veränderung des Blickwinkels – etwa wenn wir am Kunstwerk vorbeigehen – immer wieder andere Bilder des selben Objekts sehen.
Auch in den anderen Werkgruppen der Künstlerin, deren jeweils genaue Betrachtung unseren Rahmen hier sprengen würde [weshalb wir unbedingt einen ausgiebigen Besuch der Website empfehlen] , wird diese Besonderheit der Arbeit von Christiane Grimm immer wieder anschaulich.
Besonders hinweisen möchte ich aber dennoch auf die Arbeiten, die Christiane Grimm in der Sparte „Kunst am Bau“ zeigt. Nahe liegt die Vermutung, dass ihre berufliche Vergangenheit – Grimm hat Architektur studiert und in Heidelberg und Berlin als Architektin gearbeitet – mit einfließt. Hier gelingen der Künstlerin wahrlich einzigartige Kompositionen aus Fläche, Licht, Farben und Bewegung.
Überhaupt: die Farben. Mit feinem Gespür für Nuancen und minimale Veränderungen variiert Christiane Grimm ihre Farben. In diesem Sinne wählt der Kunsthistoriker Dirk Martin, den wir dankenswerterweise ausführlich zitieren dürfen, für einem Text über die Arbeit von Christiane Grimm ein Zitat von E.L.Kirchner: “Farben sind die Freude des Lebens“:
“In ihrer Gestaltung hebt sie trotz der Formvielfalt den sinnlichen Aspekt der Farbe hervor, den sie auf einen Prozess des Sehens richtet, wenn sie auf der Bewegung der Farbe beruht. Bei ihren Bildobjekten setzt sie Farbe und Form so, dass die Durchbrechung des einen durch das andere eine kalkulierte und zugleich vitale Bildwelt erzeugt. Es sind poetische Gebilde aus lichten, schwebenden Flächen – ganz selten auch unbunt. Durch die Verwendung von geriffeltem Plexiglas erzielt Grimm optische Effekte, die einer eindeutigen räumlichen Wahrnehmung zuwiderlaufen.
(Quelle: Kunsthistoriker Dirk Martin in einem Beitrag zur Arbeit von Christiane Grimm: “Farben sind die Freude des Lebens“ (E.L.Kirchner).)
Mit jedem Schritt vor einem der Bildobjekte von Christiane Grimm ändert sich unsere Perspektive; permanent verändert sich so das Bild, das wir sehen.
Begeisterung entsteht beim Betrachten der sehr intensiven, immer wieder überwältigenden Bilder, die wir im Atelier von Christiane Grimm erleben. Was am Bildschirm schon “stark“ wirkt und Neugier weckt, entfaltet erst angesichts der Werke im realen Raum seine volle Kraft. Licht, Farben und Bewegung finden zusammen zu sinnlichen Gesamterlebnissen: Um vorab eine Vorstellung zu bekommen: Wir empfehlen die Videos ihrer Rauminstallationen, die Christiane Grimm auf ihrer hervorragend strukturierten Website zur Verfügung stellt: Videos
Kinetische Lichtinstallation im Gewölbe der Galerie Linde Hollinger, Ladenburg: Acrylglas, Mischtechnik und Ventilator, 2020
Video auf Youtube
Auf der Weiterreise nach meinem Atelierbesuch führen mich erste Reflektionen über das gerade Gesehene wieder einmal direkt zur Philosophie – was habe ich erlebt, was eigentlich habe ich gesehen?
Was können wir sehen, was können wir wissen? Dies erinnert an das Programm von Immanuel Kants Philosophie der Aufklärung, die mir hochaktuell erscheint. In unserer durch Medien stark geprägten Welt ist unklarer denn je, was wahr, was richtig und was wichtig ist. In der Vielfalt der Nachrichten und Meinungen, die gerade im Internet (via Twitter, bzw. “X“ etc.) jeder in alle Richtungen verteilen kann, entstand, um Jürgen Habermas zu zitieren, eine “neue Unübersichtlichkeit“. Die unbegrenzt erscheinende Vielfalt, auf den ersten Blick bestimmt eine Bereicherung, erweist sich zu oft als Beliebigkeit, so entsteht ein Dauerzustand der Unsicherheit. Die Algorithmen der Suchmaschinen unterstützen dabei Verschwörungstheoretiker jeder Couleur.
Ganz anders als in unserer Mediengesellschaft, haben die vor einem Vierteljahrhundert neuen Medien in der Welt der Kunst durchaus positive Wirkungen entfaltet: innovative Ausdrucksmöglichkeiten sind entstanden, auch andere Wege der Kommunikation sowohl hinsichtlich der Verbreitung als auch hinsichtlich der diskursiven Auseinandersetzung.
Anders als in der Medienwelt, wo Nachrichten zunehmend von der Popkultur behandelt und vereinnahmt werden, ist unsere Welt der Kunst, sicherlich keine Insel der Seligen, aber doch eine eigene – manchmal ein wenig elitäre – Welt: selbstkritische Reflektion bildet weiterhin einen integralen Teil des künstlerischen Schaffens und des Kunstbetrachtens/-erlebens. So ist Vielfalt hier tatsächlich Bereicherung!
Wir sehen, dass die Wirklichkeit vielfältig ist, dass wir sie aus vielen und immer wieder neuen Perspektiven betrachten können. Kunst wie die von Christiane Grimm macht sichtbar. Das “Es ist wie es ist“ des Realisten erklärt nicht die Wirklichkeit, denn diese ist vielfältig und kontingent (sie könnte auch anders sein) und sie ist in Bewegung. Nicht Statik und Starrheit charakterisieren unsere Welt – besser beschreiben Kontingenz und Dynamik die Wirklichkeit. Und ebendies macht Kunst sichtbar.
In der künstlerischen Arbeit von Christiane Grimm erleben wir Licht und Bewegung gleichzeitig als Thema und als Werkzeug; Farben und Licht stehen im Zentrum dieser Kunst, in welcher sie unser Sehen grundsätzlich hinterfragt.
Wie wohl kein anderer hat der philosophierende Künstler und Vordenker Peter Weibel (*hier unser Künstlerporträt über Peter Weibel) die zentrale Bedeutung des Lichts für die Kunst und gleichermaßen für die Wissenschaft herausgearbeitet:
“Nicht nur, dass wir existieren, verdanken wir dem Licht, sondern auch alles, was wir wissen, wissen wir durch das Licht. Licht ist eine Botschaft des Universums, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen können Botschafter des Lichtes sein.” ( Peter Weibel, Vorstand des ZKM | Karlsruhe am 09.02.2018 ).
Christiane Grimm, inzwischen mit ihrer Arbeit längst international präsent nd erfolgreich, ist sich seit unserem ersten Porträt 1999 thematisch und stilistisch treu geblieben: noch immer erleben wir in ihrer Kunst die Poesie des Lichts.
Rot in Zeitlupe | © Christiane Grimm und VG Bild Kunst, Bonn
Ähnlich wie Kant in seinen berühmten Kritiken (Kritik der Vernunft, Kritik der Urteilskraft und Kritik der praktischen Vernunft) den Begriff Kritik versteht als eine Hinterfragung der Grenzen, der Bedingungen und Möglichkeiten (unserer Erkenntnis), so können wir Kunst (unter anderem) begreifen als eine Kritik des Sehens.
Aus meiner oben dargelegten persönlichen Sicht kommen der Kunst in unserer heutigen Mediengesellschaft viel stärker als damals kritische Aufgaben zu: So war mein erster Arbeitstitel für dieses Porträt:
Kritik des Sehens – die Philosophie in der Kunst von Christiane Grimm.
Schöner aber erscheint mir – und bestimmt im Sinne Peter Weibels – nenne ich meinen neuen Text:
Licht und Erkenntnis.
Jürgen Linde im Dezember 2024