Boris Petrovsky: »TRUE FALSE«: Performative Installation

Boris Petrovsky: |  Freitag, 05. März bis Sonntag, 14. März 2021 | Exposición ‘¿Máquina loca?’

»TRUE FALSE«: | Performative Installation
Entstehungsjahr(e): 2020/2021
Material: Glas, Neongas, Kabel, Drahtseil, elektronische Vorschaltgeräte, elektronische Helligkeitsschalter, Buzzer
Größe der Installation: Breite 9 m, Höhe 3,9 m, Tiefe 0,3 m


Eine performative Installation als Fremd- und Selbstbefragungsmaschine von ’TRUE’ und ’FALSE’.
Algorithmus für die Besucher:
Gehe in dich. Denke deine Gedanken. Stelle deine Frage. Finde den richtigen Zeitpunkt. Beobachte. Gedulde dich. Warte auf den Sound des Buzzers. Erschaue die Antwort. Oder nicht. Hör auf. Mach weiter. Beides.
Oder mache alles anders.
Algorithmus für das Material und seine Konfiguration in Zusammenhang mit dem Künstler:
Eine Zeichenkette aus 9 Schriftzeichen befindet sich etwas über Körperhöhe der Besucher in der Luft. Sie ist an einer Traverse von der Decke abgehängt. Der Körper der Schriftzeichen besteht aus klar-transparentem Glasrohr, das in rhythmischen Sequenzen mit rotem Neonlicht “geflutet“ wird. Dabei werden die transparenten Glasröhren undurchsichtig, das Glas und das Gas intransparent. Es sind zwei Worte in der Zeichenkette lesbar, die durch ein Leerzeichen getrennt sind: TRUE FALSE. Die einzelnen Buchstaben leuchten für eine Sekunde auf und erlöschen für eine Sekunde. Da das Blinktempo bei jedem einzelnen Buchstabens minimal variiert, entsteht ein laufender Versatz im Blinkrhythmus. In diesem polyrhythmischen Spiel blinken die Buchstaben miteinander oder gegeneinander in wechselnden Kombinationen.
Ein Buzzer-Sound wie in einer Show oder einem Quiz, oder auch wie der Alarm in einer Fabrik ertönt, wenn eines der beiden Worte ’TRUE’ oder ’FALSE’ für einen Augenblick vollständig in der Zeichenkette aufleuchtet oder nicht leuchtet oder wenn beide Wörter ’TRUE’ und ’FALSE’ gleichzeitig zusammen aufleuchten oder nicht leuchten.
Der Sound der Installation ist das hypnotische, leise Klick-Klack der Relaise der Lichtsensoren. Ein leises “Klick“ beim Einschalten des Neonlichts und ein etwas lauteres “Klack“ beim Ausschalten. Es ist wie das Ticken wie von analogen Uhren, die wechselweise aus dem Takt und im Takt sind, die sich zu einem gemeinsamen Ticken verdichten und wieder aus dem Gleichtakt ausscheren. Die Buchstaben der beiden Wörter scheinen dabei ein Eigenleben zu führen, mit einer unscharfen Taktung im Aufleuchten und Erlöschen.

Eine Sinnestäuschung stellt sich bei intensivem, visuellem Beobachten der blinkenden Buchstaben ein, wenn beim Erlöschen des roten Lichts in den Buchstaben seine Verschattung wie aufzuleuchten scheint. Eine paradoxe Erfahrung von verzerrter Wahrnehmung und Kognition. Die Farbe Rot ist im Allgemeinen konnotiert mit einem Alarmzustand. Aber auch mit dem Zustand “ausgeschaltet“, “nicht in Betrieb“, auch “Störung“. Die Schaltzustände in der Zeichenkette sind ’an’ und ’aus‘, digitaltechnisch gesprochen, ’true’ und ’false’. Es ist der zweiwertige Grundrhythmus, der basale Code und Algorithmus: ’an’-’aus’ oder musikalisch: ’Pause’-’Schlag’. Mit dem versetzten Blinkrhythmus der Buchstaben entsteht eine virtuelle Bewegung in der Zeichenkette, ein “Schriftfilm“, ein lettristisches “Durchbuchstabieren“, das sich in der “großen“ Begriffspaarung ’true’ und ’false’ in rhythmischen Schleifen an wechselnden Stellen eines Dazwischen-Zustands trifft und wieder verliert.
Eine Verhandlung von Rhythmus, Sprache, Buchstabe, Zeichenkörper, Wort, Bild, Sinn und Bedeutung.
Dabei treffen in der Installation die Begriffspaarung “wahr“ und “falsch“ in der Sprache des Menschen auf die der Maschinen. In der einen haben die Wörter eine technisch-mathematisch-aussagenlogisch-funktionale Qualität, in der anderen eine philosophisch-ethische, auch religiöse.
In der formalen Sprache der Algorithmen fallen Syntax und Semantik ineinander. Es gibt im Gegensatz zu den Sprachen des Menschen keine Interpretationsspielräume. Gibt es eine Wunschvorstellung, eine Tendenz, dass die menschliche Sprache und das Denken “maschineller“ werden und ein maschineller Code prozessiere?
Assoziiert mit dem Wunsch nach “fehlerfreier“, moralisch einwandfreier Existenz, stets “gehaltvoll“ mit Sinn und Zweck, aber jenseits der Metaphysik?
Werden wir maschinell, im Denken und Handeln, verrückt, verrückter? Wenn man “wahr” und “falsch” für technisch “wahr” und “falsch”, also für “ein” und “aus” setzt, dann ist das Wort “wahr” in diesem Sinne logisch “wahr“, wenn es
aufleuchtet und “falsch“, wenn es nicht aufleuchtet. Das Wort ’false’ ist technisch gesehen wahr wenn es aufleuchtet.
Ist es aus moralisch-philosophischer Sicht falsch, im Sinne einer eine Lüge, wenn es physisch und technisch “wahr” wird, also leuchtet? Wird es tautologisch wahr? Was ist es? Paradoxie oder quantenphysikalischer Normalzustand? Orakelbedürfnis, Sehnsucht nach dem Ernstfall, Freiheitsverheißung, Verhandlungsbedarf? Die gläsern-transparenten Glasröhren in ihrer chimärenhafte Erscheinung sind auch präsent, wenn sie nicht aufleuchten, visuell und körperlich: Hier kann nicht nicht kommuniziert werden.
Der Zustand “aus“ hat kein menschliches Äquivalent, außer dem Tod.

Marcus Steinweg
Facebook-Post vom 08. Februar um 11:43
TRICKY
Das Hell-Dunkel gewisser Texte Blanchots und Becketts läuft nicht auf einen Obskurantismus hinaus. Sowohl der Obskurantismus des Lichts wie der des Dunklen sind suspendiert. Dies gilt es zu verstehen: Die Allianz des Dunklen und Hellen kompliziert das Binaritätsmodell, das zwischen beiden Registern zu unterscheiden erlaubt. Sie kompliziert noch die Metaphysik der Graustufen und Zwischentöne. Alles findet im Medium einer Klarheit statt, die sich dieser Metaphysik wie dem Binaritätsmodell entzieht. Klarheit, die nicht ohne Unklarheit, Transparenz, die nicht ohne Intransparenz auskommt. Oft erweist sich der Tag als tiefe Nacht und umgekehrt. Und doch handelt es sich nie um eine Täuschung. Der Wahnsinn der Hell-Dunkel-Zone besteht in der Unmöglichkeit, in ihr zu irren. Alles, was ist und passiert, geschieht unterm gleißenden Licht einer Sonne, deren Unerbittlichkeit das Subjekt leicht in die Umnachtung treibt. Pierre Klossowski betreffend, spricht Blanchot einmal vom „Licht, das die Dunkelheit bewahrt und sich selbst vor allem äußeren Glanz bewahrt.“ Ontologisches Licht oder Feuer, das die Augen des Subjekts blendet, während es dessen Sehkraft stärkt. So tricky ist die Situation!